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Digitalisierung mit Hürden und Chancen

Im ambulanten Bereich ist die interprofessionelle Zusammenarbeit ein determinierender Faktor für die Qualität der Umsetzung digitaler Lösungen. Inwieweit dies am Beispiel der Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePa) in Deutschland gelungen ist und welche Hürden es noch zu überwinden gilt, soll in folgendem Beitrag geklärt werden.

Die Erfassung und effektive Nutzung klinischer Informationen und Kenntnisse zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, sicheren und nachhaltigen Gesundheitsversorgung werden allgemein als wichtig anerkannt. Dies konnte uns jüngst während der Corona-Pandemie demonstriert werden, als ePa-Daten verschiedener Länder für die Entscheidungsfindung der öffentlichen Gesundheitspolitik eine essenzielle Rolle spielten [1]. Die ePa gilt als einer der Grundpfeiler der Digitalisierung im Gesundheitswesen und muss in Deutschland seit dem 1. Januar 2021 von den gesetzlichen Krankenkassen ihren 73 Millionen Versicherten (rund 90 Prozent der Bevölkerung) kostenlos als App angeboten werden. Am 1. Juli 2021 rückten dann die Vertragsärzte und -psychotherapeuten nach, die ab diesem Zeitpunkt innerhalb des stufenweisen Ausbaus der ePa technisch auf diese vorbereitet sein mussten. Doch die Einführung verlief alles andere als reibungslos: Technische Startschwierigkeiten, geringe Nutzerzahlen, Schuldzuweisungen und keine klar ersichtlichen Perspektiven, sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was in den vergangenen Monaten den Start der ePa in Deutschland prägte. Aber fangen wir von vorne an.

Gesetzliche Rahmenbedingungen und Hürden

Die gesetzliche Grundlage der ePa wurde bereits 2005 gelegt. Doch es bedurfte einiger bürokratischer Hürden, wie dem Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) im Jahr 2019, welches die GKV verpflichtete, ihren Versicherten seit dem 1. Januar 2021 die ePa zur Verfügung zu stellen. Und auch die Zustimmung des Bundestages zum Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) im Juli 2020 und der Billigung des Bundesrates im September 2020 waren wichtige Grundpfeiler für den Progress. Technische Voraussetzung von Vertragsärzten und -psychotherapeuten ist, dass Praxen an die Telematikinfrastruktur (TI) – der sicheren Datenautobahn zwischen Heilberuflern – angeschlossen sind. Doch genau hier lag der Knackpunkt, denn die dafür benötigte Hardware war zur Einführung nicht überall auf dem neuesten Stand: Auf dem Markt befinden sich drei Hersteller, von denen nur einer zum Startschuss im Juli 2021 das notwendige, zertifizierte Update anbieten konnte. Die anderen beiden hatten die Aktualisierung zwar angekündigt, doch es war fraglich, ob es für die jeweiligen Praxen fristgerecht bereitgestellt werden konnte. Nicht verwunderlich also, dass dies zu großem Ärger der betroffenen Ärzte führte, da Praxen, die nicht an die TI angebunden waren, per Gesetz ein Prozent der Honorare gekürzt werden sollte. Nach vehementem Protest wurden die Regelungen abgemildert, sodass nur noch mitgeteilt werden musste, ob der notwendige Heilberufsausweis und die Bestellung der ePA zum 1. Juli vorgelegen hatten. Ende Juli verfügten dann alle drei Konnektorhersteller über die notwendige Zulassung für die ePa, so dass mit knapp einem Monat Verzögerung die technischen Weichen für die Arztpraxen gestellt waren.
Die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) kontrollierte Gesellschaft Gematik hat aus diesen Erfahrungen heraus ein neues Konzept einer Internet-basierten TI 2.0 unter dem Motto „Wir brauchen mehr Stabilität und weniger Komplexität“ vorgestellt, die zukünftig u.a. einen Wegfall der proprietären IT-Lösungen (z.B. Konnektoren) zum Ziel hat. Ob es allerdings bei dieser Weiterentwicklung zu weniger Fauxpas, als bei der Einführung der TI 1.0 kommt, bleibt abzuwarten.

