Nicht jede Marktrücknahme bedeute einen Verlust für die Patienten, denn für Arzneimittel, die im Rahmen des AMNOG-Prozesses keinen Zusatznutzen bekämen, stünden immer mindestens gleichwertige Therapieoptionen zur Verfügung. In Einzelfällen könne es bezüglich der Versorgungsrealität jedoch sinnvoll sein, auch Medikamente ohne Zusatznutzen im Markt zu halten.
Ergänzender Rabattvertrag bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen
Aus diesem Grund schlägt die TK ein Prozedere vor, das ergänzende Rabattvertragsregelungen der einzelnen Kassen bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen vorsieht: Falls sich GKV-Spitzenverband und Pharmaunternehmen preislich nicht einigen können, werde eine Schiedsstelle angerufen. Hier könne der GKV-Spitzenverband nun, falls er das Medikament für versorgungsrelevant hält, einen höheren Erstattungsbetrag, der jedoch um geheime Rabatte nach § 130c SGB V ergänzt werde, vorschlagen. So werde die Differenz zu der ursprünglichen Forderung ausgeglichen. Der Schiedsstelle obläge in der Folge die Entscheidung über den Erstattungsbetrag.
Bei der Wahl der Variante, die den geheimen Erstattungsbetrag betrifft, müsse das pharmazeutische Unternehmen innerhalb von drei Monaten mit der Mehrheit der Kassen einen Vertrag nach § 130c SGB V schließen, wobei das Unternehmen mindestens die vom GKV-Spitzenverband genannte zusätzliche Rabatthöhe gewähren müsse. Sollte das Quorum nicht erreicht werden, gelte automatisch der ursprünglich vom GKV- Spitzenverband vorgeschlagenen Preis.
]]>Wichtig sind die Konzepte
Ist es für ein erfolgreiches Agieren im Markt unerlässlich, die veränderten Paradigmen im Gesundheitswesen in Bezug auf die Stakeholder, die Geschäftsmodelle und Kommunikationssituationen sowie die Indikationen und Produkte zu verstehen, so gilt es schließlich auch, sich bewusst zu machen, mit welchen Konzepten wir bisher operieren, um die optimale Ressourcenallokation im Marketing zu ermitteln, und zu analysieren, inwieweit diese Konzepte tragfähig sind, um in der neuen Situation erfolgreich zu agieren.
Insbesondere das Beratungsunternehmen ZS Associates hat sich durch so interessante wie erfolgreiche Ansätze zur Dimensionierung des Außendienstes nach den Kategorien Frequency (Häufigkeit der Besuche bei dem einzelnen Arzt oder Apotheker), Reach (Anzahl der besuchten Ärzte aus der Grundgesamtheit) und Coverage (Grad der Abdeckung der relevanten Zielgruppe) hervorgetan.
Aus den für die Vergangenheit errechneten Proportionen zwischen diesen Werten und den Umsätzen wurde eine möglichst erfolgversprechende Dimensionierung für die Zukunft extrapoliert. Die zugrundeliegenden mathematischen Algorithmen verleihen dieser Herangehensweise eine nicht zu leugnende Plausibilität, die sich noch steigern lässt, wenn die errechneten Werte für eine bestimmte Markt-situation durch verschiedene Ex-pertenbefragungsmethoden wie vor allem das Delphiverfahren überprüft und präzisiert werden.
Doch diese rein auf der Ebene der Quantität operierenden Konzepte führen zusehends in ein Dilemma. Dürfte sich schon bei der traditionellen Kommunikation mit dem Arzt die Frage gestellt haben, was ihm der Außendienstmitarbeiter bei acht Besuchen im Jahr denn eigentlich noch erzählen sollte, so wird der Sinn dieser Besuche umso zweifelhafter, wenn die Entscheidung über die Therapie einer bestimmten Indikation schon von den entsprechenden Instanzen innerhalb des übergeordneten Ärztenetzes oder zwischen den Krankenkassen und bestimmten Herstellern in Form von Versorgungsverträgen getroffen ist. Denn in diesem Fall kann der Arzt sich gar nicht mehr für das eigene Produkt entscheiden – auch wenn der Außendienstmit-arbeiter ihn noch so sehr davon überzeugt hat!
Begrenzt wird die Möglichkeit, durch stärkeren Mitteleinsatz zu besseren Verkaufsergebnissen zu kommen, auch durch die Vorgaben des G-BA: Wo dieser als Teil des Nutzendossiers eine Budget-Impact-Analyse verlangt, wird eine zu teure Außendienstkampagne schnell zum Stolperstein für die Verordnungsfähigkeit. Lineare Sellingmodelle, das dürften auch diese einfachen Skizzen verdeutlichen, werden der gewandelten Situation im Gesundheitswesen nicht mehr gerecht.
Was die längerfristige Perspektive und die Nachhaltigkeit angeht, hat die Berechnung des Carry-over-Effekts, also der Nachwirkung von intensiven Marketingkampagnen über das erste Jahr hinaus, in der Absatz-, Marketing- und Werbewirtschaft zunehmende Bedeutung erlangt.
Auch der Carry-over-Effekt wird aufgrund von historischen Daten errechnet und durch Delphirunden und Expertenschätzungen plausibilisiert. Hat man für ein Produkt einen Carry-over-Effekt für einen definierten Zeitraum in der Zukunft bestimmt, so lässt sich daraus das Delta ableiten, das durch weitere Marketing- und Salesaktivitäten zu gestalten ist.
Carry-over-Effekte bewegen sich im Pharmamarkt zwischen ca. 85 Prozent (chronische Indikationen) und 50 Prozent (akute Indikationen). Der weitere zeitliche Verlauf ist dann wieder ziemlich unterschiedlich. Doch auch hier kann man nicht von quasi mechanischen Relationen ausgehen, vielmehr sind viele unterschiedliche Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Zunächst behauptet sich ein Medikament generell umso stärker und nachhaltiger, je besser es in den einschlägigen Medien bewertet wird – ein Faktor, der durch einfache Marketingmaßnahmen höchstens sehr geringfügig zu beeinflussen ist. Zudem hängt im Einzelfall die Nachhaltigkeit von Werbemaßnahmen von mehreren Bedingungen ab.
