Fehlende Harmonisierung
Nicht die operativen Fragestellungen, wie das AMNOG umgesetzt oder weiterentwickelt werden könnte, standen bei Monika Fenzau, zuletzt tätig bei Bristol-Myers-Squibb, im Mittelpunkt ihres Vortrages. Sie wollte einen Blick - „um in Fußballersprache zu sprechen“ in die nächste oder übernächste Saison werfen. Gleich zu Beginn des Referates machte sie deutlich, dass sie der Nutzenbewertung sehr positiv gegenüberstehe. „Denn auch als Bürgerin und Konsumentin ist für mich eine Nutzenbewertung eigentlich völlig selbstverständlich.“ Beim Kauf eines neuen Kühlschrankes wolle sie schließlich auch wissen, was der Neue besser könne als der Alte und worin sie sich unterscheiden. „Deshalb von meiner Seite aus und ich bin da gar nicht so alleine in der Industrie - ein eindeutiges Ja zur Nutzenbewertung von Innovationen per se“, so Fenzau. Um danach gleich festzustellen: „Aber bitte nicht so.“
Heutzutage gäbe es ein zweistufiges Evaluationsverfahren, nämlich zunächst einmal die europäische Zulassung von neuen Wirkstoffen. „Das heißt die Sicherheit und Wirksamkeit von Wirkstoffen wurde entsprechend geprüft.“ Dazu kämen in den vielen Nationalstaaten nachgelagerte Nutzenbewertungen, zum Teil auch explizite Kosten-Nutzen-Bewertungen. Aufgrund fehlender Harmonisierung im Hinblick auf Datenquelle, Studiendesign oder Methodik ergeben sich teils „kuriose“ und völlig unterschiedliche Ergebnisse.
Das wiederum führe zu erheblicher Verunsicherung nicht nur bei den Herstellern, sondern auch bei den Patienten und nicht zuletzt den politischen Verantwortlichen in den einzelnen Ländern. „Diese Form von Ergebnissen kann nicht die Zukunft sein“, erklärte Monika Fenzau. Ihre Lösung: Harmonisierung. „Meine Botschaft lautet hier, dass wir Nutzenbewertungen zeitlich parallel laufen lassen müssen zur Zulassung.“ Harmonisierung müsse hinsichtlich Datenquellen, Studiendesign und Methodik im Hinblick auf die Nutzenbewertung erfolgen. So könne schließlich auch gewährleistet werden, dass Arzneimittel nicht „nur“ gegen Placebo getestet würden, sondern tatsächlich auch gegen eine angemessene, nachvollziehbare Therapiealternative. Mit anderen Worten: „Würde man es parallel laufen lassen, dann kommt ein neuer Wirkstoff nicht nur mit einer europäischen Zulassung auf den europäischen Markt, sondern auch gleich im Hinblick auf den Zusatznutzen zur Vergleichstherapie.“
Doch nicht nur bei der zeitlichen Herangehensweise, sondern auch beim Verfahren selbst sieht Fenzau Verbesserungspotenzial. Ihrer Ansicht nach sollten sich die einzelnen nationalen HTA-Agenturen auf Wirkstoffe bewerben, die sie überprüfen. „Die dort gefundenen Ergebnisse gelten dann für den gesamten europäischen Raum.“
Konsequente Delegation
Kritik übte Monika Fenzau auch beim Thema Preisfindung innerhalb des AMNOG-Verfahrens. „Warum muss der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen einen Preis verhandeln?“ Sie habe in letzter Zeit Gespräche mit dem ein oder anderen einflussreichen Repräsentanten der GKV geführt und nachgefragt, wie sie es fänden, dass der GKV-Spitzenverband helfe, die Preise mit der Industrie zu verhandeln. Die Reaktionen seien durch die Bank gleich gewesen: Alle befragten Repräsentanten forderten das Verhandlungsmandat für sich.
Deshalb laute ihre Botschaft auch: Konsequente Delegation von Verhandlungsautonomie nach unten. Laut Fenzau berge die Delegation folgende Vorteile: Erstens könne sich der Arzt auf seine Kernkompetenz konzentrieren und wäre aus der ökonomischen Verantwortung komplett entlassen. „Denn die ökonomische Verantwortung von innovativen Arzneimitteln ist dann in die Hände derer delegiert, in die sie gehört - nämlich Hersteller und Zahler.“
Die Delegation der Verhandlungskompetenz an Hersteller und Krankenkasse hätte darüber hinaus auch Auswirkungen auf das internationale Reference-Pricing, das sich am deutschen Markt orientiere. „Dadurch, dass das AMNOG diesen Effekt des Reference-Pricings völlig ignoriert, in dem es einen Verhandlungspreis in die Lauer-Taxe schreibt, kann es eben zu einem Kellertreppeneffekt führen“, so Fenzau. Würde die Verhandlungskompetenz aber an Krankenkassen delegiert werden, wären das Verträge zwischen gleichberechtigten Partnern, deren Inhalte in der Regel nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden. „Somit wird das Thema internationales Reference-Pricing gar nicht erst zum Problem“, erklärte Monika Fenzau abschließend.
Einen Blick in die berühmte Kristallkugel wagte Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers (Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner) mit seinem Vortrag „Health Care Fraud in Deutschland - Drohen der pharmazeutischen Industrie amerikanische Verhältnisse?“ Um die Brisanz des Themas zu verdeutlichen, berichtete Ehlers zunächst über die Entwicklungen in den USA.
Es sei dahingestellt, ob das Gesundheitssystem in den USA das teuerste sei oder nicht. Tatsache sei jedoch, dass die strukturelle Korruption in den USA längst zur Nummer eins der Wirtschaftskriminalität geworden sei. „Mindestens 3 bis 10 Prozent des gesamten Gesundheitsbudgets gehen durch Straftaten, sogenannte Health Care Frauds, verloren“, so Ehlers. Dies sind schätzungsweise ca. 80 Milliarden Euro - eine Summe, die im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung vergeblich investiert werde. Die kriminogenen Faktoren, die in den USA eine Rolle spielten, seien durchaus auch in Deutschland zu finden: „Das sind fehlende Transparenz, falsche Systeme zum Anreiz und letztendlich wird es dem Straftäter leicht gemacht, das System zum eigenen Vorteil auszunutzen.“
In den USA werden laut Ehlers von den Arzneimittelherstellern regelmäßig bis zu dreistellige Millionenbeträge gezahlt, um zivil- und strafrechtliche Verfahren zu beenden. Das Problem seien falsche Informationen. Beispielsweise „aufgeblähte durchschnittliche Großhandelspreise“. Bei einem Hersteller, der falsche Großhandelspreise angibt und damit letztendlich einen Dritten dadurch schädigt, spreche man nicht von zivilrechtlich auszugleichenden Schadenersatzforderungen, sondern von kriminellem Verhalten.
Problem sind falsche Informationen
Auch die „Manipulation des nominellen Preises“ könne in den USA Strafverfahren nach sich ziehen. Ebenso müssten nach der Bestimmung des Best Price auch Kosten bzw. Kostenvergünstigungen für privates Etikettieren, Umverpacken und Umetikettieren eingerechnet werden.