Der europäische Vergleich

In Deutschland trifft die ePa auf ein Gesundheitswesen, das in weiten Teilen noch analog organisiert ist und sich nur sukzessive digitalisiert. Im internationalen Vergleich verfügen wir zwar über ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, doch in Sachen Digitalisierung wurden wir von unseren europäischen Kollegen längst überholt. Im Jahr 2016 und in einem Follow-up 2018 wurde eine Studie zum Stand der ePa-Einführung in 20 ausgewählten europäischen Ländern durchgeführt. Hierbei befand sich Deutschland im hinteren Mittelfeld, wohingegen Dänemark, Finnland, Schweden und Estland das Ranking anführten. Als Gründe für die Spitzenpositionen werden hervorragende infrastrukturelle Voraussetzungen, wie die nahezu vollständige Abdeckung mit Breitbandinternet und eine hohe Internetaffinität der Bevölkerung, insbesondere durch die Fortschrittlichkeit in Bezug auf Nutzung, gebotene Inhalte und vorgehaltene Funktionen der jeweiligen ePa, genannt [2]. Hier sind die Daten der ePa nicht nur auf Gesundheitsdaten beschränkt: Es findet eine Sekundärnutzung der Informationen statt und es existieren verbindliche Standards zur Interoperabilität, auf die wir in den nächsten Abschnitten noch eingehen werden. Darüber hinaus verfügen die Vorreiterländer über eine sehr gute Einbindung von Haus- und Fachärzten, E-Rezepte können ausgestellt werden und alle Patienten haben vollen Zugang zur eigenen ePa. Die Wichtigkeit folgender Aspekte für die Digitalisierung des Gesundheitssystems zeigt sich auch am Beispiel der Schweiz, die nach einem vollständigen Breitbandinternetausbau mit entsprechend verbundener hoher Frequenz der Internetnutzung durch die Bevölkerung sowie durch die implementierte Sekundärdatennutzung von ePa-Daten, um drei Ränge aufrückte [2].

Bedeutung der ePa für die Arzneimitteltherapiesicherheit und Forschung

Eines der wichtigsten Ziele der ePa ist es einen reibungslosen, sektorenübergreifenden Informationsaustausch zwischen Leistungserbringern zu ermöglichen. Dieser soll z.B. in komplexen Versorgungsszenarien die Koordination von Behandlungen durch verschiedene Fachärzte oder die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern. Auch eine Sekundärnutzung durch CDSS (klinische Entscheidungsunterstützungssysteme, Clinical Decision Support Systems) ist denkbar, was eine leitliniengerechtere Behandlung ermöglichen könnte [3]. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Bedeutung des erlangten Selbstmanagements des Patienten über seine Gesundheit, das zu einem besseren Krankheitsverständnis und damit auch zu einer besseren Therapietreue führen kann. Ergebnisse aus Ländern wie Israel und Dänemark, die ePas schon lange in ihr Gesundheitssystem integrieren, können bestätigen, dass die Nutzung die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung sowie die Patientensicherheit verbesserten [4, 5].

Perspektivisch soll auch die Forschung von der ePa profitieren, indem Patienten auf freiwilliger Basis ab dem Jahr 2023 pseudonymisierte Daten spenden können. Je mehr Gesundheitsdaten in digitaler Form vorliegen, umso größer wird die Chance aus ihrer Zweitverwertung konkreten Nutzen für Patient, Gesundheitssystem und Gesellschaft zu ziehen [6]. Die sogenannte freiwillige Datenspende setzt eine informierte Einwilligung des Patienten voraus und wird in der ePa vermerkt. Die Krankenkassen als Anbieter der ePa sollen laut Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) keinen Zugriff auf die gespeicherten und freiwillig gespendeten Daten haben.

