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COVID-19-Krise könnte wirtschaftliche Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten vergrößern

10.12.2020 10:50
Die von der EU und ihren Mitgliedstaaten frühzeitig ergriffenen Maßnahmen zur Begrenzung der wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 trugen dazu bei, Arbeitsplätze und Unternehmen zu erhalten, so der Europäische Rechnungshof. Nach Einschätzung der Prüfer könnten die ungleichen Auswirkungen der Pandemie in den Mitgliedstaaten und deren unterschiedliche Kapazitäten zur Stützung ihrer Volkswirtschaft jedoch möglicherweise die wirtschaftliche Kluft zwischen ihnen vertiefen.

Die Prüfer betrachten die derzeit vorgeschlagene finanzielle Reaktion der EU auf die Krise auch als Chance, die Prioritäten der EU voranzubringen und Überlegungen dazu anzustellen, wie die wirtschaftspolitische Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten langfristig verbessert werden kann. Gleichzeitig weisen sie auf Risiken und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung und Koordinierung dieser Maßnahmen hin.

Als Reaktion auf den durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufenen wirtschaftlichen Schock, ergriffen die Mitgliedstaaten eine Vielzahl fiskalpolitischer Maßnahmen, um ihre Volkswirtschaften zu stützen. Mit Stand von Juli belief sich der Umfang der 1 250 Maßnahmen auf rund 3,5 Billionen Euro bzw. 27 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU‑27. Bei den meisten Maßnahmen handelte es sich um Programme zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Liquiditätshilfen, wodurch Entlassungen bislang weitgehend verhindert werden konnten. Diese nationalen fiskalpolitischen Maßnahmen werden jedoch zu einem beträchtlichen Anstieg der Haushaltsdefizite und der Staatsverschuldung der Länder führen. Ihr Umfang und ihre Zusammensetzung richten sich zudem nach dem relativen Wohlstand der Mitgliedstaaten und nicht danach, wie stark sie von der Krise betroffen sind. Die Prüfer warnen, dass es zu wirtschaftlichen Divergenzen und zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten kommen könnte.

"Die Krisenreaktionsmaßnahmen der Mitgliedstaaten ermöglichten die Rettung von Arbeitsplätzen und Unternehmen, führen aber unweigerlich zu steigenden Haushaltsdefiziten. Dies könnte unserer Ansicht nach die wirtschaftliche Konvergenz in den kommenden Jahren beeinträchtigen", erläuterte Ildikó Gáll-Pelcz, das für die Analyse zuständige Mitglied des Hofes. "Eine Herausforderung für die EU-Governance wird darin bestehen, zu den geltenden Haushaltsvorschriften zurückzukehren oder neue Vorschriften so zu gestalten, dass weder die Erholung nach der Pandemie noch die Finanzierbarkeit der Schuldenlast behindert werden."

Die Reaktion der EU bestand darin, dass sie rasch eine flexible wirtschaftspolitische Koordinierung sicherstellte. Dadurch konnten die Mitgliedstaaten die sich abzeichnende Wirtschaftskrise durch Konjunkturpakete, befristete staatliche Beihilfemaßnahmen und die Aussetzung der Obergrenze für Haushaltsdefizite ("Ausweichklausel") abfedern. Zudem mobilisierte die EU verfügbare Mittel und richtete neue Sicherheitsnetze für Unternehmen, Regierungen und Arbeitnehmer ein. Bis Ende August 2020 waren jedoch noch keine größeren Auszahlungen erfolgt.

Außerdem einigte sich der Europäische Rat im Juli 2020 auf das mit 750 Milliarden Euro dotierte Aufbauinstrument NextGenerationEU, mit dem die Rückkehr zu einer nachhaltigen und robusten Erholung gefördert werden soll. Zusammen mit dem nächsten Siebenjahreshaushalt wird sich die finanzielle Unterstützung der EU somit auf 1,8 Billionen Euro belaufen. Allerdings gibt es nach Ansicht der Prüfer keine Garantie dafür, dass diese Maßnahmen das nachhaltige Wachstum und die Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten fördern werden. Die Wirksamkeit der Unterstützung wird ganz entscheidend davon abhängen, wie gut sie die konkreten Auswirkungen der Krise abfedert und wie sehr sie die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt, ihre eigene Volkswirtschaft zu stützen und neue Maßnahmen angemessen umzusetzen.

 

Hintergrundinformationen

Schätzungen zufolge wird das BIP der EU‑27 im Jahr 2020 um 7,4% schrumpfen und auch im Jahr 2021 wahrscheinlich nicht zum Vorkrisenniveau zurückkehren. Dadurch könnten Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste signifikant zunehmen. Wahrscheinlich wird praktisch keiner der 27 Mitgliedstaaten im Jahr 2020 die EU-Defizitgrenze von 3% des BIP einhalten.

Der Europäische Rechnungshof hat am 9.12.20 seine Analyse Nr. 6/2020 "Risiken, Herausforderungen und Chancen der wirtschaftspolitischen Reaktion der EU auf die COVID-19-Krise" zunächst in englischer Sprache auf seiner Website eca.europa.eu veröffentlicht. Weitere Sprachfassungen werden demnächst bereitgestellt. Im Januar 2021 wird er eine Analyse zu den von der EU als Reaktion auf COVID-19 ergriffenen Maßnahmen im Gesundheitsbereich publizieren. Der Hof hat die Durchführung der beiden Analysen im Frühjahr 2020, kurz nach Ausbruch der Pandemie, beschlossen.