Bei der Theorie des Carry-over-Effekts wird kritisiert, dass er bei Krankenhausprodukten quasi nicht gültig ist, und auch für Krebspräparate wurde aufgrund der schnellen Anpassung der Therapieregime die Nützlichkeit des Konzepts allenfalls eingeschränkt konzediert.
Vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels im Pharmamarkt müssen jedoch über die genannten Faktoren hinaus so viele weitere Aspekte einbezogen werden, dass fraglich wird, inwiefern der Carry-over-Effekt überhaupt noch eine erklärende Kraft hat.
Am folgenreichsten ist sicherlich der Ausschluss eines Produkts aus der Verordnung in der GKV durch eine Entscheidung des G-BA und die operative Umsetzung durch die Arzneimittelrichtlinien, wie es jüngst bei „Actos“ von Takeda (einem Insulinsensitizer zur Behandlung von Diabetespatienten) der Fall war.
Schwierig wird es für Produkte aber auch schon, wenn sie in eine Festbetragsgruppe eingeordnet werden. Auch wenn ein Präparat bei flächendeckenden Verträgen nicht berücksichtigt wird, muss der Mythos vom Carry-over-Effekt leider gänzlich verblassen.
Die genannten Argumente wollen das grundlegende Prinzip der Ausstrahlung von einmal getätigten Marketingaktivitäten in die Zukunft nicht gänzlich in Frage stellen, doch kann von einer quasi automatisierten Gültigkeit keine Rede sein. Zudem muss der Grundansatz noch in zweierlei Hinsicht korrigiert werden:
Optimale Ressourcenallokation
Eigentlich ist alles ganz einfach: Die optimale Ressourcenallokation ist dann erreicht, wenn langfristig der höchstmögliche Return on Investment erzielt wird oder, konkreter formuliert: wenn das eigene Produkt bei der entsprechenden Indikation möglichst flächendeckend eingesetzt und ein guter Preis dafür gezahlt wird. Aufgrund der geschilderten zunehmenden Komplexität des Gesundheitssystems ist eine solche Abdeckung allein mit der möglichst intensiven Ansprache möglichst vieler Ärzte nicht mehr zu erreichen. Ein differenzierter Market Access jedoch und die genaue Analyse der Bedingungen erlauben es, quasi ein dichtes Netz aufeinander abgestimmter Verkaufsstrategien über eine Region zu legen. So werden die unterschiedlichen Stakeholder mit Argumenten und Angeboten angesprochen, die auf ihre jeweiligen Fragestellungen antworten – von den Ärzten und insbesondere den aggregierten Leistungserbringern über die Kostenträger und die Regulierungsinstanzen in Politik und Ärzteschaft bis hin zu den medizinischen Bewertern und Meinungsbildern.
Fazit
Über der Fixierung auf die Optimierung des nationalen Geschäftsergebnisses wird die besonders im Pharmabereich so wichtige Dimension des regionalen Zugangs häufig übersehen. Dabei liegen gerade hier wesentliche Chancen – Chancen, mit denen sich letztlich ein überzeugendes nationales Ergebnis verwirklichen lässt. Sie zu nutzen, setzt freilich voraus, dass man die Bedingungen kennt: Einerseits strukturell, denn innerhalb eines grundlegend veränderten Gesundheitswesens werden die bisherigen Konzepte für Marketing und Selling zusehends obsolet, an die Stelle eher quantitativ strukturierter Konzepte zur weiträumigen Ansprache der Verordner tritt ein breites Spektrum verschiedener Verkaufsstrategien, mit dem die unterschiedlichen Stakeholder für das eigene Produkt gewonnen werden. Zudem muss man aber auch mit den konkreten Gegebenheiten vor Ort vertraut sein, von den jeweiligen Stakeholdern bis zur existierenden Vertragslandschaft.
Für den Bedarf und die Anforderungen des Market Access werden bis heute allerdings erst wenige gute Daten, Konzepte und Supporttools angeboten. Doch einige gibt es ... <<
Autor:
Dr. med. Klaus-Jürgen Preuß ist Gründungspartner der EPC HealthCare GmbH, Hamburg. 15 Jahre praktische Erfahrung in der Pharmaindustrie sowie mehrere Jahre in der Medizintechnikbranche und auf Seiten der Krankenkasse. Gründungsmitglied der DGFMA.
Das Gespräch führte Jutta Mutschler, leitende Redakteurin „MA&HP“.
]]>Fehlende Harmonisierung
Nicht die operativen Fragestellungen, wie das AMNOG umgesetzt oder weiterentwickelt werden könnte, standen bei Monika Fenzau, zuletzt tätig bei Bristol-Myers-Squibb, im Mittelpunkt ihres Vortrages. Sie wollte einen Blick - „um in Fußballersprache zu sprechen“ in die nächste oder übernächste Saison werfen. Gleich zu Beginn des Referates machte sie deutlich, dass sie der Nutzenbewertung sehr positiv gegenüberstehe. „Denn auch als Bürgerin und Konsumentin ist für mich eine Nutzenbewertung eigentlich völlig selbstverständlich.“ Beim Kauf eines neuen Kühlschrankes wolle sie schließlich auch wissen, was der Neue besser könne als der Alte und worin sie sich unterscheiden. „Deshalb von meiner Seite aus und ich bin da gar nicht so alleine in der Industrie - ein eindeutiges Ja zur Nutzenbewertung von Innovationen per se“, so Fenzau. Um danach gleich festzustellen: „Aber bitte nicht so.“
Heutzutage gäbe es ein zweistufiges Evaluationsverfahren, nämlich zunächst einmal die europäische Zulassung von neuen Wirkstoffen. „Das heißt die Sicherheit und Wirksamkeit von Wirkstoffen wurde entsprechend geprüft.“ Dazu kämen in den vielen Nationalstaaten nachgelagerte Nutzenbewertungen, zum Teil auch explizite Kosten-Nutzen-Bewertungen. Aufgrund fehlender Harmonisierung im Hinblick auf Datenquelle, Studiendesign oder Methodik ergeben sich teils „kuriose“ und völlig unterschiedliche Ergebnisse.
