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Arzneimittelknappheit: Pharma-Analyst sagt sich weiter verschärfende Lage voraus

09.11.2022 12:20
Die Medienmeldungen zu der sich weiter verschlechternden Versorgungskrise auf dem Arzneimittelmarkt nehmen zu. Apotheken haben viele Medikamente, insbesondere Generika nicht mehr vorrätig. 300 weitere sind extrem knapp, darunter gängige wie Blutdrucksenker, Fiebersäfte für Kinder und viele Krebstherapiemittel (zum Beispiel Tamoxifen).

“Die Situation wird sich auch 2023 nicht ändern, sondern eher verschärfen", sagt Dr. Jobst Landgrebe voraus, approbierter Arzt und Gründer von Cognotekt, einem spezialisierten Beratungsunternehmen für die Medizin- und Pharmabranche. Er beobachtet die Marktentwicklung seit Jahrzehnten und sieht zwei Gründe für die anhaltende dramatische Zuspitzung.

  1. Probleme in der Lieferkette bleiben bestehen: Produktionsstopps oder -ausfälle in anderen Industriezweigen wirken sich auf die Arzneimittelherstellung aus. Der Grund dafür kann auch hier in der Energieverteuerung liegen, aber auch in der Verteuerung der Produktion des Medikaments. Ammoniak beispielsweise, das eine wichtige Rolle in der Wirkstoffherstellung spielt, ist derzeit knapp und teuer, weil es mit Hilfe von Gas aus Wasser und Luft synthetisiert wird. Des Weiteren steigen auch die Logistikkosten, weil die Energie- und Versicherungspreise steigen. Insgesamt wird es für Pharmaunternehmen unrentabel, Arzneimittel herzustellen und zu verkaufen, wenn die Gesamtkosten über dem Erlös liegen.
  2. Wirtschaftliche Produktion oft nicht mehr möglich: Betroffen von der Knappheit sind vor allem Generika-Hersteller. Ihr Anteil an den verschriebenen Tagesdosen liegt bei 79,1 Prozent (Stand 2021). Fast alle Einträge in der WHO-Liste für essentielle Medikamente sind Generika aus der Gruppe der Small Molecules oder Biosimilars (wie Insulin). Doch gerade die Generika-Hersteller können die Preissteigerungen praktisch nicht – und vor allem nicht so rasch – weitergeben. Der Grund sind durch Festbeträge fixierte Preise. In diesem Prozess legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zunächst Arzneimittelgruppen fest. Der GKV-Spitzenverband bestimmt anschließend die Preise pro Gruppe. Zusätzlich werden Rabattverträge ausgehandelt. Dieses Verfahren ist in wirtschaftlich stabilen Zeiten hilfreich und dient dem Interessenausgleich. Doch sobald es zu krisenhaften Änderungen kommt, ist es zu kompliziert, um schnell und flexibel reagieren zu können.

Um die Arzneimittelversorgung künftig sicherzustellen, sind der Analyse von Cognotekt zufolge vor allem zwei Schritte entscheidend: Zum Einen muss Deutschland wieder eigene Kapazitäten für die Produktion von Basismedikamenten aufbauen, die Globalisierung der Lieferketten also zumindest in Teilen zurückdrehen. Zum Anderen braucht es mehr Spielraum bei der Preisgestaltung. Da die Dynamik am Markt auf absehbare Zeit bestehen bleiben wird, müssen die Arzneimittelhersteller die Möglichkeit bekommen, darauf marktkonform zu reagieren.