Zwar existierten keine genauen Zahlen zu den tatsächlichen Schäden durch Betrug und Manipulation für das deutsche Gesundheitssystem. „Nach Expertenansicht entsteht dem Gesundheitssystem in Deutschland ein jährlicher Gesamtschaden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro“, führte Ehlers aus. Das enstpreche knapp 6 Prozent der Gesamtausgaben. Wie tragfähig die Zahlen letztendlich seien, könne er nicht beurteilen. „Doch egal wieviele Euros verschwendet werden, es sind Gelder, die bei knappen Ressourcen einfach bei der Versorgung fehlen.“
Die Frage müsse nun lauten: Könnten diese amerikanischen Verhältnisse auch auf Deutschland übertragen werden? „Wenn ich eine Prognose wage und den Blick in die Glaskugel werfe, dann sage ich Ja“, erläuterte Ehlers. Zwar gebe es keine direkte Übertragbarkeit, da die Rechtssysteme sehr verschieden seien. „Aber man beachte den Paradigmendwechsel“, mahnte der Rechtsexperte. Haben die Hersteller früher die Arzneimittelpreise für Innovationen selbst festgelegt, erfahre die Preisbildung durch das AMNOG eine gravierende Änderung, „denn erstmals wurden Mitteilungspflichten eingeführt“. Verletzung der Mitteilungspflicht wäre beispielsweise gegeben, wenn Angaben des Herstellers gegenüber dem G-BA bei der frühen Nutzenbewertung, insbesondere in Verhandlungen mit dem Spitzenverband Bund oder dem anschließenden Schiedsamtsverfahren, falsch sind.
Darüber hinaus könne er Monika Fenzau bei ihrer Forderung nach Harmonisierung bei der europäischen Nutzenbewertung nur zustimmen. „Ich glaube, dass es bei der frühen Nutzenbewertung noch sehr viel Diskussionsbedarf gibt“, so Ehlers, „denn eine Vielzahl an Rechtsproblemen ist noch offen.“ <<
Das Gespräch führte Jutta Mutschler, leitende Redakteurin „MA&HP“.
]]>Die Frage lautet: Wie?
Würde man dazu den ehemaligen Leiter des IQWiG, Prof. Dr. Peter T. Sawicki, befragen, käme als Antwort: natürlich RCT und nur RCT.
Anders dagegen sein Nachfolger Windeler, der explizit darauf hinweist, dass es – sein O-Ton- „in keiner Weise zentral darauf ankommt, randomisierte kontrollierte Studien zu machen, sondern es zentral und eigentlich ausschließlich darauf ankommt, Nutzen zu belegen“. Wenn jemand der Auffassung sein sollte, dass er das mit Registern gut kann, und dass er das mit Registern ähnlich methodisch überzeugend und fehlerarm machen kann wie mit randomisierten Studien, dann – so Windeler - „bin ich und ist das IQWiG für Registerstudien gerne zu haben“.
Wobei man über die externe Qualität von Registern und von anderen Studientypen dann noch mal im Detail diskutieren müsste. „Ich habe den Eindruck, dass da noch einiges an Begriffsklärungen und -verständnissen sortiert werden muss“, meint Windeler - auch mit Blick auf Glaeske.
In dem Zusammenhang erinnert der IQWiG-Chef an den Grund, warum das AMNOG überhaupt eingeführt wurde. Prioritär sei es der Politik natürlich um die Preise gegangen, sagt Windeler ganz deutlich; aber auch, dass er das zwar als ein legitimes Ziel der Politik anerkennt, aber nicht als das Ziel sieht, was ihn und das IQWiG mit Priorität interessiert. Windeler: „Das IQWiG interessiert, ob mit dieser Bewertung die Arzneimittelversorgung in Deutschland verbessert werden kann.“
Denn in den Begründungen für das Gesetz gebe es mehrere Passagen, die darauf aufmerksam machten, warum es eigentlich Nutzenbewertungen braucht. In diesen Passagen würde nun nicht mangelnde externe Validität beklagt, sondern eine unbefriedigende Datenlage, eine geringe Aussagekraft der für die Zulassung durchgeführten Studien und zu patientenrelevanten Endpunkten. „Der Hauptgrund für das AMNOG ist ein Defizit im Zusammenhang zwischen Aussagen zu patientenrelevanten Endpunkten und zum Nutzen im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen der Zulassung und dem, was man eigentlich wirklich für die Versorgung von gesetzlich versicherten Menschen braucht“, sagt der IQWiG-Chef.
Nutzen-Ausmaße offen
Wer solches möchte, muss sich den Nutzen genauer betrachten, zum einen den Nutzenbegriff, den der Gesetzgeber ins ANMOG geschrieben hat, zum anderen den Nutzen, der in der entsprechenden Rechtsverordnung definiert wurde.
Bei der ersten frühen Nutzenbewertung (siehe „MA&HP“ 11/11) stand das IQWiG nun vor der laut Windeler „sehr gravierenden Herausforderung“, sich ohne entsprechende Vorgaben mit dem Ausmaß des Zusatznutzens beschäftigen zu müssen. Das IQWiG hätte bei der ersten Bewertung auch einfach sagen können: „Wir finden, dass der Zusatznutzen beträchtlich ist.“ Statt dessen habe das Institut versucht, die Stufen des Zusatznutzens laut Rechtsverordnung zu operationalisieren:
1. Erheblicher Zusatznutzen
2. Beträchtlicher Zusatznutzen
3. Geringer Zusatznutzen
4. Nicht quantifizierbarer Zusatznutzen, weil die wissenschaftliche Datengrundlage es nicht zulässt
5. Kein Zusatznutzen belegbar
6. Geringerer Nutzen als der der zweckmäßigen Vergleichstherapie
Für das Institut wären die ersten drei wichtig, und hier besonders die erste, sagt Windeler, weil sie eine erhebliche, mit gravierenden, sehr substanziell formulierten Begriffen – wie „nachhaltig“ oder „bisher nicht erreichte große Verbesserung, Heilung, weitgehende Freiheit von Nebenwirkungen“ - versehene „herausgehobene Kategorie“ sei. Nun wäre das IQWiG vor der schwierigen Frage gestanden, Grenzen zwischen „erheblich“, „beträchtlich“ und „gering“ festzulegen.
Das habe darum das IQWiG für diese einzelnen Bereiche mal festgelegt, wobei sich Windeler gleich selbst verbessert und berichtigt: „vorgeschlagen“. Und weil dem IQWiG in der näheren Beschreibung der (sicher wichtige) Begriff „Lebensqualität“ fehlt, wurde der nebenbei gleich mal dazu gefügt.
Das sei alles im Internet nachzulesen, wobei diese Öffentlichkeit und Transparenz im Bewertungsverfahren allein schon ein Wert an sich des AMNOG sei. Das alles ist demnach die Basis der nächsten frühen Nutzenbewertungen. Mithin ist die Operationalisierung des Nutzens etwas, auf das sich die Industrie durchaus einstellen muss.