Das wiederum führe zu erheblicher Verunsicherung nicht nur bei den Herstellern, sondern auch bei den Patienten und nicht zuletzt den politischen Verantwortlichen in den einzelnen Ländern. „Diese Form von Ergebnissen kann nicht die Zukunft sein“, erklärte Monika Fenzau. Ihre Lösung: Harmonisierung. „Meine Botschaft lautet hier, dass wir Nutzenbewertungen zeitlich parallel laufen lassen müssen zur Zulassung.“ Harmonisierung müsse hinsichtlich Datenquellen, Studiendesign und Methodik im Hinblick auf die Nutzenbewertung erfolgen. So könne schließlich auch gewährleistet werden, dass Arzneimittel nicht „nur“ gegen Placebo getestet würden, sondern tatsächlich auch gegen eine angemessene, nachvollziehbare Therapiealternative. Mit anderen Worten: „Würde man es parallel laufen lassen, dann kommt ein neuer Wirkstoff nicht nur mit einer europäischen Zulassung auf den europäischen Markt, sondern auch gleich im Hinblick auf den Zusatznutzen zur Vergleichstherapie.“
Doch nicht nur bei der zeitlichen Herangehensweise, sondern auch beim Verfahren selbst sieht Fenzau Verbesserungspotenzial. Ihrer Ansicht nach sollten sich die einzelnen nationalen HTA-Agenturen auf Wirkstoffe bewerben, die sie überprüfen. „Die dort gefundenen Ergebnisse gelten dann für den gesamten europäischen Raum.“
Konsequente Delegation
Kritik übte Monika Fenzau auch beim Thema Preisfindung innerhalb des AMNOG-Verfahrens. „Warum muss der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen einen Preis verhandeln?“ Sie habe in letzter Zeit Gespräche mit dem ein oder anderen einflussreichen Repräsentanten der GKV geführt und nachgefragt, wie sie es fänden, dass der GKV-Spitzenverband helfe, die Preise mit der Industrie zu verhandeln. Die Reaktionen seien durch die Bank gleich gewesen: Alle befragten Repräsentanten forderten das Verhandlungsmandat für sich.
Deshalb laute ihre Botschaft auch: Konsequente Delegation von Verhandlungsautonomie nach unten. Laut Fenzau berge die Delegation folgende Vorteile: Erstens könne sich der Arzt auf seine Kernkompetenz konzentrieren und wäre aus der ökonomischen Verantwortung komplett entlassen. „Denn die ökonomische Verantwortung von innovativen Arzneimitteln ist dann in die Hände derer delegiert, in die sie gehört - nämlich Hersteller und Zahler.“
Die Delegation der Verhandlungskompetenz an Hersteller und Krankenkasse hätte darüber hinaus auch Auswirkungen auf das internationale Reference-Pricing, das sich am deutschen Markt orientiere. „Dadurch, dass das AMNOG diesen Effekt des Reference-Pricings völlig ignoriert, in dem es einen Verhandlungspreis in die Lauer-Taxe schreibt, kann es eben zu einem Kellertreppeneffekt führen“, so Fenzau. Würde die Verhandlungskompetenz aber an Krankenkassen delegiert werden, wären das Verträge zwischen gleichberechtigten Partnern, deren Inhalte in der Regel nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden. „Somit wird das Thema internationales Reference-Pricing gar nicht erst zum Problem“, erklärte Monika Fenzau abschließend.
Einen Blick in die berühmte Kristallkugel wagte Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers (Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner) mit seinem Vortrag „Health Care Fraud in Deutschland - Drohen der pharmazeutischen Industrie amerikanische Verhältnisse?“ Um die Brisanz des Themas zu verdeutlichen, berichtete Ehlers zunächst über die Entwicklungen in den USA.
Es sei dahingestellt, ob das Gesundheitssystem in den USA das teuerste sei oder nicht. Tatsache sei jedoch, dass die strukturelle Korruption in den USA längst zur Nummer eins der Wirtschaftskriminalität geworden sei. „Mindestens 3 bis 10 Prozent des gesamten Gesundheitsbudgets gehen durch Straftaten, sogenannte Health Care Frauds, verloren“, so Ehlers. Dies sind schätzungsweise ca. 80 Milliarden Euro - eine Summe, die im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung vergeblich investiert werde. Die kriminogenen Faktoren, die in den USA eine Rolle spielten, seien durchaus auch in Deutschland zu finden: „Das sind fehlende Transparenz, falsche Systeme zum Anreiz und letztendlich wird es dem Straftäter leicht gemacht, das System zum eigenen Vorteil auszunutzen.“
In den USA werden laut Ehlers von den Arzneimittelherstellern regelmäßig bis zu dreistellige Millionenbeträge gezahlt, um zivil- und strafrechtliche Verfahren zu beenden. Das Problem seien falsche Informationen. Beispielsweise „aufgeblähte durchschnittliche Großhandelspreise“. Bei einem Hersteller, der falsche Großhandelspreise angibt und damit letztendlich einen Dritten dadurch schädigt, spreche man nicht von zivilrechtlich auszugleichenden Schadenersatzforderungen, sondern von kriminellem Verhalten.
Problem sind falsche Informationen
Auch die „Manipulation des nominellen Preises“ könne in den USA Strafverfahren nach sich ziehen. Ebenso müssten nach der Bestimmung des Best Price auch Kosten bzw. Kostenvergünstigungen für privates Etikettieren, Umverpacken und Umetikettieren eingerechnet werden.
