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Vertrauen und Misstrauen ins Gesundheitssystem

21.01.2022 10:43
Durch die Pandemie gibt es wohl kein anderes Thema, welches gerade derart im Fokus steht, wie Corona selbst und dessen Auswirkungen. Zum Vertrauen und Misstrauen in das Gesundheitssystem hat nun der Wissenschaftsredakteur und Mediziner Dr. Bernhard Albrecht bei der vierten „vechtaer trust lecture“ gesprochen. Dabei wurde deutlich, wie Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zusammenarbeiten können, um Verlorenes wiederzuentdecken.

Die Forschung mache „evident, dass das Vertrauen in das medizinische Personal mit vielen positiven Konsequenzen für den Erfolg therapeutischer Maßnahmen einhergeht“, sagt Prof. Dr. Martin K. W. Schweer nach der Begrüßung durch die neue Präsidentin der Universität Vechta, Prof.in Dr.in Verena Pietzner. Aber: „Vertrauen ist keineswegs ein Automatismus, im Gegenteil, es ist ein sehr sensibles Gut, das nicht zuletzt signifikant von den konkreten Rahmenbedingungen beeinflusst wird!“, verdeutlicht der Initiator der Veranstaltung und Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung an der Hochschule. Und wenn von Vertrauen und Misstrauen im Gesundheitssystem gesprochen werde, so seien auch die Zustände in Kliniken zu fokussieren. Schwierige Arbeitsbedingungen, hoher ökonomischen Druck und notwendige Veränderungen zum Patientenwohl seien Teil davon. Die Corona-Krise selbst mache es mehr als deutlich: „Ohne Vertrauen kann die erforderliche Solidarität in der Gesellschaft nicht erreicht werden, auf die wir – und dies sei betont – momentan sicherlich mehrheitlich zählen können“, sagt der Professor für Pädagogische Psychologie. „Einer Minderheit hingegen fehlt offenbar dieses Vertrauen.“

Deutschland sei im Vergleich zu andern Ländern gut durch die Krise gekommen, sagt Dr. Bernhard Albrecht. Doch mit einer Chronologie der Verunsicherung zeigt er die mögliche Entstehung für das Misstrauen der Gesellschaft in das Gesundheitssystem auf: Von beispielsweise anfänglichen Statements im Januar 2020, dass das Tragen eines Mundschutzes nicht notwendig sei, über zunächst angekündigte und dann zwischenzeitlich nicht ausgezahlte Prämien für Pflegepersonal bis hin zu den sogenannten „Maskendeals“ bei Abgeordneten. Auch die Ankündigung, dass es keine allgemeine Impfflicht geben werde und undurchsichtige Corona-Regelungen führt er an. Zu den Treibern des Vertrauensverlusts zählt Albrecht somit „überforderte Behörden, widersprüchliche Kommunikation, raffgierige Politiker:innen, alleingelassene Pflegekräfte, Profitmaximierung der Krankenhäuser sowie die Fragmentierung der Gesundheitspolitik“.

Zurückgewonnen werden könne Vertrauen in das Gesundheitssystem, welches seiner Meinung nach auch bereits vor der Pandemie schwand, durch eine offene Kommunikation. Ergänzung findet das Vorgehen durch eine Digitalisierung und Zentralisierung des öffentlichen Gesundheitswesens sowie einen Umbau des Gesundheitssystems: „Das Ziel muss eine stärkere Gemeinwohlorientierung sein“, sagt Albrecht. Hierfür gebe es in Deutschland auch schon Beispiele, wie die Poliklinik Veddel in Hamburg. An drei Standorten werde eine allgemeinärztliche Versorgung angeboten; darüber hinaus aber auch eine Sozial- und Gesundheitsberatung sowie eine psychologische Beratung. Durch eine kontinuierliche Gemeinwesenarbeit in Form von Präventionsprojekten werde hier versucht, Gesundheitsproblemen auch kollektiv zu begegnen. So besuchen etwa Fachkräfte Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils, um Gesundheitsgefährdungen vorzubeugen. Und bei solchen Projekten kann wiederum Wissenschaft – wie die Vertrauensforschung ansetzen – sind sich Teilnehmende der „vechtaer trust lecture“ sicher: Die Wirksamkeit der konkreten Maßnahmen könnte beispielsweise untersucht werden, um Empfehlungen für die Politik auszusprechen. Denn Vertrauen lässt sich wiedergewinnen.