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AMNOG-Report 2016: Jedes zweite neue Arzneimittel ohne Zusatznutzen

17.02.2016 11:52
Rekordausgaben von 30 Milliarden Euro verzeichneten die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr für Arzneimittel, dabei hat nahezu jedes zweite neue Arzneimittel keinen bescheinigten Zusatznutzen für die Patienten, wie der AMNOG-Report 2016 der DAK-Gesundheit in Zusammenarbeit mit Professor Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld, zeigt. Trotzdem steigen die Verordnungen dieser Wirkstoffe fast genauso stark wie die der Medikamente mit Zusatznutzen.

Der AMNOG-Report der DAK-Gesundheit zeigt, dass in 60 von insgesamt 134 durchgeführten Verfahren kein Zusatznutzen bescheinigt wurde. Trotzdem werden auch diese Arzneimittel von Ärzten häufig verordnet. Beachtliche Umsatzentwicklungen sind die Folge: Ein Jahr nachdem die Ergebnisse der Nutzenbewertung veröffentlicht wurden, steigen die Verordnungszahlen von Medikamenten ohne Zusatznutzen nahezu genau so stark wie die von Arzneimittel mit Zusatznutzen. Im Durchschnitt betrug der Anstieg 14,7 bzw. 14,2 Prozent. Die Spareffekte durch das AMNOG zeigten sich als begrenzt, so Herbert Rebscher, Chef der DAK-Gesundheit und stellt die hohen Markteintrittspreise zur Diskussion.

Besonders deutlich werde das bei neuen Wirkstoffen, die sofort nach der Zulassung in großen Mengen verordnet werden – zum Beispiel Medikamente gegen Hepatitis-C. Die hohen Preise für diese Arzneimittel sorgten im vergangenen Jahr für kontroverse Diskussionen. Ein weiteres Beispiel für die Kostenentwicklung ist der Wirkstoff Dimethylfumarat (Markenname Tecfidera) zur Behandlung von Multipler Sklerose, dem der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen bescheinigt hat. Bereits ein halbes Jahr nach der Zulassung beliefen sich die monatlichen Kosten für diesen Wirkstoff allein bei der DAK-Gesundheit auf rund 3,5 Millionen Euro. Er belegte damit 2014 den dritten Platz in der Arzneimittelkostenstatistik der Krankenkasse.

„Ein Zusatznutzen im Sinne des Verfahrens entspricht nicht zwangsläufig einem Zusatznutzen im Sinne der Versorgung“, resümiert Greiner, denn auch Wirkstoffe ohne Zusatznutzen könnten mitunter eine therapeutisch sinnvolle Option sein, wenn z. B. die Darreichungsform modifiziert sei.

Ärzte nicht ausreichend informiert

Die Analyse der Marktentwicklung von Arzneimitteln zeige eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Ergebnis der Nutzenbewertung und der ärztlichen Verordnung. Nur knapp die Hälfte der befragten 200 niedergelassenen Mediziner informiere sich regelmäßig über die Ergebnisse der Nutzenbewertung. Die offiziellen Dokumente des G-BA und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) hätten sich nicht etabliert: Nur zwölf Prozent der befragten Ärzte nutzten diese Quelle. Sinnvoll könne es sein, die wichtigsten Informationen in gängige Praxisverwaltungssysteme zu integrieren.

Ein weiteres Ergebnis der Ärztebefragung: 50 Prozent der befragten Ärzte gaben an, Regresse bei der Verordnung zu fürchten – denn ein Medikament mit bescheinigtem Zusatznutzen ist nicht zwangsläufig auch das wirtschaftlichste. „Um die indikationsspezifische Verordnung von Medikamenten mit Zusatznutzen zu fördern, sollte über einen Ausschluss von Regressen diskutiert werden“, sagt DAK-Vorstand Rebscher.

Vermehrte Marktrücknahmen nach Schiedsverfahren

Nach der Nutzenbewertung können sich bislang GKV-Spitzenverband und Pharmahersteller in 73 Prozent der Verfahren auf einen Erstattungsbetrag einigen. In 20 Verfahren gelang dies nicht. Sie landen vor der Schiedsstelle – sofern der Hersteller das Produkt nicht vorher schon mit sofortiger Wirkung vom Markt nimmt. Ende 2015 waren 14 Verfahren abgeschlossen. Die Bilanz ist negativ: Nur noch zwei Wirkstoffe sind in Deutschland erhältlich, für einen davon ist die Marktrücknahme bereits angekündigt. Rebscher fordert hier eine Reform, da die Gefahr vermehrter Marktrücknahmen die Verordnungsentscheidung der Ärzte laut Report maßgeblich beeinflusst.

Kosten-Nutzen-Analyse ist notwendig

Um die steigenden Arzneimittelausgaben einzudämmen, fordert die DAK-Gesundheit eine langfristige, systematische Kosten-Nutzen-Analyse, die Arzneimittelpreise und dadurch eingesparte Behandlungskosten gegenüberstellt. Die Debatte um hohe Markteintrittspreise neuer Arzneimittel erhalte so einen dringend benötigten Perspektivwechsel, ergänzt Greiner. Da viele neue Wirkstoffe vor der Zulassung ständen,sei die rasche Weiterentwicklung des AMNOG notwendig. Konkrete Problemfelder, die aus Sicht der Krankenkasse diskutiert werden müssen, sind die freie Preisbildung in den ersten zwölf Vertriebsmonaten, die Bildung von Mischpreisen und die wachsende Zahl von Marktrücknahmen.

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