Zwar existierten keine genauen Zahlen zu den tatsächlichen Schäden durch Betrug und Manipulation für das deutsche Gesundheitssystem. „Nach Expertenansicht entsteht dem Gesundheitssystem in Deutschland ein jährlicher Gesamtschaden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro“, führte Ehlers aus. Das enstpreche knapp 6 Prozent der Gesamtausgaben. Wie tragfähig die Zahlen letztendlich seien, könne er nicht beurteilen. „Doch egal wieviele Euros verschwendet werden, es sind Gelder, die bei knappen Ressourcen einfach bei der Versorgung fehlen.“
Die Frage müsse nun lauten: Könnten diese amerikanischen Verhältnisse auch auf Deutschland übertragen werden? „Wenn ich eine Prognose wage und den Blick in die Glaskugel werfe, dann sage ich Ja“, erläuterte Ehlers. Zwar gebe es keine direkte Übertragbarkeit, da die Rechtssysteme sehr verschieden seien. „Aber man beachte den Paradigmendwechsel“, mahnte der Rechtsexperte. Haben die Hersteller früher die Arzneimittelpreise für Innovationen selbst festgelegt, erfahre die Preisbildung durch das AMNOG eine gravierende Änderung, „denn erstmals wurden Mitteilungspflichten eingeführt“. Verletzung der Mitteilungspflicht wäre beispielsweise gegeben, wenn Angaben des Herstellers gegenüber dem G-BA bei der frühen Nutzenbewertung, insbesondere in Verhandlungen mit dem Spitzenverband Bund oder dem anschließenden Schiedsamtsverfahren, falsch sind.
Darüber hinaus könne er Monika Fenzau bei ihrer Forderung nach Harmonisierung bei der europäischen Nutzenbewertung nur zustimmen. „Ich glaube, dass es bei der frühen Nutzenbewertung noch sehr viel Diskussionsbedarf gibt“, so Ehlers, „denn eine Vielzahl an Rechtsproblemen ist noch offen.“ <<
Vier grundsätzliche Fragen zu klären
Vor der Erstellung des Dossiers müssten zunächst vier grundsätzliche Fragen geklärt werden. Frage Nummer eins lautet: „Welcher Hersteller wird als erstes aufgefordert?“ Daran anknüpfend folgt die Frage, ob ein Beratungsgespräch mit dem G-BA geplant sei. Drittens welches Bewertungsergebnis beziehungsweise welcher Zusatznutzen erwartet werde. Und zuletzt: „Ist eine Stellungnahme zur eigenen Bewertung geplant? Und wie werden die Wettbewerber Stellung beziehen?“ Diese Fragen sollten vor der Erstellung geklärt werden, „um einen roten Faden in die Argumentationskette zu bekommen“.
Vor der endgültigen Einreichung sollte das Dossier unbedingt nochmals auf die Qualität bestimmter Aspekte hin überprüft werden, wie zum Beispiel die Vollständigkeit der Studien, Abgleich mit rechtlichen Vorgaben, inhaltliche Konsistenzkontrolle, Prüfung der Orthografie und last but not least: „Spiegeln sich die Corporate-Identity-Vorgaben des Unternehmens auch im Dossier wider?“
Ein entscheidendes Problem bei der Erstellung der Dossiers liegt nach Einschätzung von Thomas Ecker im vorgegebenen zeitlichen Rahmen: „Ohne Qualitätsverlust ist die Erstellung des Dossiers kaum schneller als in 20 Wochen zu bewerkstelligen.“ Die 12-Wochen-Frist halte er für eher unrealistisch. Die Erstellung eines Dossiers gliedere sich in vier Phasen: Scoping Workshop, Erstellung des Argumentationsgerüstes, First Draft und dann schließlich die Finalisierung und Kontrolle. „Im Scoping Workshop werden zentrale Fragen im Projektteam abgestimmt“, so Ecker. Fragen wie „Was sind die relevanten Eckpunkte?“, „Wie viele Patienten sind zu erwarten?“ und „Was ist die zweckmäßige Vergleichstherapie?“ müssten in dieser Phase geklärt werden. „Das Argumentationsgerüst fasst im Anschluss die wesentlichen Fakten für den Nachweis des angestrebten Zusatznutzens konsistent zusammen.“ In der dritten Phase werde die Evidenz für den Nutzennachweis als Textdokument aufbereitet und schließlich erfolge dann die Qualitätskontrolle. Ecker mahnte die Zuhörer, insbesondere auch auf die Vollständigkeit der Daten im Dossier zu achten. „Denn alles was fehlt, kann im Zweifel gegen Sie verwendet werden.“
18 Kostendämpfungsgesetze in 20 Jahren
In seinem Vortrag „Innovative Direktverträge - Positionen der Pharmaunternehmen“ warf Dr. Bernd Wegener, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie (BPI), einen Blick zurück auf die unternehmerischen Herausforderungen der letzten zwei Jahrzehnte aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmen. „Wenn wir bis ins Jahr 1990 zurückgehen, so hatten wir in der Zeit insgesamt 18 Kostendämpfungsgesetze.“ Weitere Regulierungen kamen durch Festbeträge, Erstattungsausschlüsse bei der Selbstmedikation, Einführung der Rabattverträge oder Steuerung des Verschreibungsverhaltens durch Budgetierung.