Der G-BA zieht nicht mit
Doch ist der G-BA mit dem Alleingang des von ihm beauftragten Instituts gar nicht so glücklich. So übernimmt der G-BA „die vom IQWiG vorgeschlagene Methodik zur Operationalisierung des Ausmaßes des Zusatznutzens“ wider Erwarten nicht, vielmehr entscheide der G-BA zur Zeit alleine nach den Kriterien der Rechtsverordnung, also ohne Hinzuziehung von Schwellenwerten oder ähnlichem, wie Kai Fortelka, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Stabsbereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation des G-BA erklärt.
In dem Zusammenhang ist auch die endgültige Entscheidung zum Ausmaß des medizinischen Zusatznutzens von Ticagrelor („Brilique“) seitens des G-BA zu verstehen. Die positive Entscheidung des Ausschusses entspricht zwar in weiten Teilen der Beurteilung des IQWiG, jedoch hat der G-BA zusätzlich eine weitere Subgruppe definiert und wiederum in dieser einen Zusatznutzen für Ticagrelor anerkannt.
Auch vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer freut sich, dass der G-BA „als Herr des Verfahrens“ der IQWiG-Bewertung nur zum Teil gefolgt sei, indem er die IQWiG-Methodik zur Klassifizierung des Zusatznutzens nicht angewandt habe. Das zeige, dass im Grundsätzlichen noch erhebliche Unsicherheiten bestehen, die für zukünftige Verfahren geklärt werden müssen. Fischer: „Patienten wie übrigens auch die beteiligten Pharma-Unternehmen brauchen die Gewissheit, dass die frühe Nutzenbewertung auf gefestigten methodischen Standards ruht. Schließlich sind Erstattungsentscheidungen aus Sicht des Patienten Entscheidungen darüber, wer etwas bekommt und wer nicht.“
Genau dieser Forderung nach gefestigten Standards kommt der G-BA nach, indem er gerade bei der enorm wichtigen Definition des Ausmaßes des Zusatznutzens eine breitere Diskussion zu geeigneten Kriterien zur Einstufung des Zusatznutzens anstoßen möchte, wozu Anfang des Jahres Workshops mit Beteiligung von Fachkreisen durchgeführt werden.
Problemfall 1: zweckmäßige Vergleichstherapie
Für Hersteller AstraZeneca ging mit der abschließenden G-BA-Bewertung eine Zeit des Bangens und Hoffens vorbei. Zumal eine Zeit, für die sich das Unternehmen aktiv entschieden hat: Denn die Markteinführung des Produktes wäre noch im Jahr 2010 möglich gewesen; also noch vor Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes zum 1. Januar 2011.
„Wir freuen uns über die positive Entscheidung zu Ticagrelor für die große Mehrheit der Patienten. Das ist ein sehr gutes Ergebnis für eine Innovation, die bei breitem Einsatz die Sterberate von Herzinfarktpatienten spürbar senken wird“, sagt Dr. Claus Runge, Vice President Corporate Affairs bei AstraZeneca. „Für den kleineren Teil der Patienten konnte im Verfahren selbst keine für alle Seiten befriedigende Lösung hinsichtlich der Auswahl der Vergleichstherapie gefunden werden,“ erklärt Runge mit Blick auf die G-BA-Wertung, der anders als das IQWiG einen Zusatznutzen für etwa 80 Prozent aller ACS-Patienten anerkannt hat.
Für die restlichen 20 Prozent aber hätte der G-BA formale Kriterien angeführt, nicht aber die Realität in der Patientenversorgung, so Runge.
Problemfall 2: Off Label
Die Realität ist eben ein gerade bei der im Dossier zu „Ticagrelor“ (und auch vom BfARM anerkannten) „genutzten Vergleichstherapie anscheinend weit verbreiteter und bisher unhinterfragter Off-Label-Use von Clopidrogrel. Was die Deutschen stört, stört europäische Nachbarn gar nicht: Andere, im übrigen für ihre sehr kritischen Bewertungen bekannte Bewertungsinstitutionen wie das britische NICE, das schottische SMC oder die dänische HTA-Agentur bewerten anders als Deutschland analog der europäischen Zulassungsstudie für Ticagrelor (PLATO), in der durchgängig mit Clopidogrel verglichen wurde, und empfehlen allesamt den breiten Einsatz von Ticagrelor bei AKS.
Hier kann man durchaus von einem deutschen Sonderweg sprechen, da sich im Moment nun mal die Vorgehensweise des G-BA und des IQWiG am Zulassungsstatus der Medikamente orientieren muss.
Bei Ticagrelor ist genau das der Fall: Die vom Unternehmen auch in den Zulassungstudien genutzte Vergleichstherapie hat in den definierten Subgruppen überhaupt keine Zulassung. Überraschenderweise für viele Anwender übrigens, wie Windeler fast süffisant bemerkt.
Doch das nützt dem Unternehmen zur Zeit recht wenig, denn laut Verfahrensordnung kann eine Vergleichstherapie eben nur dann herangezogen werden, wenn sie eine Zulassung hat. Windelers Anregung: „Diese ganze Thematik Zulassungsstatus und damit auch die des Off Label-Use gewinnt im AMNOG eine neue und ganz andere Bedeutung, die sicherlich auch genereller angepackt werden muss.“
„Das Verfahren, dem wir uns mit Ticagrelor freiwillig gestellt haben, hat uns viel abverlangt“, sagt auch darum Runge. Dennoch sei es angesichts der neuen Herausforderungen für alle Beteiligten fair abgelaufen und von gegenseitigem Respekt geprägt gewesen - auch „wenn wir in der Sache zum Teil unterschiedliche Auffassungen vertreten“. <<
Das Efficacy/Effectiveness-Verständnis von Windeler
http://www.ebm-netzwerk.de/grundlagen/images/efficacy_and_effectiveness.pdf
Das Efficacy/Effectiveness-Verständnis von Glaeske
http://www.zes.uni-bremen.de/GAZESse/201101/GG_Onkologiegutachten%20BMG%20Jan%202011.pdf
VerfO § 5 Abs. 7 Quantifizierung des Zusatznutzens
1. Ein erheblicher Zusatznutzen liegt vor, wenn eine nachhaltige und gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie bisher nicht erreichte große Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Heilung der Erkrankung, eine erhebliche Verlängerung der Überlebensdauer, eine langfristige Freiheit von schwerwiegenden Symptomen oder die weitgehende Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen;
2. ein beträchtlicher Zusatznutzen liegt vor, wenn eine gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie bisher nicht erreichte deutliche Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Abschwächung schwerwiegender Symptome, eine moderate Verlängerung der Lebensdauer, eine für die Patientinnen und Patienten spürbare Linderung der Erkrankung, eine relevante Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen oder eine bedeutsame Vermeidung anderer Nebenwirkungen.
