>> Die Apotheker sind schlecht drauf. Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) diagnostizierte in seiner Januar-Umfrage ein Stimmungstief unter den Pharmazeuten. Die Sorge scheint berechtigt, wie die jüngste Ausgabe des IFH-Apothekenbetriebsvergleichs zeigt. Demnach hat sich die betriebswirtschaftliche Situation der Apotheken deutlich verschlechtert. Beim Bruttoumsatz erreichten die Apotheken ein durchschnittliches Betriebsergebnis von 0,3 Prozent - 0,5 Punkte weniger als im Vorjahr. Insbesondere kleinere Apotheken mit bis zu fünf Mitarbeitern schreiben rote Zahlen. Laut IFH-Stimmungsbarometer haben sich die Zukunftsaussichten der Apotheker in den vergangenen Monaten kontinuierlich verschlechtert.
Der Grund für die Trübsal hat fünf Buchstaben: AMNOG. Mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes ist die Stimmung unter den Apothekern in Deutschland endgültig gekippt. Mehr als 40 Prozent der Befragungsteilnehmer bewerteten die Geschäftslage ihrer Apotheke im Januar als „negativ“, rund sieben Prozent sogar als „sehr negativ“. Ein Ende der Durststrecke sehen sie nicht: Über 80 Prozent der befragten Pharmazeuten erwarten, dass sich die Situation im laufenden Jahr weiter verschlechtern wird. Vier von zehn Befragten erwarten sogar eine massive Verschlechterung.
Das AMNOG hat die Apotheken kalt erwischt, dessen Auswirkungen lassen sich nicht an einer Hand abzählen. Da wäre zum einen die Anhebung des Kassenabschlags um 17 Prozent, von 1,75 auf 2,05 Euro. Laut ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) bedeutet das für eine Durchschnittsapotheke eine Extrabelastung von rund 7.500 Euro im Jahr.
Obendrein bekommen die Apotheken einen Seitenhieb vom Großhandel ab - in Form von Konditionenkürzungen, die der Großhandel aufgrund seiner neuen Belastungen an die Apotheken „weiterschiebt“. Über 90 Prozent der im Januar befragen Apothekerinnen und Apotheker gaben bei der IFH-Umfrage an, dass ihre hauptbeliefernde Großhandlung Konditionenkürzungen angekün-digt oder bereits durchgesetzt hat. Eine Apotheke-Adhoc-Umfrage er-gab, dass viele Apotheker nun bereit sind, den Lieferanten zu wechseln. 47,8 Prozent der Befragten gaben an, auch mit anderen Großhändlern zu sprechen. Nur 15,5 Prozent wollen dem Lieferanten treu bleiben, der Rest war bei der Frage unentschlossen. Nichtsdestotrotz bringen viele Apotheker laut IFH Verständnis für die Großhändler auf. Rund jeder Zweite von ihnen (52 Prozent) gab an, es zumindest in Teilen nachvollziehen zu können, dass vollversorgende pharmazeutische Großhandlungen die durch das AMNOG hervorgerufenen Belastungen an Apotheken weitergeben.
Nicht nur der Großhandel reicht die Last weiter, auch bei Direktbestellungen drohen Apothekern höhere Kosten. Der Impfstoffhersteller Sanofi-Pasteur MSD hat angekündigt, seine Konditionen anzupassen. Als Begründung führte das Unternehmen die AMNOG-Regelungen zu den Impfstoffpreisen und den damit verbundenen Zwangsrabatten an, die eine „enorme finanzielle Belastung“ bedeuteten.
Bei allem Verständnis für den Großhandel reagiert die Apothekerschaft eher gereizt aufs AMNOG, Stichwort Mehrkostenregelung. Das Gesetz, das zur Verbesserung der Therapietreue der Patienten angelegt ist und ihm die freie Wahl des Medikaments ermöglichen soll, sorgt derzeit für Unmut und gegenseitige Vorwürfe unter den Gesundheitsplayern. Das Problem: Zwar darf nun der Patient anstatt des von der Kasse vorgeschriebenen Rabatt-Arzneimittels ein anderes Präparat wählen und soll dabei die Differenz zum Rabattprodukt zahlen. Wie hoch aber der Betrag sein wird, den die Krankenkasse ihm erstattet, weiß er im Vorfeld nicht. Genauso wenig wie der Apotheker, der ihm dazu keine Auskunft geben kann. Die Abschläge der Pharmahersteller an die Krankenkassen sind geheim und deshalb lässt sich die preisliche Differenz zum Rabattarzneimittel nicht bestimmen. Die Folge: längere Wartezeiten für Kunden auf der einen und frustrierte Apotheker auf der anderen Seite.