Bei den Selektivverträgen stellten die Rabattverträge einen „dominaten Vertragstyp“ dar. Den Zahlen nach sind die Rabattverträge ein Erfolgsmodell“, sagte Wegener. „Mit Stand April 2010 gab es 12.211 Rabattverträge, an denen 116 Krankenkassen und 141 pharmazeutische Unternehmer beteiligt waren.“ Das Gros der Rabatte betraf dabei Generika, die mit einem Festbetrag belegt waren. Die Einschätzung, dass mit dem AMNOG selektivvertragliche Möglichkeiten nach den §§ 130 b, 130 c sowie 140 b gestärkt würden, kann Wegener nicht teilen. Im Gegenteil: „Meiner Ansicht nach haben wir eher verminderte Verhandlungsspielräume.“ Die Anhebung der gesetzlichen Herstellerabschläge von 6 auf 16 Prozent für verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Festbetrag sowie das Preismoratorium, das bis zum 31.12.2013 gilt, nannte der BPI-Vorsitzende als Gründe. Darüber hinaus erwarte er eine zusätzliche Einschränkung durch die vorgeschalteten zentralen Verhandlungen über den Erstattungsbetrag nach § 130 b SGB V. Zwar sei die Weiterentwicklung noch schwer vorhersehbar. „Aber der Impuls für selektive Vertragsoptionen ist eher fraglich“, so Wegeners Resümee. <<
Autorin: Jutta Mutschler
Regiert da das Prinzip Hoffnung?
Wir dürfen keine konkreten Zahlen aus unseren Projekten nennen. Aber die Verbesserung der Compliance ist signifikant. Das hilft dem Gesundheitsbudget der Kassen und natürlich den Patienten selbst.
Und der Pharma-Industrie.
Über solche Konzepte muss die Industrie bei hochpreisigen Medikamenten nicht lange nachdenken, weshalb solche Programme auch über viele Jahre und mit Erfolg als Marketinginstrumente eingesetzt wurden.
Wo ist dann ein neuer Ansatz zu verorten?
In der tieferen Integration der Dienstleistungskette: Man kann noch mehr als bisher erreichen, wenn man ein solches Konzept über das reine Kommunikationsthema hinaus in die Belieferungskomponente überführt. Denn erst mit diesem Schritt kann das Dispensieren der Arzneimittel individualisiert und personalisiert werden, indem man beispielsweise mit dem Produkt patientenspezifische Informationen herausgibt. Das kann in Kooperation mit einer Versandapotheke oder bei Patienten - die eben nicht versand-affin sind - in Partnerschaften mit Officinapotheken geschehen, wobei wir natürlich die passende Prozessplattform zur Verfügung stellen können.
Im Prinzip wird damit das Direct-to-Patient neu definiert. Doch: Was ist mit dem Großhandel?
Wir haben keine Großhandelsfunktion und wollen die auch nicht. Wir sind und bleiben Dienstleister, und die Ware ist und bleibt Eigentum der Industrie. Wir reden hier von einer Spezialisierung im Bereich der Direktbelieferung.
Wobei es vor rund zwei Jahren Probleme gab, weil die großen Player mit ihrem kompletten Sortiment am Großhandel vorbei gehen wollten.
Doch dann kam die AMG-Novelle, in der der Belieferungsanspruch des Großhandels festgeschrieben wurde; mit dem Effekt, dass es dadurch nicht mehr wirtschaftlich war, solche Systeme aufzubauen. Das wird zwar auch heute immer noch teilweise thematisiert, aber ich sehe nicht, dass die Direktbelieferung aufgrund der nötigen Investitionen bei unsicheren Mengen in der Breite kommen wird.
Doch im Bereich der Spezialmedikamente.
Sicher. Hier ist es alleine schon durch das Preis- und Margenthema interessant, direkt zu beliefern, besonders dann, wenn man die Direktbelieferung als zusätzlichen Kommunikationskanal nutzen kann. Wir nennen das ganze System PRM oder „Patient-Relationship-Management“, bei dem die Apotheke aber auch die Ärzte als Stakeholder eingebunden werden, indem beispielsweise ergänzende Fachinformationen distribuiert und passende Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt werden. Wichtig ist es, hier zu betonen, dass dem Arzt nicht in die Therapie reingeredet wird, sondern ihm vermittelt werden soll, dass ihm durch das PRM der uns beauftragenden Pharmaindustrie ein Teil seiner Informationspflicht abgenommen wird.
Was macht dann noch der Außendienst?
Der Außendienst wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Zwar bauen die Hersteller ihren eigenen Außendienst zum Teil dramatisch ab, aber gleichzeitig werden ergänzende und substituierende Kommunikationskanäle wie eDetailing, Telesales oder Tele-Detailing eingesetzt, die arvato ja heute bereits erfolgreich anbietet.
Hat der Außendienst denn zukünftig die gleiche Ausrichtung wie heute?
Nein. Heute ist der Sales-Support doch noch sehr produktfokussiert, wird aber künftig ebenso serviceorientiert sein müssen. Hier schließt sich der Kreis wieder zum ANMOG, denn die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung als auch zwischenzeitlich möglicher Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung sowie der Verhandlungen mit dem Spitzenverband Bund und einzelnen Kassen müssen dem Arzt entsprechend kommuniziert werden. Da kommen auf den Außendienst wie die ärztlichen Fachmedien ganz neue Aufgabenbereiche zu.
Was auch fürs Marketing der Pharmaindustrie allgemein gilt oder auch für die gesamte Ausrichtung von Unternehmen.
Nicht mehr das Fertigen ist das Thema der Zukunft, sondern die Supply-Chain. Das ist in anderen Branchen bereits State-of-the-Art. Als Dienstleister für die Film- oder Musikindustrie bekommt arvato services zum Beispiel in Hollywood die Filme oder die Musik der großen Studios nicht nur zur Medienproduktion und Distribution, sondern im Fullservice - eben Product-to-Solution - von der Nachbearbeitung bis hin zur Archivierung.
Was muss dazu in der Pharmaindustrie passieren?
Vor allem ein Umdenken in den Köpfen der Topmanager. Das hat aber bereits vor längerer Zeit eingesetzt und wird durch Gesetze wie das AMNOG nur noch verstärkt. Wichtig ist die Erkenntnis, dass neben einem perfekten Produkt die Elemente Service und Lösungsorientierung immer wichtiger werden - auch für Pharmaunternehmen. Das bedingt zuerst ein Umdenken und dann eine konsequente Umstellung des Market Access bis hin zur Kommunikation und dem Einsatz des Außendienstes. Das ist der Bereich, in dem wir derzeit aktiv sind - von Schulung und Prozessoptimierung über Endkunden- und Fachkommunikation bis hin zum Outsourcing der Logistik und der Übertragung der gesamten Lagerhaltung.