3. ein geringer Zusatznutzen liegt vor, wenn eine gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie bisher nicht erreichte moderate und nicht nur geringfügige Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Verringerung von nicht schwerwiegenden Symptomen der Erkrankung oder eine relevante Vermeidung von Nebenwirkungen;
4. ein Zusatznutzen liegt vor, ist aber nicht quantifizierbar, weil die wissenschaftliche Datengrundlage dies nicht zulässt;
5. es ist kein Zusatznutzen belegt
6. der Nutzen des zu bewertenden Arzneimittels ist geringer als der Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie; § 7 Absatz 2 Satz 6 bleibt unberührt.
VerfO § 6 Zweckmäßige Vergleichstherapie
(1) Zweckmäßige Vergleichstherapie ist diejenige Therapie, deren Nutzen mit dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen für die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V verglichen wird.
(2) Die zweckmäßige Vergleichstherapie ist regelhaft zu bestimmen nach Maßstäben, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben. Bei mehreren Alternativen ist die wirtschaftlichere Therapie zu wählen, vorzugsweise eine Therapie, für die ein Festbetrag gilt.
(3) Die zweckmäßige Vergleichstherapie muss eine nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet sein (§ 12 SGB V), vorzugsweise eine Therapie, für die Endpunktstudien vorliegen und die sich in der praktischen Anwendung bewährt hat, soweit nicht Richtlinien nach § 92 Absatz 1 SGB V oder das Wirtschaftlichkeitsgebot dagegen sprechen. 2 Bei der Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen:
1. Sofern als Vergleichstherapie eine Arzneimittelanwendung in Betracht kommt, muss das Arzneimittel grundsätzlich eine Zulassung für das Anwendungsgebiet haben.
<< Im Wesentlichen sind das zwei Dinge, die wir kritisieren: die mangelnde Transparenz im Prozess und die Festlegung der Vergleichstherapie. >>
Was hätten Sie für praxisnahe Verbesserungsvorschläge an die Adresse des G-BA?
Als vorbildlich stufe ich beispielsweise den Registrierungsprozess bei der EMA oder FDA ein. Im Laufe des Zulassungsprozesses entstehen häufig Nachfragen, wie man das und jenes interpretieren könne. Was ich an diesem Prozess sehr schätze, ist die Möglichkeit, einen richtigen Dialog zwischen den Experten der EMA oder FDA mit unseren Experten im Haus. Offene Fragestellungen und Themen werden auf einer guten wissenschaftlichen und fachlichen Basis diskutiert, um damit letztlich zu einem besseren und professionelleren Verständnis zu gelangen. Genau diesen Prozess würden wir uns auch in der Interaktion mit dem G-BA wünschen.
Sie sind mit Ihrer Entscheidung bewusst auch offensiv in die Öffentlichkeit gegangen. Erwarten Sie Verständnis von Seiten der Bevölkerung bzw. von Seiten der Patienten? Befürchten Sie nicht eher einen Imageschaden für Ihr Unternehmen so nach dem Motto „Der Pharmaindustrie geht es doch vor allem wieder nur um Profit und Geld“?
Ich denke, es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit versteht, was hier passiert. Und dass die Öffentlichkeit auch nachvollziehen kann, warum wir diesen Weg gewählt haben. Das war für uns als Unternehmen Boehringer Ingelheim und Lilly mit Sicherheit keine leichte Entscheidung. Zum einen gibt es mit Sicherheit viele Patienten, die mit Unverständnis auf unsere Entscheidung reagieren, wenn sie die Hintergründe nicht verstehen. Deshalb machen wir unseren Schritt auch öffentlich. Zum anderen haben wir als Unternehmen nicht nur eine bedeutende Sorgfaltspflicht gegenüber unseren Patienten, sondern natürlich auch gegenüber unseren Mitarbeitern. Wir brauchen als Boehringer Ingelheim eine langfristige Perspektive, damit wir in Deutschland auch weiterhin 10.000 Mitarbeiter beschäftigt halten und hier Forschung/Entwicklung und Produktion betreiben können. Für uns war deshalb der derzeitige, völlig unkalkulierbare Ausgang Anlass zu sagen: Solange für uns nicht klar ist, in welche Richtung das geht, bleiben wir bei unserer Entscheidung und nehmen auch ökonomische Nachteile in Kauf.
Wie erklären Sie einem Diabetes-Patienten, warum sie das Medikament in Deutschland vorerst nicht auf den Markt bringen?
Um das erklären zu können, muss ich etwas weiter ausholen. Das Unternehmensziel von Boehringer Ingelheim lautet, innovative Arzneimittel zu entwickeln und den Patienten zur Verfügung zu stellen. Und das wollen wir auch langfristig machen. Doch um langfristig neue Arzneimittel mit innovativem Charakter entwickeln zu können, braucht man Planungssicherheit und auch angemessene Preise. Was oft vergessen wird: Einer marktreifen Entwicklung liegen zwölf bis vierzehn Jahre intensiver Forschung und Entwicklung zugrunde. Dann muss ich als Unternehmen auch die Gewissheit haben, dass ich mein Produkt zu einem adäquaten Preis vermarkten kann. Wie bereits gesagt, stellen wir uns mit „Trajenta“ ganz bewusst dem Prozess der frühen Nutzenbewertung, um damit auch Klarheit zu bekommen. Die Verschiebung der Markteinführung in Deutschland, die uns sowieso schon beträchtlichen ökonomischen Schaden bringt, ist für uns und auch im Sinne der Patienten „das kleinere Übel“, wenn Sie so wollen. Wir warten ein paar Monate, immer in der Hoffnung, dass wir gemeinsam mit dem G-BA zu einer vernünftigen Lösung kommen. Ich bin sicher, dass die Patienten verstehen, dass wir hier auf einer grundsätzlichen und angemessenen Lösung beharren. Die zentrale Frage ist doch, wie wir zukünftig mit innovativen Arzneimitteln verfahren wollen. Ich sehe uns jetzt ganz klar an einer entscheidenden Wegkreuzung. Wir wollen wenigstens, dass unser neues Medikament in seinem Kontext verstanden und beurteilt wird. Und so lange das nicht gegeben ist, müssen wir hier eine Grundsatzdiskussion führen.
Ihre Entscheidung soll eine allgemeine Grundsatzdiskussion auslösen?
Genau. Wir wollen zunächst für uns die beiden bereits genannten Punkte geklärt haben: Nämlich die Frage nach den Bewertungskriterien und was die angemessene Vergleichstherapie ist. Diese beiden sehr grundsätzlichen Themen im AMNOG müssen jetzt ausdiskutiert werden.
Es wird von Ihrer Seite die Vermutung laut, dass es politisch gewollt sei, die Preise in Deutschland unter den europäischen Durchschnittspreis fallen zu lassen. Sollte diese von Ihnen befürchtete Entwicklung tatsächlich eintreten, welche Folgen befürchten Sie für das Preisreferenzland Deutschland?