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßte im Jahr 2020, dass mit dem PDSG erstmalig die Möglichkeit einer freiwilligen Datenspende über die ePa geschaffen wird. „Das Potenzial wird allerdings nicht voll ausgeschöpft: Für Arzneimittel-Hersteller ist nach wie vor kein Antragsrecht vorgesehen, um Zugriff auf die freiwillig gespendeten Daten zu bekommen. Arzneimittel-Hersteller gehören zu den stärksten Forschungsakteuren und sollten daher auch ein Antragsrecht erhalten“, so BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Cranz [7]. Im Interesse der Forschung und Entwicklung sowie der Versorgung müsse ein sicherer und effizienter Zugriff auf Gesundheitsdaten auch für die Arzneimittel-Hersteller gegeben sein.
Aber nicht nur von Seiten des BAH wurde die von der Gematik in der ersten Stufe der praktischen Umsetzung ausschließlich für Forschung vorgesehene Datennutzung durch Ärzte, die über ihr IT-Primärsystem an die TI angeschlossen sind, kritisiert.

Zahlreiche Verbände, darunter BDI, BIO Deutschland, BVMed, VDGH und vfa gaben in einer Pressemitteilung im Juli 2021 zu bedenken, dass große Bereiche der medizinischen Forschung von der einwilligungsbasierten Datennutzung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen sein würden. Die Verbände regen deshalb eine diskriminierungsfreie, zentrale digitale Einwilligung in die Nutzung von Daten zu Forschungszwecken an [8].

Sektorenübergreifende Koordination und Kommunikation

Das Gesundheitssystem in Deutschland ist durch fragmentierte Versorgungsstrukturen gekennzeichnet: Jede Gesundheitseinrichtung kann sich aus einem vielfältigen Angebot diverser Anbieter ein passendes System konfigurieren lassen [9]. Die daraus resultierende Systemvielfalt führt jedoch dazu, dass die sektorenübergreifende elektronische Kommunikation und vor allem die Weiterverarbeitung von Daten teilweise sehr aufwendig bis sogar unmöglich ist. Durch Informationsverluste kann es so zu unnötigen Doppeluntersuchungen oder unkoordinierten Behandlungsprozessen kommen, was erhebliche Mehrkosten zur Folge hat [10]. Durch eine koordinierte digitale Versorgung, welche durch die Implementierung der ePa gewährleistet werden soll, wird das Ziel verfolgt, dieser Struktur entgegenzutreten [11].

Interoperabilität ist hierbei ein wichtiges Stichwort für die system- und sektorenübergreifende Kommunikation und Kooperation und damit auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung der Gesundheitsversorgung. Essenziell für die Kompatibilität zwischen den einzelnen Systemen ist die Möglichkeit, auf offene abgestimmte Standards und Schnittstellen zurückgreifen zu können [9]. Zumindest in der Theorie soll dies durch die Implementierung der ePa gewährleistet werden.

Für den im Gesetz vorgesehenen und notwendigen medizinischen Datenaustausch durch die ePa ist Interoperabilität eine Grundvoraussetzung. „Strukturierte elektronische Dokumente sollen von allen Leistungserbringern und den Versicherten gleich interpretiert und darüber hinaus maschinell verarbeitet werden können. Die semantische und syntaktische Interoperabilität stellt damit auch die Basis für zukünftige Anwendungen im Bereich Big Data und Künstlicher Intelligenz dar“ [12].

Die hierfür notwendigen Aufgaben wurden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) übertragen, mit der Pflicht, alle maßgeblich betroffenen Fachgesellschaften, Organisationen und Verbände miteinzubeziehen.
Damit eine wirkliche Vernetzung stattfinden kann, braucht es Festlegungen über Datenmodelle, Datenübertragungswege und eine einheitliche Kodierung der Informationen. Deshalb wurde Ende August 2020 ein Konzeptpapier zur Interoperabilität im Gesundheitswesen durch den health innovation hub (hih), die Gematik, den Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) und den Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) erarbeitet und dem Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt. Das Konzeptpapier „Interoperabilität 2025“ schlägt etwa die Schaffung einer Koordinierungsinstanz vor, um notwendige Strukturen und Prozesse zu orchestrieren.

Und wie ist der tatsächliche Stand?