Auch in der Pharmaindustrie beginnt anscheinend langsam der Einzug von Komplettlösungen.
Die jedoch meist noch als defensive Strategie gesehen werden. Doch einige Unternehmen sind schon dabei, sich wesentlich breiter aufzustellen, eben mehr zu machen als - salopp gesagt - nur Tabletten oder Spritzen.
Was nicht verwunderlich ist, denn bislang fehlte der Druck, um Prozessoptimierung wirklich ernsthaft zu betreiben und eine neue Rolle auch ausfüllen zu wollen.
Das ist das Gesetz der Evolution. Auf unseren Bereich übertragen heißt das, dass sich ein Marketinginstrument in den Bereich Market Access weiterentwickelt, sich sogar zu etwas Neuem gemeinsamen formt.
Wobei Market Access bei der Industrie sehr unterschiedlich aufgehängt ist.
Die einen sind eben sehr wissenschaftlich, die anderen eher politisch und die dritten mehr marketingtechnisch und dann meist sehr indikationsspezifisch geprägt. Allen Ausformungen des Market Access gemein ist, dass sie immer noch eher defensiv ausgerichtet sind; meist, um sich auf die frühe Nutzenbewertung oder auf einen Zeitpunkt vorzubereiten, an dem einmal nachzuweisen ist, dass sich durch möglichst evidenzbasierte Prozesse der Versorgungsgrad verbessert, was dann durchaus in späteren Preisverhandlungen oder späteren Nutzenbewertungen eine Rolle spielen kann.
Dennoch wird anscheinend der Market Access sukzessive von einer eher passiven in eine aktive Rolle überführt.
Es werden bereits erste Komplettlösungen angestrebt, bis hin zu eigenen Disease-Management-Ansätzen als originäres Angebot der Pharmaindustrie, was § 140 SGB V ja möglich macht. Auch hier führen wir erste Gespräche. Allerdings sind viele Unternehmen, die in diese Richtung denken, noch in der Findungsphase. Das ist auch nicht verwunderlich, da wir hier meist von multinationalen Ansätzen reden. Das erleichtert das Ganze nicht gerade, denn wenn sich ein großes Pharmaunternehmen nicht mehr als Hersteller, sondern als Healthcare-Provider sieht, muss es sich anders ausrichten und trifft dabei auf die unterschiedlichsten Gesundheitssysteme.
Also wird wohl ein eher generischer Ansatz favorisiert werden.
Weil er für ein bestimmtes Cluster an Gesundheitssystemen funktioniert. Nur so werden solche Systeme und Prozesse funktionieren können, wenn sie über die Ebene der Spezialpräparate in die Ebene der Volkskrankheiten skaliert werden sollen. Weil hier die Margen wesentlich niedriger als bei Spezialpräparaten sind, wird aber auch immer der Punkt kommen, an dem es eine stärkere Rolle spielen wird, sich vom Produkt eines Wettbewerbers durch ergänzende Services zu profilieren.
Womit wir wieder beim § 140 sind.
Ein Versorgungsprogramm für viele Menschen ohne die Beteiligung der Kassen wird nicht funktionieren, würde aber für beide Seiten auch absolut keinen Sinn ergeben. Das Problem für die große international tätige Pharmaindustrie ist es, dass spätestens an diesem Punkt alle Konzepte sehr landesspezifisch werden, weil auf dieser Ebene der Unterschied der Gesundheitssysteme am deutlichsten zu Tage tritt.
Damit könnte die größte Baustelle aller Kassen angegangen werden: das Versorgungsmanagement.
Da treffen sich durchaus zwei Interessen. Hier zusammenzuarbeiten wäre absolut logisch, aber da tun sich beide Seiten noch schwer. Auch weil wir es hier mit dem in Deutschland sehr ernsthaft diskutierten und gehandelten Datenthema zu tun haben. Darum werden wir ein Trustcenter einrichten, damit Pharmahersteller wie Kassen mit unserer Hilfe in das datengetriebene Versorgungsmanagement investieren können - auch hier laufen erste Gespräche.
Da denkt man immer gleich an die amerikanische Idee der Health Maintenance Organizations.
An eigenständige Geschäftsmodelle wie die der HMO glaube ich in Europa, speziell in Deutschland nicht. Zumindest nicht von uns initiierte. Aber vielleicht sind wir ja irgendwann mal auch hier Prozesspartner.
Herr Winkelmann, vielen Dank für das Gespräch. <<
Autor
Hanspeter Quodt ist Vorsitzender der Geschäftsführung von MSD Deutschland.
Kontakt: hanspeter.quodt@msd.de
Web: www.msd.de
Allein schon die aktive Zusammenarbeit in den Schiedsstellen sowie in den Vorgesprächen bei IQWiG und G-BA birgt Hoffnung.
Das sehe ich genau so. Wir stehen in regem Austausch mit dem G-BA und hatten auch schon mehrfach Gelegenheit, mit dessen Repräsentanten zu sprechen. In diesen Gesprächen ist durchaus eine Bereitschaft für einen konstruktiven Umgang mit der Pharmaindustrie wahrzunehmen.
Was kann die Pharma tun?
Jedes Unternehmen muss sich selbst darauf ausrichten, wie es kurz- und längerfristig mit den Auswirkungen des AMNOG umgeht. Doch schon jetzt ist klar, dass es weitreichende und durchaus signifikante Änderungen sein werden. Das betrifft zum einen den Umgang mit der Nutzenbewertung als solcher. Das betrifft aber auch die Struktur des Unternehmens und natürlich die Rolle, die sie als Unternehmen insgesamt einnehmen können und wollen.