<< Die zentrale Frage ist doch, wie wir zukünftig mit innovativen Arzneimitteln verfahren wollen. Ich sehe uns jetzt ganz klar an einer entscheidenden Wegkreuzung. >>
In der politischen Diskussion geht es ja nun schon seit längerem um eine deutliche Absenkung der Arzneimittelkosten. Das geht nur – und darüber sind wir uns natürlich auch im Klaren - über eine Absenkung der Preise. Die demografische Entwicklung und die Zunahme chronischer Erkrankungen in Deutschland tragen natürlich ihren Teil zu diesen Erwägungen bei. In diesem Zusammenhang muss man meines Erachtens Lösungen im Sinne einer ganzheitlichen Versorgungssituation diskutieren und nicht immer nur die Arzneimittelpreise isoliert betrachten.
Vor gut einem Jahr wurden die Zwangsrabatte eingeführt, und die Preise wurden für 3,5 Jahre eingefroren – allein diese politischen Entscheidungen wirken sich schon sehr massiv aus und drücken auf die Preise eingeführter Substanzen. Durch das AMNOG werden nun alle Neueinführungen der beschriebenen frühen Nutzenbewertung unterworfen und später sollen auch noch Produkte aus dem Bestandsmarkt folgen. Das nimmt uns die Luft zum Atmen und dem Standort Deutschland den Anreiz zur medizinischen Forschung.
Im § 130 b des AMNOG steht ja auch, dass der Rabatt auf den Abgabepreis hinterher offen gelegt wird. Diese Entscheidung gibt Deutschland als europäisches Preisreferenzland ein zusätzliches kritisches Gewicht. Die Firmen müssen sich auf diese neue Sachlage einstellen. Was uns Sorge macht, ist, dass der tatsächliche Wert eines innovativen Arzneimittels in Deutschland deutlich in Frage gestellt wird. Unser Produkt „Trajenta“, das dem Diabetespatienten deutlich belegte Therapieverbesserungen bringt, ist komplett in Deutschland entwickelt worden und wird hier hergestellt. Da ist es meines Erachtens schon sehr traurig, dass wir dann ausgerechnet in Deutschland nicht auf den Markt gehen können. Insofern löst das natürlich auch eine wichtige Grundsatzdiskussion aus: Wollen wir als innovatives und forschungsorientiertes Land moderne Arzneimittel weiterhin fördern oder wollen wir es nicht?
Sehen Sie langfristig also auch Folgen für den Pharmastandort Deutschland?
Langfristig ja. Das sind mit Sicherheit keine Entscheidungen, die über Nacht getroffen werden, sondern das ist ein schleichender und langwieriger Prozess. Die Entwicklungszyklen in unserer Branche sind sehr lang, aber wenn dort Grundsatzentscheidungen getroffen werden, dann sind sie meist auch unumkehrbar. Deutschland möchte sich als Forschungsstandort und als Land der Innovationen positionieren. Aber einige politische Entscheidungen widersprechen ganz klar dieser gewünschten Positionierung.
Herr Dr. Günster, vielen Dank für das Gespräch. <<
Das Gespräch führte Jutta Mutschler, Leitende Redakteurin „MA&HP“.
AMNOG-Chaos: Was ist die Aufgabe der Industrie?
„Die Verbände der Hersteller und die Apothekerschaft müssen gesetzeskonform und vernünftig ihre jeweilige Klientel auf die neue Situation vorbereiten und informieren. Dafür ist ein enges Zusammenwirken in den entsprechenden Gremien erforderlich“, sagt Hermann Kortland. Der BAH ist seinerseits um eine Lösung bemüht. In einem Schreiben an den BMG-Staatssekretär Stefan Kapferer hat der Verband seine konstruktive Mitarbeit angekündigt und den Vorschlag unterbreitet, gemeinsam mit dem Spitzenverband und dem DAV eine praktikable Lösung des Umsetzungsproblems bei der Mehrkostenregelung herauszuarbeiten. „Ich gehe davon aus, dass das Angebot zu einer gemeinsamen Übereinkunft angenommen wird und die Industrieverbände mit dem Spitzenverband und dem Deutschen Apothekenverband (DAV) bald zusammenkommen“, so Kortland.
Die Umsetzung der Mehrkostenregelung ist in der Tat für alle Beteiligten schwierig. Die Politik wirft dem DAV und dem GKV-Spitzenverband vor, sie hätten zum Anfang dieses Jahres die Umsetzung der Mehrkostenregelung in einem Rahmenvertrag regeln müssen, da diese bereits seit Juni 2010 bekannt war. Der BAH-Experte nimmt jedoch beide Parteien in Schutz: „Man sollte zur Verteidigung der Rahmenvertragspartner festhalten, dass das AMNOG sehr viele neue Regelungen mit sich bringt, die große Auswirkungen auf den Markt haben und die Vertragspartner belasten.“
Der DAV und der GKV-Spitzenverband scheinen jedenfalls „ihre Hausaufgaben“ mittlerweile gemacht zu haben. Einem Bericht der „Deutschen Apotheker Zeitung“ zufolge haben sich die Partner in einem Spitzengespräch auf einen Kompromiss bei der Mehrkostenregelung und dem Packungsgrößenchaos geeinigt. Dieser sieht in der Praxis so aus: Der Patient bezahlt zunächst das nicht rabattierte Arzneimittel komplett, ohne Hersteller- und Apothekenabschlag. Bei der späteren Abrechnung treiben die Apotheken aber den Herstellerrabatt für die gesetzlichen Krankenkassen bei den Arzneimittelherstellern ein und ziehen den Apothekenabschlag ab.
Darüber hinaus einigten sich beide Parteien auf eine Übergangsregelung zur Packungsgrößenverordnung bis zum 30. Juni 2011. Demnach sollen die mit N1, N2 und N3 gekennzeichneten Packungen sowohl nach den bisherigen als auch nach den neuen Regeln der Packungsgrößenverordnung ausgetauscht werden können. Ein EDV-Chaos war entstanden, weil einige Hersteller es versäumt hatten, ihre Produkte gemäß der neuen N-Klassifizierung zu melden. Daraufhin wurden die Präparate in der Apotheken-EDV teils fälschlicherweise als austauschbar angezeigt. Falschmeldungen gab es vor allem bei den Importeuren. Kortland dazu: „Für den Apotheker ist das problematisch, weil er eine falsche Endkennzeichnung hat, parallel aber die Importquote erfüllen und das Importarzneimittel abgeben will. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Unternehmen, die korrekt gemeldet haben und ist nicht akzeptabel.“ Der Experte geht allerdings wie auch andere Fachleute davon aus, dass die Falschmeldungen zum ersten Februar bereinigt sein werden.
Und dann noch die Lagerwertverluste
Die anfänglichen AMNOG-Startschwierigkeiten scheinen also im Hinblick auf den Apothekenmarkt eine Frage der Zeit zu sein, wären da nicht auch noch die Lagerwertverluste, die in Folge des neuen Großhandelsabschlags entstanden sind. Die Verluste seien schon vor Jahresende absehbar gewesen, sagt Fritz Becker, Vorsitzender des DAV. Deshalb hätten viele Landesapothekerverbände ihre Mitglieder darauf aufmerksam gemacht. „Allerdings gibt es keinen Anspruch der Apotheken gegenüber der Industrie“, darin ist sich der DAV mit der Industrie einig. Becker: „In der Realität kommt es auch darauf an, ob sich jetzt die Skonti und Funktionsrabatte der Großhändler gegenüber den Apotheken ändern.“ Kortland vom BAH zeigt sich in diesem Punkt zuversichtlich. In der Vergangenheit hätten sich die Geschäftspartner (Hersteller, Apotheker und Großhandel) auf individuelle Vereinbarungen und einen Teilausgleich geeinigt. „Das ist gelebte Praxis und wird sicherlich auch so bleiben. Denn jedes Unternehmen, das Geschäftsbeziehungen zum Großhandel und zu Apotheken hat, hat ein hohes Interesse daran, dass der Kontakt weiterhin von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis geprägt wird“, sagt er.