Mit dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) vom 3. Juni 2021 wurde eine Verordnungsermächtigung für den Aufbau einer Koordinierungsstelle für Interoperabilität geschaffen. Durch die Gesundheits-IT-Inter-operabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) wird der entsprechende Rechtsrahmen umgesetzt. Die bvitg sieht allerdings Nachbesserungsbedarf: „In seiner jetzigen Form wird die Verordnung nur bedingt für mehr Interoperabilität sorgen“, so bvitg-Geschäftsführer Sebastian Zilch. „Denn die zentralistische Rolle, die der Gematik als Koordinierungsstelle zufallen soll, widerspricht dem Ansinnen des Konzepts Interoperabilität 2025, das wir im vergangenen Jahr erarbeitet hatten. Darin definierten wir Interoperabilität als Gemeinschaftsprojekt, das auf einem echten und gleichberechtigten Dialog auf Augenhöhe basieren muss, der innerhalb klarer Strukturen stattfindet“ [13]. Als problematisch betrachtet der Verband vor allem die Tatsache, dass die Gematik sowohl die Mitglieder des Gremiums, deren Vorsitz sowie den Entwurf von deren Geschäfts- und Verfahrensordnung bestimmen soll. „Für die datengestützte Versorgung von morgen müssen auch die Widersprüche und Redundanzen des deutschen Flickenteppichs der Interoperabilitätsvorgaben überprüft werden. Mit dem Instrument der Benehmensherstellung zur Überprüfung aktueller Vorgaben wird es keine Veränderung geben“, so Zilch.

ePa aus Sicht der deutschen Nutzer

Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Frühjahr 2020 unter 1.000 Personen im Rahmen des Gesundheitsmonitors des BAH zeigte, dass fast drei von vier Deutschen (72 Prozent) der ePa gegenüber positiv eingestellt sind und eine ähnlich große Mehrheit der Befragten (71 Prozent) ihre Daten zudem für Forschungszwecke zur Verfügung stellen würden [14]. Doch beläuft sich die aktuelle geschätzte Nutzung durch Patienten in Deutschland auf gerade einmal ein Prozent. Wer an der ePa interessiert ist, nennt Bitkom zufolge, als Vorteil vor allem die Möglichkeit, dass andere Ärzte Diagnosen, Befunde oder Arztbriefe einsehen können (74 Prozent). Zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) wollen sie künftig gern nutzen. 71 Prozent möchten durch die ePa ihre eigene Krankengeschichte im Blick haben und 64 Prozent finden die Vermeidung von Doppeluntersuchungen nützlich. Befragte, die eine ePa nicht nutzen wollen (56 Prozent), haben vor allem hinsichtlich des Datenschutzes Bedenken. Etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) sorgt sich um Eingabefehler und einem Drittel (31 Prozent) erscheint die Beantragung zu aufwendig [15].

Am Beispiel Dänemark zeigt sich im Vergleich zu Deutschland, dass ein solides Grundvertrauen sowohl in die Entscheidungsträger als auch in digitale Lösungen einer der wesentlichsten Bestandteile für eine erfolgreiche Umsetzung und Implementierung der ePa ist [11]. Dort herrsche eine umgekehrte Sichtweise im Vergleich zur deutschen vor: Die Verfügbarkeit essenzieller Informationen für Leistungserbringer gebündelt an einer Stelle, die in entscheidenden Situationen mitunter Leben retten können, habe hier einen höheren Stellenwert inne als zum Teil unberechtigte datenschutzrechtliche Bedenken [11]. Doch um eine übermäßig kritische Sichtweise bezogen auf Datenschutz abzulegen, muss zuallererst auch der Benefit des Systems für den User sichtbar sein, damit dieser, schlussendlich Nutzen über Datenschutzbedenken stellen kann. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Vorteile einer ePa sowie die Möglichkeit ihrer Nutzung überhaupt bei der deutschen Bevölkerung angekommen sind.

Gründe für geringe Nutzerzahlen

Zumindest Werbung durch Ärzte dürfte durch den holprigen Start und die Tatsache, dass es immer noch viele offene Baustellen zu bewältigen gibt, nicht gerade befeuert worden sein. Und auch Broschüren von Krankenkassen haben offensichtlich nicht in großem Maßstab das Interesse der Deutschen für den Erwerb einer ePa geweckt. Zudem könnten technische Hürden wie die Beantragung einer Versichertenkarte der neuesten Generation sowie des PINs die Bereitschaft des Erwerbs behindern. Vor allem dann, wenn der konkrete Nutzen für viele aktuell nicht ersichtlich ist. Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung werden sowohl Leistungserbringer als auch Patienten die ePa nur dann akzeptieren, wenn diese übersichtlich, einfach und unaufwendig bedienbar ist [10]. Mit Sicherheit gilt es deshalb an genau diesen Punkten noch einmal nachzubessern.