Die Frage wird sein, ob die Pharmaindustrie es schafft, die Chance wahrzunehmen und Market Access als neue Geisteshaltung zu implementieren. Dies bedingt, dass man eben künftig nicht mehr alles macht, was kurzfristig Umsatz bringt, aber mittelfristig auf Kosten des Images des jeweiligen Unternehmens und manchmal leider auch auf das der ganzen Branche geht.
Diese Haltung findet man schon heute in vielen Unternehmen, aber sie wird sich nach Art eines Schneeballeffektes durch die ganze Branche ziehen. Doch nicht so sehr das Image eines Unternehmens oder der Branche wird künftig die größere Rolle spielen, sondern die Art und Weise, wie mit dem Valuedossier umgegangen wird.
Market Access wird also über das Arzneimitteldossier Auswirkungen auf das klassische Marketing haben.
Als auch auf die Verzahnung im ganzen Unternehmen. Es wird ja nicht so sein, dass irgendwo Leute im Market Access sitzen, die dann das Geschäft für alle Business Units bestimmen wollen.
Das werden sie auch nie können.
Eben. Die Chance liegt in einer neuen Verzahnung in alle Bereiche des Unternehmens hinein - von Forschung & Entwicklung über die Medizin bis Marketing und Vertrieb. Allen wird klar werden, dass mit dem ANMOG das Valuedossier zur Grundlage jedweden Marketings wird. Wir werden keine Produktkommunikation mehr betreiben können, die nicht exakt auf die Evidenz fußt, die in dem Dossier beschrieben wird. Doch auch das ist eine große Chance für ein Mehr an Nachhaltigkeit und einen fairen Umgang mit unseren Partnern auf Leistungserstattungs- wie Leistungserbringerseite.
Wie weit ist MSD?
Als weltweit führendes Unternehmen haben wir den Anspruch, nicht einfach nur ein Pharmahersteller klassischer Provenienz zu sein, sondern wollen eine viel aktivere Rolle im Gesundheitswesen wahrnehmen.
Wozu der Paragraph 140 SGB V ja auch die Möglichkeit schafft.
Dem Thema der integrierten Verträge werden wir uns ab dem nächsten Jahr sehr intensiv widmen. Es ist vielleicht ganz gut, dass wir uns damit - auch bedingt durch die eben abgeschlossene Fusion - eher zurückgehalten haben, denn solche Konzepte besitzen schon größere Dimensionen.
Was erwarten Sie von Ihrem Verband?
Die Pharmaindustrie muss die breite Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit - Fachöffentlichkeit wie breite Öffentlichkeit - erreichen, was aber auch möglich ist. Denn das AMNOG hat Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitswesen in Deutschland. Das muss jeden interessieren - ob Patient oder nicht. Wir erwarten daher, dass der vfa sehr aktiv, konstruktiv und lösungsorientiert mit dem Thema umgeht.
Herr Meinhardt, vielen Dank für das Gespräch. <<
„Wer gleich mit moderatem bis niedrigem Ansatz in die entsprechenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband einsteigt, wird kaum für sein rationales Verhalten belohnt werden.“
Absolut richtig. Doch damit einhergehen muss auch eine Aufwertung der Market-Access-Bereiche. Denn bislang hatten die Market-Access-Verantwortlichen auf die klinische Forschung nur geringen Einfluss. Beide Bereiche verfolgten eine divergente Logik. Die klinische Forschung sah das Gralsziel in der schnellen Erlangung der Zulassung. Der Market Access hingegen verfolgte die Sicherung einer angemessenen Erstattung in den relevanten Teilmärkten. Wenn es hier nicht zu einer Harmonisierung der Zielsetzungen kommt, sieht die Zukunft nicht wirklich rosig aus.
Gerade aus diesem Grund werden Pharmaunternehmen ihre Market-Access-Bereiche sicherlich auch noch weiter ausbauen und inhaltlich schärfen müssen.
Dies wird in zwei Richtungen geschehen: Intern werden die Anforderungen an die klinische Forschung steigen, extern werden Kompetenzen aufgebaut, um den Vertragsbereich zu professionalisieren und mittelfristig nachhaltige Versorgungsstudien durchzuführen. Beides wird ein Schlüssel zum Erfolg am Markt sein.
Ein wichtiges Kapitel wird sein, wie die Marktpreise im 1. Jahr formuliert werden. Was raten Sie?
„Runter kommen sie immer“, heißt ein bekannter Spruch in der Fliegerei. So wird es auch mit den Preisen sein. Wer gleich mit moderatem bis niedrigem Ansatz in die entsprechenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband einsteigt, wird kaum für sein rationales Verhalten belohnt werden, da auch der Kassenverband bereits ein Preispremium erwartet. Allerdings ist derzeit eher die Bewertung der Preise ohne Zusatznutzen geregelt, wohingegen bislang für die Arzneimittel, die einen echten Zusatznutzen aufweisen, konkrete Kriterien zur Preisfindung fehlen.
Das einzige Argument im AMNOG besteht ja in der Orientierung an den europäischen Vergleichspreisen.
Die existieren doch bei einer frühen Markteinführung in Deutschland im Allgemeinen noch gar nicht. Mehrere Aspekte sind aber bereits jetzt absehbar: Einen Erstattungshöchstpreis basierend auf einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach der Methodik des IQWiG wird es nicht mehr geben. Eher ist wahrscheinlich, dass die Bewertungssystematik und die Preise aus Großbritannien, die häufig auf QALYs basieren, nach Deutschland importiert werden. Zudem werden die Unternehmen in Zukunft streng darauf achten, Reimporte zu vermeiden, um das deutsche Preisniveau nicht in eine Abwärtsspirale zu treiben. Der europäische Durchschnittspreis wird daher die Preisstrategie bestimmen.
Darüber hinaus werden die internationalen Konzernzentralen den deutschen Unternehmenslenkern kaum einen niedrigen Einstieg erlauben, denn der Impact auf das internationale Geschäft wäre dramatisch. Also, hier wird gelten, möglichst hoch einsteigen und kämpfen mit Klauen und Zähnen, dann runter …
Was müssen denn die Unternehmen bei dem Zusatznutzen-Dossier beachten?
