Medizinische Agenturen der EU brauchen einen Booster
Bei der Bewältigung der Corona-Pandemie hätten die beiden medizinischen Agenturen der EU – das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) – eine Schlüsselrolle gespielt. Den Prüfern zufolge habe das ECDC den Ernst der Lage jedoch zunächst unterschätzt, da es die Einschleppung des Virus in die EU für nicht sehr wahrscheinlich gehalten habe. Erst am 12. März 2020, drei Tage nachdem Italien einen nationalen Lockdown verhängt hatte, räumte das ECDC ein, dass unverzüglich gezielte Maßnahmen ergriffen werden müssten.
"Wie viele andere Einrichtungen auch wurden die medizinischen Agenturen der EU von der Wucht der sich rasch ausbreitenden Corona-Pandemie überrascht", so João Leão, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Rechnungshofs. "Vier Jahre später müssen die aus der Pandemie gezogenen Lehren nun wirksam auf EU-Ebene umgesetzt werden, damit sich die Geschichte nicht wiederholt."
Das ECDC habe nach Ausbruch der Krise begonnen, Daten über die Pandemie zu erheben, doch sei die Zahl der gemeldeten Infektionen in hohem Maße von den Teststrategien der einzelnen EU-Länder abhängig gewesen. Dies treffe auch auf die Zahl der Todesfälle zu, die als coronabedingt gemeldet worden seien. Die EU-Prüfer betonen, dass zuverlässigere Methoden wie Analysen der Viruskonzentrationen im Abwasser häufiger hätten eingesetzt werden können. Zudem habe das ECDC seine Risikobewertungen, Leitlinien und für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen mitunter zu spät herausgegeben (z. B. seien erst im April/Mai 2020, d. h. gegen Ende der ersten Welle, Leitlinien zu Masken und zur Kontaktnachverfolgung veröffentlicht worden). Die Prüfer weisen auch darauf hin, dass mehrere Länder den Empfehlungen des ECDC nicht nachgekommen seien. So hätten sie über einen langen Zeitraum an Reisebeschränkungen festgehalten, obwohl das ECDC diese für wirkungslos hielt.
Die EMA wiederum habe sich rasch an die Krisenlage angepasst. In den frühen Phasen der Pandemie habe sich die Agentur an potenzielle Impfstoff- und Arzneimittelentwickler gewandt und mehrere andere Maßnahmen ergriffen, um die Zulassung zu beschleunigen. Nach Ansicht der Prüfer hat die EMA auch dazu beigetragen, medizinische Engpässe zu bewältigen, die im Laufe der Pandemie auftraten. Allerdings habe sich die EMA nicht erfolgreich dafür einsetzen können, dass klinische Studien verstärkt in der EU durchgeführt werden.
Die Kommission habe die aus den frühen Phasen der Pandemie gezogenen Lehren genutzt, um eine Reihe von Beschlüssen und Plänen anzunehmen. Die Mandate des ECDC und der EMA seien klarer festgelegt und gestärkt worden, und mit der vorgeschlagenen Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts solle die Zulassung neuer Arzneimittel beschleunigt werden. Diese Maßnahmen dürften nach Auffassung der Prüfer einige Lücken schließen und die Fähigkeit der EU verbessern, auf gesundheitliche Notlagen zu reagieren. Allerdings sei der organisatorische Rahmen dadurch komplexer geworden. Die Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) sei 2021 eingerichtet worden, um in Notlagen die Entwicklung, Herstellung und Verteilung von Arzneimitteln, Impfstoffen und anderen Produkten zu überwachen. Allerdings überschnitten sich ihre Zuständigkeiten und Befugnisse teilweise mit denen des ECDC. Daher fordern die Prüfer eine enge Zusammenarbeit, um Doppelarbeit zu vermeiden.