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Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit im Gesundheitswesen wurden diskutiert

16.10.2017 10:38
Nach zwei Tagen intensiver Diskussion über die Gestaltung zukunftsfähiger und gerechter Gesundheitsversorgung ist am 13.10. der Europäische Gesundheitskongress München zu Ende gegangen. Die über 1.000 Teilnehmer aus elf europäischen Ländern hörten Vorträge von rund 150 hochrangigen Referenten.

Der zweite Kongresstag begann mit dem Auftritt von Prof. Josef Hecken, dem Unparteiischen Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Hecken warnte vor der vom Bundesverfassungsgericht angestoßenen Debatte um die demokratische Legitimation des mächtigen Gremiums. Das Bundesverfassungsgericht sage, so Hecken, alles was wichtig sei, müsse der Gesetzgeber entscheiden. Im Hinblick auf die Festlegung des Leistungskatalogs der GKV mahnte Hecken: „Ich sage: Wer das will, der wird als Folge einer solchen Entscheidung erleben, dass Versorgung nicht mehr nach Evidenz oder nach Bedürfnissen definiert wird, sondern dass die Gruppen, die am lautesten schreien, auch am besten bedient werden.“ Das führe in der Konsequenz, so Hecken, dazu, dass etwa Patienten mit seltenen Erkrankungen, „wo wir sieben oder acht Patienten haben, wahrscheinlich in einem solchen System auf der Strecke bleiben würden.“ Die Entscheidungen über den Leistungskatalog der GKV müsse bei einem Fachgremium liegen und dürfe nicht „Grundsätzen der politischen Opportunität“ unterworfen werden.

Hecken nahm auch Stellung zu der Frage hochpreisiger Onkologiepräparate, die pro Patient sechsstellige Kosten verursachen können. Er kritisierte, dass bei der Bewertung onkologischer Therapeutika kaum Daten zur Lebensqualität einbezogen werden könnten, weil diese teilweise von den Herstellern „bewusst nicht erhoben“ würden. Das führe in eine „absolut falsche Richtung“: Die Masse der Produkte habe in der frühen Nutzenbewertung nach dem AMNOG einen Zusatznutzen zuerkannt bekommen, weil sie eine lebensverlängernde Wirkung von zwei, drei oder vier Monaten nachweisen konnten, die in der Praxis aber „teilweise unter unerträglichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität“ zustande käme. Hecken plädierte für eine stärkere Berücksichtigung von Lebensqualität.

Ein weiterer Schwerpunkt auf dem Kongress war der umstrittene morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich. Der Präsident des Bundesversicherungsamtes, Frank Plate, kritisierte die Einflussnahme der Krankenkassen auf die Diagnoseerstellung der Ärzte und ließ durchblicken, dass dem in Zukunft weiter nachgegangen werde. Die Aufarbeitung dieser Sachverhalte dauere aber längere Zeit: "Man kann es sowieso nur im Nachgang prüfen. Und wir werden, ich denke mal, das ein oder andere Interessante noch finden, was die Jahre nach 2011 betrifft." Plate über derzeit laufende Ermittlungen: "Mir ist bekannt, dass auch die Staatsanwaltschaft in einigen Fällen unterwegs ist". Einflussnahme auf das Kodierverhalten der Ärzte sei "nicht trivial": Wenn Krankenkassen sich auf diese Weise unrechtmäßig am Vermögen des Gesundheitsfonds bedienen, könnten auch Straftatbestände erfüllt sein.

Prof. Dr. Volker Ulrich, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesversicherungsamtes, kündigte an, dass ein Executive Summary des lange erwarteten Gutachtens zur Reform des Morbi-RSA in der kommenden Woche in Bonn vorgestellt werde. Ulrich machte allerdings deutlich, dass ein zweites Gutachten des Beirats, das im April fertig werde, ebenfalls Bedeutung haben werde, denn dabei gehe es um eine regionale Komponente, für die er sich persönlich ausspreche.

Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml hatte sich am Eröffnungstag des Europäischen Gesundheitskongresses für eine regionale Komponente stark gemacht und andere Bundesländer aufgefordert, diese Pläne zu unterstützen.

In mehreren Veranstaltungen des Kongresses ging es um den Erfahrungsaustausch unter diversen europäischen Regionen. So präsentierte beispielsweise die italienische Provinz Südtirol ihr Modell für eine Integrierte Versorgungsplanung. Die Landesregierung von Su¨dtirol hat im Jahr 2015 eine umfangreiche Reform ihres Gesundheitswesens beschlossen, vor allem, um den Folgen des demografischen Wandels und zunehmender Versorgungslücken, insbesondere durch Facharztmangel, zu begegnen. Schwerpunkte in der Umsetzung waren die Verbesserung der Integrierten Versorgung, für die als Grundlage eine einheitliche IT-Infrastruktur geschaffen werden musste. Ziel war unter anderem ein stark integriertes System der Betreuung, in dem die Gesundheitsversorgung vor Ort und jene im Krankenhaus eng miteinander verzahnt sind. Es sollten vor allem mehr „echte Alternativen zur Krankenhausaufnahme“ geschaffen werden skizzierte der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebs, Thomas Schael, die Herangehensweise: „Wir müssen die Behandlungsprozesse im Blick haben, um schneller zu Lösungen zu kommen. Etwa: Wie vermeiden wir Re-Akutisierungen bei Diabetikern mit Komplikationen?“

Der kroatische Gesundheitsminister Prof. Dr. Milan Kujundzic stellte auf dem Kongress Aktivitäten seines Landes vor, die dem Ziel dienen sollen, Kroatien zum regionalen Zentrum des Gesundheitstourismus zu machen.