Agile Prozesse versus deutscher Perfektionismus

Gottfried Ludewig, Chef der Abteilung Digitalisierung des Gesundheitswesens im Bundesgesundheitsministerium (BMG), hatte auf dem Europäischen Gesundheitskongress Ende 2020, bei dem er für die ePa und andere digitale Anwendungen warb, einen kritischen Punkt zu bedenken gegeben: „Wir brauchen agile Prozesse. Wir müssen uns daran gewöhnen, so schwer das für den deutschen Perfektionismus ist, dass es eben nicht den roten Knopf gibt, auf den der Gesundheitsminister drückt und plötzlich ist das System perfekt digitalisiert“ [16]. Doch sind es genau diese agilen Prozesse, die zu Unmut der Beteiligten führten: Auf dem Deutschen Ärztetag 2021 machte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die PVS-Hersteller für die drohenden Verzögerungen beim Start der ePa in Arztpraxen verantwortlich. Der bvitg wies diese Schuldzuweisung klar zurück und forderte eine Priorisierung bei Digitalprojekten.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt kritisierte, dass die vom Ministerium beschlossenen Fristen schon ohne Pandemie nicht zu halten gewesen wären und auch die KBV bezeichnete die Fristen zur Einführung weiterer digitaler Anwendungen als unrealistisch. Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV, bemängelte auf der Vertreterversammlung im September 2021, dass am Anfang aller Überlegungen die Versorgung im Fokus stehen müsse und nicht die Technik. So seien Anwendungen wie die ePa bislang rein politisch gewollt und rein politisch sowie technisch umgesetzt. Kriedel forderte eine Konsolidierungsphase, in der sich die bereits eingeführten oder angestoßenen Anwendungen in den Praxisabläufen etablieren können, bevor weitere Neuerungen eingeführt würden. Zukünftig müssten die Belange der Praxen von Anfang an und bei jedem einzelnen Digitalisierungsvorhaben, das die ambulante Versorgung betrifft, Berücksichtigung finden. Passend hierzu formulierte Sebastian Zilch, Geschäftsführer des Bundesverbands Gesundheits-IT Ende Juni 2021: „Digitalisierung muss ganzheitlich gedacht werden und dabei alle relevanten Akteure miteinbeziehen.“

Könnte deshalb zukünftig eine klarere Kommunikation über die Priorisierung der Vorhaben zielführend sein?

Aussicht

Die Digitalisierung in Form einer ePa stellt ohne Frage einen entscheidenden Faktor zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit und vieler weiterer besprochener Ebenen innerhalb des Gesundheitssystems dar. Ziele wie die optimierte Arzneimitteltherapie durch ePas bieten einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Besteht ein Defizit an Kooperation, Koordination und effizientem Informationsfluss, leidet schlussendlich Qualität und Effizienz der Versorgung [17]. Abgeleitet aus einer Analyse der besser digitalisierten Länder, könnte für Deutschland künftig ein konsequentes politisches Handeln und politische Führung, die auf einem klaren – von den Akteuren geteilten – Zielbild und einer eindeutigen Umsetzungsstrategie basiert, zielführend sein. Die Maßnahmen sollten dabei nicht von oben verordnet, sondern unter Einbeziehung von Experten aller betroffenen Kreise und vor allem Endnutzern entwickelt werden [4]. Bei der Implementierung handelt es sich um einen hochkomplexen Prozess mit verschiedensten Handlungsfeldern, innerhalb derer es noch viele Fragestellungen zu beantworten gilt. Werden die Hauptakteure Ärzte, Patienten und Gesundheitsdienstleister in ihren Erwartungen und Belangen abgeholt, kann die ePa einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, als der zentrale technologische Hebel für eine vernetzte Versorgung und eine bessere Arzneimitteltherapiesicherheit im Gesundheitswesen zu fungieren.