Sind Apotheker die Verlierer des AMNOG?
„Ja“, sagt der DAV-Vorsitzende. Die Apotheker würden massiv finanziell belastet, während Ärzten oder Kliniken nur der Zuwachs gekürzt werde. „Eine echte Enttäuschung“, wie er findet. „Die Arzneimittelversorgung soll gesichert werden, gleichzeitig werden Zwangsrabatte erhöht, und die Selbstverwaltung wird einmal mehr außer Kraft gesetzt“, ergänzt er. Das Fazit des IFH trägt nicht gerade zur Aufmunterung bei: Viel Spielraum, um die Kostensteigerungen und Margeneinbußen durch Sparmaßnahmen auszugleichen, bleibe den Apotheken nicht. Erfolgversprechend sei vielmehr eine kontinuierliche Verbesserung der Umsatzsituation, beispielsweise durch Zusatzangebote und -verkäufe, passgenaue Werbemaßnahmen und eine fundierte Preispolitik. Becker betont, dass es für kleine Apotheken kein Patentrezept gibt. Dass in einem immer komplexeren Regulierungs- und Wettbewerbsumfeld immer häufiger Apotheken aufgeben müssen, sei leider „eine unangenehme Tatsache“. Dennoch spricht Becker eine Empfehlung für die Zukunft aus: „Der Rat kann nur lauten, sich auf die eigene Kernkompetenz zu besinnen und den Bedarf der Patienten vor Ort genauestens zu analysieren und zu bedienen.“ <<
]]>Details zum sektorübergreifenden Versorgungsausschuss (S-VA)
Der S-VA soll nach Aussage des Konzeptpapiers folgende Befugnisse und Aufträge erhalten:
• Die Möglichkeit, Planungsbezirke, bei Bedarf auch nur bezogen auf einzelne Arztgruppen, kleinräumiger und flexibler zu gestalten, um die Sitzverteilung besser steuern zu können. Heute sind die Planungsbezirke oftmals zu großräumig und wenig zielgenau ausgerichtet. Es darf nicht sein, dass die Überversorgung einer größeren Kreisstadt oder eines Stadtteils (etwa in Berlin, das mit 3,5 Mio. Einwohnern ein einziger Planungsbezirk ist) die Unterversorgung der kleineren Nachbarorte oder eines anderen Stadtteils statistisch nivelliert.
• Bei der Versorgungsplanung soll unterschieden werden können zwischen primärärztlicher Versorgung mit Haus-, Kinder- und Frauenärzten, der allgemeinen fachärztlichen Versorgung und der spezialisierten fachärztlichen Versorgung (insbesondere hochspezialisierte Fachärzte). Es sind jeweils abgestuft ein unterschiedliches Maß an Flächendeckung und Wohnortnähe zu bestimmen. Dabei ist zu prüfen, ob statt der reinen Planung nach Köpfen auch eine Planung unter Berücksichtigung der tatsächlichen ärztlichen Zeitkapazität umsetzbar ist.
• In einem sektorübergreifenden Ansatz ist auch das Potential des ambulanten Angebotes der Krankenhäuser in einer unterversorgten Region zu berücksichtigen. Darin liegt auch eine große Chance zur Lösung von Konflikten, etwa bei der Umsetzung des § 116b SGB V und anderer strittiger Fragen an der Schnittstelle ambulanter und stationärer Versor-gung. Dabei sind in unterversorgten Gebieten Institutsermächtigungen gegenüber Einzelermächtigungen zu bevorzugen.
• Den besonderen Anforderungen sowohl ländlicher als auch urbaner Strukturen ist Rechnung zu tragen. Die ärztliche Vergütung, die Organisation von Notdiensten und die Zulassungssteuerung müssen die unterschiedlichen Ausgangslagen in Metropolregionen und auf dem Land viel stärker berücksichtigen (können). Dazu gehört eine Orientierung der Versorgungsplanung an Erreichbarkeits- und Entfernungskriterien aus Sicht der Patienten.
• Um flexibel auch finanzielle Anreize für die Niederlassung in unterversorgten oder drohend unterversorgten Gebieten setzen zu können, erhält der Ausschuss die Möglichkeit, über einen neu einzurichtenden Strukturfonds, in dem ein Prozent der Gesamtvergütung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung einfließen könnte, gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Dazu könnten etwa Investitionskostenzuschüsse, Vergütungszuschläge oder auch die Förderung von Studenten gehören.
• Die konsequente Neuorganisation der Notdienstbezirke in den ländlichen Räumen hin zu weniger und dafür größeren Bezirken, so dass sich für den einzelnen Arzt die Zahl der Bereitschaftsdienste reduziert. Das Notdienstangebot der Krankenhäuser muss dabei mit einbezogen und beide Angebote idealerweise integriert werden. In diesem Zusammenhang ist die generelle Verpflichtung für niedergelassene Ärzte, am allgemeinärztlichen Notdienst teilzunehmen, zu überprüfen. Viele Fachärzte sind dazu fachlich gar nicht mehr in der Lage und delegieren ihre Verpflichtung an andere Ärzte. Die sektorübergreifende Zentralisierung des Notdienstangebotes bietet so die Chance, die Versorgung qualitativ zu verbessern, verlässliche und verbindliche, in der Region bekannte Anlaufstellen zu definieren und durch die sich ergebende Entlastung die ärztliche Niederlassung attraktiver zu machen. Dabei muss der Spagat zwischen einer höheren, weil mit geringeren Dienstpflichten verbundenen Attraktivität für den Arzt und der für die Patienten zumutbaren Entfernungen gelingen; Hausbesuche müssen Teil der Notdienstversorgung bleiben. Dies erfordert auch eine angemessene Honorierung des Notdienstangebotes.
Deswegen wird vorgeschlagen, dass künftig sichergestellt werden müsse, dass die Leitung in der medizinischen Versorgung eines MVZ rechtlich wie praktisch in ärztlicher Hand liegt, aber ebenso die sich aus dem Berufsrecht ergebende Therapie- und Weisungsfreiheit gewährleistet ist.
Um das zu erleichtern, soll nach Meinung der CSU-Gesundheitspolitiker die Rechtsform für MVZ auf Personengesellschaften und GmbHs beschränkt werden, während alle anderen Rechtsformen - wie Aktiengesellschaften - ausgeschlossen werden sollen.
