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Parlamentarischer Abend des BDH: Reha könnte mehr, wenn man sie denn ließe

23.05.2022 11:39
Weitgehend unsichtbar rollt derzeit die Post- und Long-Covid-Welle auf das Gesundheits- und Sozialsystem zu. Ohne Stärkung und Weiterentwicklung der Rehabilitation werden die betroffenen Menschen alleine gelassen. Doch im Fokus der Gesundheitspolitik steht vor allem die Akutmedizin. Stationäre Rehabilitation kämpft seit Jahren mit Unterfinanzierung, bürokratischen Hürden und hinderlichen Sektorengrenzen. Ambulanter Rehabilitation fehlt es an der dringend notwendigen Vernetzung. Eine zukunftsorientierte Neuausrichtung hält der BDH deshalb für überfällig. Denn nicht nur Post-Covid-Betroffene brauchen qualifizierte Rehabilitation.

„Machen wir uns bewusst, dass Rehabilitation nicht nur ein Menschenrecht ist, sondern Teil der Menschlichkeit, die unsere Welt braucht“, mahnte Ilse Müller, Bundesvorsitzende des BDH. Auch Malu Dreyer, Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, hob in ihrer Grußbotschaft Aktualität des Themas hervor. Im Mittelpunkt stehe der Mensch und das, was er zur Bewältigung der Pandemiefolgen brauche, so Malu Dreyer.

Defizite im Gesundheitssystem

Post-Covid zeigt komplexe Symptome, ist vielgestaltig und vor allem langwierig. Viele betroffene Menschen können ihren Alltag nicht mehr bewältigen. Eine internationale Studie aus 13 Ländern nennt mehr als 30 unterschiedliche Symptome, darunter häufig Fatigue (chronisches Erschöpfungssyndrom), Störungen der Konzentration, des Gedächtnisses oder der Emotionen. Darauf muss die Gesundheitsversorgung besser reagieren, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und Teilhabe nachhaltig zu fördern.

Noch fehlt es an wissenschaftlicher Forschung, was wirklich hilft, so Prof. Thomas Platz, Ärztlicher Direktor Forschung des BDH. Er macht auch auf ein grundsätzliches Dilemma zukünftiger Gesundheitspolitik aufmerksam: „Während durch Neuro-Covid und andere Erkrankungen wie Schlaganfall neurologische Alltagsbehinderungen deutlich zunehmen, droht die Zahl der Gesundheitsdienstleister in den nächsten Jahrzehnten abzunehmen. Wir müssen also effizient arbeiten. Die Neurorehabilitation hat dafür Konzepte und Anleitungen. Diese finden aber ohne Finanzierung keinen Eingang in die Praxis.“  Insbesondere macht Platz die Sektorengrenzen im Gesundheitssystem dafür verantwortlich. Es müsse möglich werden, aus der stationären Frührehabilitation mit ihren Teamstrukturen und ihrer Expertise heraus auch nachfolgende Bereiche der Rehakette, insbesondere auch den ambulanten Bereich, weiterzuentwickeln und miteinander zu verzahnen. Es ist betroffenen Menschen schwer zu erklären, warum es ein so innovativer und unverzichtbarer Bereich wie die Rehabilitation im deutschen Gesundheitssystem so schwer hat.

Gute Reha spart Kosten in Milliardenhöhe

Für jeden Euro, der in die Rehabilitation investiert wurde, bekomme die Volkswirtschaft fünf Euro zurück, zum Beispiel durch gesparte Kosten für Erwerbsminderungsrente, Arbeitslosen- oder Krankengeld. Und Reha sichere Arbeitsplätze: Durch Rehamaßnahmen könnten jedes Jahr mehr als 150.000 Menschen ins Erwerbsleben zurückkehren. „Rehabilitation ist also eine einzigartige Erfolgsgeschichte, aber eine unterfinanzierte“, beklagt BDH-Bundesgeschäftsführer Gero Skowronek. Die Aktiva-Gutachten der AG MedReha zeigen, so Skowronek, Jahr für Jahr: Die Vergütungssätze der Krankenkassen sind bis zu 30 Prozent zu niedrig, um die Strukturanforderungen der Kassen überhaupt erfüllen zu können!

Rehabilitation leistungsgerecht finanzieren und auf die Zukunft ausrichten

Der Bedarf an Rehaplätzen wird in Zukunft stark ansteigen, nicht nur bei schweren, sondern auch mittelschweren und leichten Krankheitsverläufen. Darauf macht auch der Covid-Expertenrat der Bundesregierung in seiner aktuellen Stellungnahme aufmerksam. Das wird die Probleme der Rehabilitation jedoch verstärken, prognostiziert der Geschäftsführer der BDH-Reha-Klinik Vallendar, Thomas von Kessel. Rehabilitation dürfe bei politischen Entscheidungen nicht länger schlichtweg vergessen werden. Von Kessel bittet außerdem die Politik um eine Erleichterung qualifizierter Zuwanderung. Ausländische Fachkräfte vieler Nationen sind bereits heute in Pflege und Therapie unverzichtbar.

Wer „Ja“ zur Spitzenmedizin sagt, muss sich auch zur Reha bekennen

Die Realität sieht anders aus: Eine politische Planung im Rehabilitationsbereich analog zur Krankenhausplanung gibt es derzeit nicht. Zudem behindern bürokratische Barrieren den Zugang zur Rehabilitation. In der besonderen Kritik steht der Genehmigungsvorbehalt der Kostenträger: Vor der Reha steht ein Bürokratie-Marathon. Trotz aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass der Genehmigungsvorbehalt nicht zur Verbesserung der Teilhabe beiträgt und einem Vorstoß zur Abschaffung durch die Fachverbände beim Gemeinsamen Bundesausschuss bleibt er weiterhin bestehen. Mutlosigkeit und Inkonsequenz beklagt der BDH auch in anderen entscheidenden Bereichen der Sozialpolitik, wie beim Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom Mai 2021 und stieß damit auf besondere Zustimmung der anwesenden Vertreterinnen und -vertreter von Behindertenverbänden.

Am Ende des 1. Parlamentarischen Abend des BDH waren wichtige gesundheits- und sozialpolitische Impulse und Positionen ausgetauscht. Im Interesse der gemeinsamen Sache wünscht sich der BDH ein Nachwirken und die Bereitschaft, im Dialog zu bleiben. Ilse Müller bringt es abschließend auf den Punkt: „Verständigung ist nichts anderes als Wissen, das wir miteinander zu teilen bereit sind.“