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Krankenkassen sollen nicht für geringe Innovationskraft der Arzneimittel bezahlen

08.06.2015 12:31
Die Pharmaindustrie sieht sich als hoch innovativ und unverzichtbar für den Standort Deutschland. Darauf wird im Rahmen des Pharmadialogs gern hingewiesen. Auswertungen, die Wissenschaftler der Universität Bremen mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse (TK) in den vergangenen Jahren durchgeführt haben, kommen zu einem differenzierteren Ergebnis. Neue und patentgeschützte Präparate sind oft sehr teuer, können aber häufig gegenüber den bereits verfügbaren Mitteln keinen wesentlichen Zusatznutzen für den Patienten nachweisen.

"Die Forschung und Entwicklung von Medikamenten ist wichtig. Auch wenn die Pharmaindustrie in Deutschland viele Arbeitsplätze bietet, dürfen Gewinne mit Arzneimitteln ohne Zusatznutzen aber nicht auf dem Rücken der Versicherten gemacht werden", so Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der TK.

In den Innovationsreporten 2013 und 2014 und im Bestandsmarktreport wurden 57 Wirkstoffe anhand von Kriterien der evidenzbasierten Medizin und der TK-Verordnungsdaten analysiert. In der Ampelbewertung schafften es nur vier Präparate auf "grün". 27 Arzneimittel wurden mit "gelb" gewertet und 26 mit "rot". In die Bewertung flossen drei Dimensionen ein: Erstens, ob es bereits verfügbare Therapien zur Behandlung der jeweiligen Krankheit gibt. Zweitens, ob der Wirkstoff tatsächlich einen relevanten (Zusatz-)Nutzen vorweisen kann. Und drittens, ob die Kosten im Vergleich zu vorhandenen Therapien höher oder niedriger ausfallen. Trotz der geringen Innovationskraft verursachten diese Arzneimittel 2014 etwa zwölf Prozent der Bruttoarzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen. Eigentlich soll dies seit 2011 durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) verhindert werden.

"Das AMNOG soll dem Arzt eine Orientierung im Versorgungsalltag bieten. Wenn weiter teure Arzneimittel ohne Zusatznutzen für den Patienten verschrieben werden, ist das AMNOG noch immer nicht in der Arztpraxis angekommen", so Baas.

Trotz der frühen Nutzenbewertung, die der Gesetzgeber mit dem AMNOG eingeführt hat, zeige sich, dass zum Zeitpunkt der Markteinführung oftmals noch keine ausreichenden Erkenntnisse darüber vorliegen, welchen therapeutischen Fortschritt neue Arzneimittel im realen Versorgungsalltag darstellen. Daher sollte die Industrie auch nach Zulassung zur Durchführung von qualitativ hochwertigen Versorgungsstudien verpflichtet werden.

AMNOG muss verbessert werden

Im Gegensatz zum starren AMNOG-System, sollten die Kassen zudem mehr Möglichkeiten bekommen individuelle Preisverhandlungen mit den Herstellern zu führen. Geheime Arzneimittelpreise und Rabatte schützen die internationalen Verhandlungspositionen der Pharmahersteller und flexible Lösungen können verhindern, dass Produkte aus rein wirtschaftlichen Gründen vom Markt genommen werden. Beides führt zu einer besseren Versorgung und zu niedrigeren Preisen.

Im Mai 2015 ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in die Situation geraten, dass er dem Arzneimittel Glybera (Wirkstoff: Alipogentiparvovec, Therapiekosten etwa eine Millionen Euro) per Gesetz zunächst einen Zusatznutzen attestieren musste, obwohl das Nutzen-Risiko-Verhältnis von der Europäischen Arzneimittelagentur noch nicht abschließend bewertet werden kann. Arzneimittel, die wie Glybera zur Behandlung von seltenen Erkrankungen (Orphan Drugs) eingesetzt werden, bekommen per Gesetz automatisch einen Zusatznutzen attestiert, wenn sie die Umsatzgrenze von 50 Millionen Euro im Jahr nicht überschreiten. Das macht fachlich keinen Sinn. Denn auch wenn ein Arzneimittel für die Therapie einer seltenen Erkrankung entwickelt wurde, sollte es nur dann eingesetzt werden, wenn es einen wirklichen Zusatznutzen für die Patienten hat.

Die Industrie ist zudem aufgefordert, die Qualität der Studien zu verbessern und die Ergebnisse transparenter zu machen. "Wer ein wirklich innovatives Arzneimittel entwickelt hat, muss vor wissenschaftlicher Evidenz nicht zurückschrecken und den Vergleich zu bewährten Präparaten nicht scheuen", so Baas.

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