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Boehringer & Lilly wählen "opt-out"

26.04.2012 13:50
Bisher hat der Gemeinsame Bundesausschuss 14 frühe Nutzenbewertungen für abgeschlossen erklärt. Das Ergebnis ist für die Pharmaindustrie bis auf wenige Ausnahmen eine Tristesse. Bei den kommenden acht frühen Nutzenbewertungen (fNB), die den G-BA in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen werden, sieht es nicht viel anders aus. Nur je einmal in den schon vorliegenden acht Nutzenbewertungen konstatierte das IQWiG einen beträchtlichen, einen geringen sowie einmal einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen; dafür aber viermal von der ZVT abgewichen zu sein, was jedes Mal und so auch im aktuellen Fall von „Sativex“ (Almirall) ein „Zusatznutzen nicht belegt“ nach sich zog. Ein erster Lösungsansatz könnte sein, wenn der G-BA die ZVT schriftlich argumentieren muss. Was er wohl wird. Aber was Linagliptin/„Trajenta“ wohl nichts (mehr) nützen wird. Der Wirkstoff dürfte das erste Opfer des lernenden Systems namens AMNOG sein, denn die beiden kooperierenden Unternehmen Boehringer und Lilly zogen die Reißleine: Sie erklärten die Verhandlungen mit dem Spitzenverband Bund für beendet, wählten „Opt out“ und gingen damit aus dem Markt.

Am Montag, den 23. April, trafen sich Vertreter des GKV-Spitzenverbands und der beiden bei der Vermarktung von Linagliptin/ „Trajenta“ kooperierenden Unternehmen Boehringer und Lilly in der Berliner Mittelstraße 51. „Entsprechend den gesetzlichen Anforderungen und der Rahmenvereinbarung haben wir alle notwendigen Daten ordnungsgemäß und fristgerecht an den GKV-Spitzenverband gesendet“, erklärte Dr. Engelbert Günster, Landesleiter Deutschland von Boehringer Ingelheim, im Vorfeld. Dabei hätte sich gezeigt, dass in Deutschland der Preis für Linagliptin nach Abzug des Herstellerzwangsrabattes bereits unter dem europäischen Durchschnittspreis liege - und zwar je nach Dosierung in der Spanne von 1,20 bis 1,27 Euro Tagestherapiedosis.
Boehringer und Lilly waren eine der ersten, die sich mit Linagliptin der frühen Nutzenbewertung seitens des IQWiG stellten, ebenso eine der ersten, für die ein Beschluss des Gemeinsamen Bundessausschusses (G-BA) vorlag und demzufolge auch (nach Ticagrelor/“Brilique“) mit die ersten, die in die laut Gesetz vorgeschriebenen Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband Bund eingetreten sind.
Am Montag begonnen und schon am Donnerstag beendet: Am 26. April zogen Boehringer und Lilly die Reißleine, erkärten die Verhandlungen für beendet und wählten damit exakt die an diesem Tag - vier Wochen nach G-BA-Beschluss - auslaufende „Opt-out“-Option: Linagliptin wird aus der Lauertaxe entfernt, das Medikament damit aus dem Handel genommen - nur aus dem deutschen, wohlgemerkt.
Der Grund: „Ein Erstattungspreis auf dem Niveau der generischen Vergleichstherapie der Sulfonylharnstoffe im niedrigen zweistelligen Centbereich ist für das Unternehmen nicht akzeptabel“, schreibt Boehringer Ingelheim stellvertretend für das Vermarktungsduo, das in Deutschland einen Herstellerabgabepreis in Höhe von 1,20 Euro Tagestherapiekosten nach Abzug des Zwangsrabattes vorgesehen hatte.
Der europäische Durchschnitts-preis liegt dagegen im Schnitt bei rund 1,27 Euro Tagestherapiekosten. Und der wird gebildet aus Preisen, die aus 15 Ländern (richtiger: bis zu 15 Ländern, weil „Trajenta“ nicht in allen verfügbar ist) stammen, die vielleicht nicht unbedingt der Wirtschaftskraft Deutschlands entsprechen (s. S. 25).
DPP-4 kontra Sulfonylharnstoff: Die Unternehmen argumentieren, dass der vom G-BA als ZVT vorgegebene Sulfonylharnstoff für viele Patientengruppen gar nicht in Frage komme, sei es auf Grund von Nebenwirkungen oder, so Prof. Dr. Beate Kretschmer, Leiterin Health Care Strategy der Lilly Deutschland GmbH, weil den heute oft viel jüngeren Diabetes-Typ-2-Patienten weit verträglichere Medikamente als früher für die Therapie zur Verfügung stünden (MVF 2/12).
Dieser Einspruch brachte bisher herzlich wenig. Weil nicht gegen die vom G-BA vorgegebene Vergleichstherapie getestet wurde, hatte der Bundesausschuss beschlossen: „Da die erforderlichen Nachweise nicht vollständig vorgelegt worden sind, gilt der Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie als nicht belegt.“
Das heißt im Endeffekt: Aus formalen Gründen ist der Zusatznutzen aus Sicht von IQWiG und G-BA nicht belegbar, was aber nun nicht heißt, dass dieser nicht durchaus vorhanden sein könnte. Doch mit Konjunktiven führt man eben keine Preisverhandlungen - zumindest keine erfolgreichen.
„Leider haben sich nun unsere Befürchtungen, die wir bereits zu Beginn des AMNOG-Prozesses hatten, als die Vergleichssubstanz benannt wurde, bestätigt“, zeigt sich Günster enttäuscht. Einen Preis auf Generika-Niveau der Sulfonylharnstoffe im niedrigen zweistelligen Cent-Bereich könnten Boehringer und Lilly als forschende Arzneimittelunternehmen für ein innovatives Medikament nicht akzeptieren.
Die Preisstellung dieses generischen Altmedikaments ist eben nicht zu vergleichen mit der von DPP-4-Hemmern, mit denen sich Boehringer und Lilly vergleichen wollen: Hier schlagen Tagestherapiekosten von rund 12 bis 13 Cent zu Buche; und das im Sinne des Wortes.
Denn wählen Boehringer und Lilly die „Opt-out“-Option nicht und käme am Ende der Verhandlungen wirklich ein Preis heraus, der wohl weit unter dem europäischen Referenzpreis zu verorten sein dürfte, wird dieser veröffentlicht und gilt damit als im Prinzip weltweiter Referenzpreis für 81 Länder (siehe auch MA&HP 1/12). Günster: „Wir fordern eine erneute und sachgerechte Nutzenbewertung und streben zudem eine juristische Klärung wichtiger Prozessfragen an.“
Bis zu einer Einigung über einen akzeptablen Erstattungsbetrag ist Linagliptin für Patienten in Deutschland nicht verfügbar. Wie lange das sein wird, ist auch klar: Das Gesetz sieht eine Jahresfrist für eine Wiedereinreichung eines Dossiers vor - demnach im April 2013.

Eine ausführliche Berichterstattung zum Thema "zweckmäßige Vergleichstherapie" lesen Sie in der kommenden Ausgabe von MA&HP.