Der Vorwurf der Apothekerschaft richtet sich vor allem an die Krankenkassen: Sie hätten ihre Versicherten nicht rechtzeitig über die neue Regelung informiert, was die Apotheker nun ausbaden dürften. Wo liegt also der Fehler, in der Struktur des Gesetzes oder bei den Krankenkassen? Im Grundsatz sei die Mehrkostenregelung zu begrüßen, weil sie dem Patienten mehr Wahlfreiheit gibt“, sagt Dr. jur. Hermann Kortland, Geschäftsführer und Leiter Wissenschafts- und Wirtschaftsdienst des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH). „Allerdings gibt es Fehler in der Umsetzung, die dazu führen, dass die neue Regelung ins Leere läuft“, fügt er hinzu. Beim Rechenmodell der AOK etwa werden alle gesetzlichen Abschläge für das Rabattarzneimittel, der Großhandelsabschlag und eine zusätzliche fünfprozentige Pauschale abgezogen. „Dadurch wird der Erstattungsbetrag so gering, dass die Versicherten eher abgeschreckt als ermutigt werden, von der Regelung Gebrauch zu machen. Diese Abschreckung gegenüber den Versicherten ist von den Krankenkassen offensichtlich auch gewollt“, sagt der BAH-Experte. Das wiederum hängt mit der Logik der Rabattverträge zusammen. Die Krankenkassen haben den Herstellern, die die Rabattverträge gewonnen haben, ihre gesamte Klientel versprochen. Wenn sich jetzt viele Versicherte für das Wunschmedikament entscheiden, bricht der Markt für diese Hersteller weg und die zuvor kalkulierten Rabatte werden nicht mehr haltbar.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat auf das AOK-Rechenmodell reagiert und in einem Schreiben an den BAH dessen Auffassung bestätigt, nämlich, dass die Krankenkassen nicht befugt sind, bei der Erstattung ihren Versicherten gesetzliche Abschläge abzuziehen, da diese bereits von den Anbietern der Arzneimittel an die Krankenkassen geleistet werden. Auch der gesetzliche Großhandelsabschlag zählt dazu, weil die Apotheken diesen Rabatt bereits bei der Abgabe des Arzneimittels in der Apotheke abziehen.
AMNOG-Chaos: Was ist die Aufgabe der Industrie?
„Die Verbände der Hersteller und die Apothekerschaft müssen gesetzeskonform und vernünftig ihre jeweilige Klientel auf die neue Situation vorbereiten und informieren. Dafür ist ein enges Zusammenwirken in den entsprechenden Gremien erforderlich“, sagt Hermann Kortland. Der BAH ist seinerseits um eine Lösung bemüht. In einem Schreiben an den BMG-Staatssekretär Stefan Kapferer hat der Verband seine konstruktive Mitarbeit angekündigt und den Vorschlag unterbreitet, gemeinsam mit dem Spitzenverband und dem DAV eine praktikable Lösung des Umsetzungsproblems bei der Mehrkostenregelung herauszuarbeiten. „Ich gehe davon aus, dass das Angebot zu einer gemeinsamen Übereinkunft angenommen wird und die Industrieverbände mit dem Spitzenverband und dem Deutschen Apothekenverband (DAV) bald zusammenkommen“, so Kortland.
Die Umsetzung der Mehrkostenregelung ist in der Tat für alle Beteiligten schwierig. Die Politik wirft dem DAV und dem GKV-Spitzenverband vor, sie hätten zum Anfang dieses Jahres die Umsetzung der Mehrkostenregelung in einem Rahmenvertrag regeln müssen, da diese bereits seit Juni 2010 bekannt war. Der BAH-Experte nimmt jedoch beide Parteien in Schutz: „Man sollte zur Verteidigung der Rahmenvertragspartner festhalten, dass das AMNOG sehr viele neue Regelungen mit sich bringt, die große Auswirkungen auf den Markt haben und die Vertragspartner belasten.“
Der DAV und der GKV-Spitzenverband scheinen jedenfalls „ihre Hausaufgaben“ mittlerweile gemacht zu haben. Einem Bericht der „Deutschen Apotheker Zeitung“ zufolge haben sich die Partner in einem Spitzengespräch auf einen Kompromiss bei der Mehrkostenregelung und dem Packungsgrößenchaos geeinigt. Dieser sieht in der Praxis so aus: Der Patient bezahlt zunächst das nicht rabattierte Arzneimittel komplett, ohne Hersteller- und Apothekenabschlag. Bei der späteren Abrechnung treiben die Apotheken aber den Herstellerrabatt für die gesetzlichen Krankenkassen bei den Arzneimittelherstellern ein und ziehen den Apothekenabschlag ab.