Gleichstellung Vertragsarzt/MVZ
Doch auch Vertragsärzte müssten den MVZ in ihren Möglichkeiten gleichgestellt sein, insbesondere im Berufs- und Vertragsarzt-recht - was auch umgekehrt gelte. Denn nur so gebe es in Zukunft „gleich lange Spieße“.
Durch eine künftig über die S-VA kleinräumigere Versorgungsplanung solle zudem verhindert werden, dass MVZ Vertragsarztsitze in unterversorgten Gebieten innerhalb eines Landkreises oder Planungsbezirkes aufkaufen und an ihren Sitz verlegen können. Dies könne einhergehen mit der Auflage, durch Zweigstellen unterversorgte Bereiche mit zu betreuen.
Umgekehrt müsse es für einen bei einem MVZ (oder auch einem Vertragsarzt) angestellten Arzt aber auch möglich sein, eine eigene Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu erhalten, wenn das MVZ (oder der anstellende Vertragsarzt) auf diese Zulassung verzichten.
Grundsätzlich seien die Möglichkeiten, einen Vertragsarztsitz aus einem MVZ oder eine Praxis wieder herauszulösen zu flexibilisieren und anzugleichen.
Mobile Arztstationen, in denen Ärzte verschiedener Fachrichtungen regelmäßig, etwa an bestimmten Wochentagen, in ländlichen Regionen Sprechstunden anbieten, sind für die CSU eine weitere flexible Form, die medizinische Versorgung - gegebenenfalls mit angestellten Ärzten - sicherzustellen.
„Ein Teil des Gesamtkonzepts“
„Die Union hält an dem Ziel einer flächendeckenden medizinischen Versorgung in Deutschland fest. Angesichts eines zunehmenden Ärztemangels auf dem Land, der Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte und des stark steigenden Anteils der Medizinstudentinnen ist dies eine große Herausforderung. Auch in den anderen Gesundheitsberufen wird der Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs in den nächsten Jahren enorm wachsen. Es bedarf daher grundsätzlich einer Abkehr von der heutigen Systematik der Bedarfsplanung - hin zu einer auf den Patienten bezogenen Versorgungsorientierung. Da die Ursachen von vielschichtiger Natur sind, ist es erforderlich, zeitnah ein Bündel sachgerechter Maßnahmen zu ergreifen, um den für die Qualität der Patientenversorgung zu erwartenden negativen Folgen des Ärztemangels frühzeitig und nachhaltig zu begegnen. Dabei dürfen die Maßnahmen nicht nur auf den bestehenden Versorgungs- und Planungsstrukturen aufsetzen. Diese konnten und können nicht verhindern, dass es in einem insgesamt eher durch Hoch- und Überversorgung geprägten Land überhaupt zu Versorgungsengpässen kommt. Es werden kreative Maßnahmen und Ideen notwendig sein, um die Tätigkeit in der medizinischen Versorgung im und für den ländlichen Raum attraktiv zu halten. Darüber hinaus sind weitere Strukturreformen nötig, um bestehende Versorgungsprobleme zu lösen und unnötige Kosten zu vermeiden. Dazu gehört es ausdrücklich auch, vorhandene Effizienzreserven an der Sektorengrenze ambulanter und stationärer Versorgung zu heben und Fehlsteuerungen zu vermeiden. Erst eine solche Reform der medizinischen Versorgung in Deutschland ergänzt die zurückliegende Finanzierungsreform zu einem Gesamtkonzept.“
Ein Modell wäre, dass der Hausarzt in einem Dorf nur an zwei bis drei Tagen der Woche präsent ist, in der restlichen Zeit wird die Praxis abwechselnd von Fachärzten besetzt. Dadurch könnte die Grundversorgung in größeren Gebieten mit weniger Ärzten gewährleistet werden. Sie kann so auch eine Form der Filialisierung von Praxen darstellen. Die betroffenen Kommunen seien zudem aufgefordert, sich finanziell, organisatorisch und planungsrechtlich an der Einrichtung solcher Arztstationen zu beteiligen.
Gleichstellung Arzt/Krankenhaus
„Gleich lange Spieße“ werden nicht nur zwischen Vertragsärzten und MVZ gefordert, sondern auch als Maßgabe für einheitliche Rahmenbedingungen und Vergütungen an der Sektorengrenze gesehen. Will heißen: Künftig soll es gleiche Voraussetzungen in der ambulanten Versorgung geben, in denen sowohl niedergelassene Ärzte als auch stationäre Einrichtungen aktiv sind.
Dafür braucht es nach Meinung der Gesundheitspolitker einen sektorübergreifenden Ordnungsrahmen, wozu vor allem einheitliche Qualitätskriterien für die Erbringung solcher Leistungen zählen würden. Dazu gehöre eine Regelung, dass künftig auch am Krankenhaus jeder Arzt die für niedergelassene Ärzte geltende Mindestmenge erfüllen muss. Zumindest müsse die nötige Facharztkompetenz sowie ent-sprechend qualifiziertes Personal ausreichend und dauerhaft verfügbar sein.
Ebenso wird die Einführung einer einheitlichen pauschalierten Vergütung für ärztliche Leistungen, die sowohl im niedergelassenen Bereich als auch am Krankenhaus erbracht werden können, angeregt. Dies gelte insbesondere für die Leistungen nach §115b (ambulantes Operieren) und 116b SGB V. Aber auch die vor- und nachoperativen ambulanten Leistungen sollten Bestandteil der Pauschale sein.
Und auch hier kommt nach Willen der Politiker wieder der sektorübergreifende regionale Versorgungsausschuss (S-VA) ins Spiel: Er soll auch für diesen Bereich einheitlich die Zulassungsentscheidung treffen. Alternativ könne aber auch darüber nachgedacht werden, spezialärztliche Bereiche (§§ 115b und 116b SGB V) ausschließlich in die Obhut selektivvertraglicher Vereinbarungen zu stellen. In diesem Fall müsste der S-VA zumindest das von den Krankenkassen für ihre Versicherten sicherzustellende Mindestangebot definieren.
Um die Kooperation von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern zu stärken, soll deren Zusammenarbeit ganz praktisch vereinfacht werden. Dazu werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
• Flexiblere Gestatung der Beschränkung der Mitarbeit von niedergelassenen Ärzten in Krankenhäusern (bisher: 13 Stunden pro Woche)
• Stärkung des Belegarztwesens, mit dem Ziel, im ländlichen Raum stationäre Fachabteilungen und die durch das Belegarztwesen gelebte sektorübergreifende und kostengünstige Versorgung aufrechterhalten zu können. Hierzu muss die Vergütung leistungsgerecht sein. Vor diesem Hintergrund ist auf Seiten der Krankenhäuser der bereits bisher praktizierte Ansatz der gesonderten Kostenkalkulation für DRG-Belegfallpauschalen konsequent weiter zu verfolgen. Und im Rahmen der Gesamtvergütung ist ebenfalls eine sachgerechte Bewertung der Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) notwendig.