Alles! Ungeachtet der Konkretisierung der Arzneimittel-Nutzen-Bewertungsverordnung (AM-NutzenV) wird sich das wirkliche Vorgehen erst nach einer Zeit und entsprechenden konkreten Beispielen klären. Hier gilt Vorsicht an der Bahnsteigkante. Insbesondere sollten die Unternehmen den Dialog mit G-BA und SpiBu suchen, damit sie mit dem Ohr am Puls der Entwicklung sind. Die gesamte Argumentation muss auf die glaubwürdige und belegbare Darstellung des Zusatznutzens abgestellt werden. Hierzu muss alles mobilisiert werden, was geeignet ist, einen Erfolg herbeizuführen.
Darüber hinaus sollten die Unternehmen aber auch die anderen grundsätzlichen Anforderungen des Gesetzes nicht aus den Augen verlieren. Anwendungsgebiete, Patientengruppen, Budget Impact und qualitätsgesicherte Anwendung bieten eine Vielzahl von Verhandlungsoptionen, die unbedingt im Dossier abgebildet werden müssen. Eine falsche Schätzung der Prävalenz beispielsweise könnte selbst bei einem guten Preis dazu führen, dass über die reine Zahl der Patienten Einschränkungen vereinbart werden, die einen nachhaltigen Markterfolg verhindern.
Parallel sollten die Unternehmen unbedingt an der Profilierung ihrer Vertragsstrategie arbeiten, denn wenn trotz eines vermeintlich guten Zusatznutzen-Dossiers ein wenig erbaulicher Erstattungshöchstbetrag verabschiedet wird, dann hängt alles zunächst von der smarten Vertragsstrategie ab, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu dem dann vielleicht bessere Daten vorliegen.
Wie funktioniert die neue Schiedsstelle? Oder was ist schon heute absehbar, wie sie funktionieren wird?
Schiedsstellen sind nie etwas wirklich Erbauliches. Das konnte man in den letzten zwei Jahren bei den zahlreichen Schiedsamtsverfahren für die Hausarztverträge nach § 73b SGB V oder auch bei der Vereinbarung des Abschlags zwischen Kassen und Apotheken deutlich beobachten. Zunächst einmal wird Vieles von der Besetzung der neuen Schiedsstelle abhängen. Dies gilt natürlich insbesondere für die unparteiischen Mitglieder. Hier wird es schon sehr spannend werden, ob es eine einvernehmliche Bestellung geben wird, oder ob das Los entscheiden muss.
In der Verhandlung vor dem Schiedsamt selbst wird es natürlich auf Argumente der jeweiligen Parteien ankommen.
Hier gilt es ähnlich wie beim Dossier, tragfähige Belege für den Nutzen und den Preis zu liefern, die sich möglichst an dem Kriterium des europäischen Vergleichspreises orientieren sollten. Das wird das einzige Argument sein, welches nicht durch einen Kompromiss des Schiedsamtes gefährdet ist. Anderenfalls kann man damit rechnen, dass auch ein Schiedsamt auf Ausgleich bemüht ist, vor allem, wenn die Unparteiischen Mitglieder im Konsens bestimmt worden sind.
Sind zukünftig Orphan Drugs das Licht am Ende des Tunnels?
Wenn man sich die Fokussierung der F&E-Aktivitäten der Pharmakonzerne in den letzten Jahren anschaut, könnte man meinen, es wäre so. Auch die Übernahmegelüste von Big Pharma zielen vorrangig auf OD-Companies - siehe Genzyme und andere Targets. Aber so einfach wird das nicht sein und schon gar nicht, wenn diese Strategie zur Einheitsstrategie der Arzneimittelanbieter wird. Der Trend zur individualisierten Therapie im Rahmen der Gentherapie, an der die Unternehmen forschen, bedeutet ja zwangsläufig kleinere Patientengruppen. Und auch die internationalen gesundheitspolitischen Anreize zur Förderung der Forschung in den Orphan Diseases unterstützt diese These. Es ist ohne Zweifel so, dass ein echter Medical Need weitaus leichter zu belegen ist, wenn noch keine therapeutischen Alternativen exisitieren. Auf der anderen Seite ist das jeweilige Marktvolumen aber gering und Hochpreistherapien geraten zunehmend unter Druck.
Andererseits forschen noch viele Pharmaunternehmen weiterhin sehr erfolgreich an den großen Volkskrankheiten.
Klar, weil die im Erfolgsfall immer noch das meiste Potenzial und den höchsten Bedarf aufweisen. Die durch erfolgreiches Lobbying in das AMNOG eingebrachte Schwelle von 50 Millionen Euro Jahresumsatz für Orphan Drugs, bevor die üblichen Folterinstrumente greifen, können leicht korrigiert oder ergänzt werden.
Den Regulierungs-Verantwortlichen ist ja auch nicht verborgen geblieben, was sich auf dem Orphan-Drug-Sektor tut.
Der Verzicht auf die Nutzenbewertung bedeutet ja nicht gleichzeitig den Verzicht auf Preisverhandlungen mit dem SpiBu, so dass sich auch die Hersteller von Orphan Drugs gut auf diese Situation vorbereiten müssen. Und das beste Argument für einen hohen Preis ist immer noch der Zusatznutzen. Orphan-Drug-Hersteller befinden sich aber im Unterschied zu den anderen Anbietern sicherlich in der komfortablen Situation, dass die Förderung von Orphan Drugs politisch erschwünscht ist. Bei anderen Innovationen kann man sich ja manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass hier nur die Kosten gesehen werden und aus diesem Grund von vornherein jeder Nutzen bestritten wird. Dennoch benötigen auch die Orphan-Drug-Unternehmen eine separate und smarte Verhandlungs-Strategie, um ihren Markterfolg nicht schon bei den Preisverhandlungen aufgeben zu müssen. <<