Darüber hinaus einigten sich beide Parteien auf eine Übergangsregelung zur Packungsgrößenverordnung bis zum 30. Juni 2011. Demnach sollen die mit N1, N2 und N3 gekennzeichneten Packungen sowohl nach den bisherigen als auch nach den neuen Regeln der Packungsgrößenverordnung ausgetauscht werden können. Ein EDV-Chaos war entstanden, weil einige Hersteller es versäumt hatten, ihre Produkte gemäß der neuen N-Klassifizierung zu melden. Daraufhin wurden die Präparate in der Apotheken-EDV teils fälschlicherweise als austauschbar angezeigt. Falschmeldungen gab es vor allem bei den Importeuren. Kortland dazu: „Für den Apotheker ist das problematisch, weil er eine falsche Endkennzeichnung hat, parallel aber die Importquote erfüllen und das Importarzneimittel abgeben will. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Unternehmen, die korrekt gemeldet haben und ist nicht akzeptabel.“ Der Experte geht allerdings wie auch andere Fachleute davon aus, dass die Falschmeldungen zum ersten Februar bereinigt sein werden.
Und dann noch die Lagerwertverluste
Die anfänglichen AMNOG-Startschwierigkeiten scheinen also im Hinblick auf den Apothekenmarkt eine Frage der Zeit zu sein, wären da nicht auch noch die Lagerwertverluste, die in Folge des neuen Großhandelsabschlags entstanden sind. Die Verluste seien schon vor Jahresende absehbar gewesen, sagt Fritz Becker, Vorsitzender des DAV. Deshalb hätten viele Landesapothekerverbände ihre Mitglieder darauf aufmerksam gemacht. „Allerdings gibt es keinen Anspruch der Apotheken gegenüber der Industrie“, darin ist sich der DAV mit der Industrie einig. Becker: „In der Realität kommt es auch darauf an, ob sich jetzt die Skonti und Funktionsrabatte der Großhändler gegenüber den Apotheken ändern.“ Kortland vom BAH zeigt sich in diesem Punkt zuversichtlich. In der Vergangenheit hätten sich die Geschäftspartner (Hersteller, Apotheker und Großhandel) auf individuelle Vereinbarungen und einen Teilausgleich geeinigt. „Das ist gelebte Praxis und wird sicherlich auch so bleiben. Denn jedes Unternehmen, das Geschäftsbeziehungen zum Großhandel und zu Apotheken hat, hat ein hohes Interesse daran, dass der Kontakt weiterhin von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis geprägt wird“, sagt er.
Sind Apotheker die Verlierer des AMNOG?
„Ja“, sagt der DAV-Vorsitzende. Die Apotheker würden massiv finanziell belastet, während Ärzten oder Kliniken nur der Zuwachs gekürzt werde. „Eine echte Enttäuschung“, wie er findet. „Die Arzneimittelversorgung soll gesichert werden, gleichzeitig werden Zwangsrabatte erhöht, und die Selbstverwaltung wird einmal mehr außer Kraft gesetzt“, ergänzt er. Das Fazit des IFH trägt nicht gerade zur Aufmunterung bei: Viel Spielraum, um die Kostensteigerungen und Margeneinbußen durch Sparmaßnahmen auszugleichen, bleibe den Apotheken nicht. Erfolgversprechend sei vielmehr eine kontinuierliche Verbesserung der Umsatzsituation, beispielsweise durch Zusatzangebote und -verkäufe, passgenaue Werbemaßnahmen und eine fundierte Preispolitik. Becker betont, dass es für kleine Apotheken kein Patentrezept gibt. Dass in einem immer komplexeren Regulierungs- und Wettbewerbsumfeld immer häufiger Apotheken aufgeben müssen, sei leider „eine unangenehme Tatsache“. Dennoch spricht Becker eine Empfehlung für die Zukunft aus: „Der Rat kann nur lauten, sich auf die eigene Kernkompetenz zu besinnen und den Bedarf der Patienten vor Ort genauestens zu analysieren und zu bedienen.“ <<
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