• Eine Verbesserung des Entlassmanagements nach einer Krankenhausbehandlung, da sich die mit der Einführung eines verpflichtenden Entlassmanagements (§ 11 Abs. 4 SGB V) verbundenen Erwartungen sich in der Praxis nicht erfüllt hätten. <<
Glücklicherweise sind wir - bezogen auf die Neueinführung von Wirkstoffen - in 2011 nicht betroffen; allerdings kann aktuell noch niemand beurteilen, inwiefern Produkte aus dem sogenannten „Bestandsmarkt“, die noch dem Unterlagenschutz unterliegen müssen, seitens des G-BA zu einer Nutzenbewertung nach dem AMNOG aufgerufen werden.
Welche Anforderungen der frühen Nutzenbewertung - so sie denn aus Gesetz und Rechtsverordnung erkennbar sind - kann Ihr Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt erfüllen?
Voraussichtlich alle.
Und was muss Ihr Unternehmen z.B. bezüglich der Neugestaltung oder auch Änderung von Phase-III-Studien tun, um den Anforderungen gerecht zu werden?
Eine wichtige Fragestellung für globale Konzerne ist grundsätzlich, ob man in den Phase III-Studien bereit ist, von der gegenwärtigen Forschungssituation, eher Placebo-Studienvergleiche oder maximal non-inferiority-Studienvergleiche zu einer Vergleichssubstanz zu initiieren, auf superiority-Vergleiche überzugehen! Schwierig ist es natürlich für global tätige Pharmafirmen, die in Deutschland vom G-BA zu benennende Vergleichssubstanz in einer Indikation nicht schon Jahre vor Produkteinführung zu kennen und auch zu entscheiden, welche Vergleichssubstanz in ein Studienprogramm Einzug halten wird, weil unterschiedliche Länder in der Welt unterschiedliche Ansprüche in puncto Vergleichssubstanz stellen können! Daher wäre es aus Sicht der Pharmaindustrie wünschenswert, dass von den Zulassungsbehörden hier künftig international einheitliche und verbindliche Regelungen getroffen werden.
Stellt Ihr Unternehmen das, was über die frühe Nutzenbewertung in der Rechtsverordnung steht, wirklich vor große Herausforderungen? Oder ist es nicht so, dass Ihr Unternehmen auch heute schon – dort wo das geht – in den entsprechenden Studien die Fortschritte der Innovationen hinsichtlich von Symptomlinderungen, längerer Lebenszeit und der Reduktion wichtiger Nebenwirkungen aufzeigt, anstatt gegen Placebo zu testen?
Wie oben bereits erwähnt, ist die Prüfung gegenüber Placebo immer noch sehr weit verbreitet; die Parameter „Symptomlinderungen“, „Lebensqualität“, „Interaktions- und Nebenwirkungs-Output“ sowie „Lebensverlängerung“ sind in der Regel Bestandteil aktueller Studienprogramme der Pharmaindustrie; ausbaufähig erscheinen die Bereiche „Überlegenheit gegenüber einer definierten Vergleichstherapie“ sowie eine noch spezifischere Graduierung von Patienten-Subgruppen!
Als „Kollateralnutzen“ oder je nach Sichtweise auch „Kollateralschaden“ des AMNOG kann es bezeichnet werden, dass dieses Gesetz der Einstieg in die Preisfestsetzung als ein Verhandlungsergebnis ist, natürlich mit dem Ziel, eine Reduzierung eines ursprünglich geforderten Marktpreises herbeizuführen. Welche Auswirkungen erwarten Sie auf Unternehmensgewinn als auch auf internationale Preisfestsetzungen, da der deutsche Preis immer noch als Referenzpreis gilt?
„So, wie der Zusatznutzen in der Rechtsverordnung beschrieben wird, stehen wir vor echten Herausforderungen“
Grundsätzlich kann man natürlich festhalten, dass es im Vergleich zu dem ursprünglich definierten Markteinführungspreis durch die Verhandlung oder die Festsetzung eines Erstattungspreises eine Abweichung nach unten geben wird; wie hoch diese Abweichung nach unten ausfallen wird, ist vom Beleg des Zusatznutzens des neuen Wirkstoffes im Vergleich zu der definierten Vergleichssubstanz abhängig; damit ist dann auch die Auswirkung auf den Unternehmensgewinn verbunden, zumal davon auszugehen ist, dass gegenbenenfalls aktuell zu entrichtende Abschläge wie gesetzlicher Hersteller-Rabatt oder individuell vereinbarte Krankenkassen- oder Krankenhaus-Rabatte durch die Festlegung eines Erstattungspreises ganz oder teilweise entfallen werden!
Mittelfristig wird sich ein niedriger deutscher Erstattungspreis auch auf die internationalen Preisfestsetzungen auswirken, aber dies ist zum Teil auch schon seit August 2010 der Fall, weil einzelne europäische Länder bereits jetzt den deutschen Netto-Preis (d.h. nach Abzug der aktuellen gesetzlichen Hersteller-Rabatte) zur Anrechnung in ihre jeweilige Preisberechnung bringen.
Welche Impulse erwarten Sie von den Verhandlungen mit dem Spi-Bu nachgeschalteten Gesprächen mit den einzelnen Kassen? Kommen hier auch qualitative Themen zur Sprache oder wird das nur eine Art zweiter Rabattrunde?
Aus meiner persönlichen Perspektive sind diese Gespräche eher Gespräche mit „wirtschaftlichem Hintergrund“, die eher die Höhe des Erstattungspreises zur Folge haben werden; qualitative Aspekte werden eher im Hintergrund stehen!
Erwarten Sie, ähnlich wie es Erik Meinhardt, Direktor Market Access von MSD, in der ersten Ausgabe 2011 von „Market Access & Health Policy“ formuliert hat, dass die Business Units „F&E“, „Market Access“ und „Marketing“ schon kurz- bis mittelfristig zusammenwachsen oder zumindest viel besser verzahnt werden als bisher?
Ich würde dies unbedingt bejahen, würde aber neben den in der Fragestellung aufgeführten Bereichen unbedingt noch den Bereich „Medical Affairs“ ergänzen wollen! Im engen Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Bereiche werden sich über kurz oder lang Synergien entwickeln, die heute leider vielerorts noch brach liegen. Hier ist noch viel Potenzial vorhanden, das es zu nutzen gilt.
Wird damit nicht auch das laut AMNOG vorzulegende Value- bzw. Nutzendossier zur Grundlage jedweden Marketings? Ist das nur Problem oder vielleicht auch eine Chance für eine neue Art der Marketingkommunikation?
Ist einmal ein „Erstattungspreis“ festgesetzt worden und damit die Höhe des Zusatznutzens ableitbar, wird das auf jeden Fall Bestandteil der Produkt-Kommunikation werden. Es ist wie immer im Leben: Je besser der Beleg eines Zusatznutzens darzustellen ist, umso eher wird man darüber auch reden. Von dieser Möglichkeit sollte die Pharmaindustrie dann aber auch tatkräftig Gebrauch machen.
Herr Milz, vielen Dank für das Gespräch. <<
]]>Das größte Risiko für die pharmazeutischen Unternehmen ist der zu erwartende, massive Preisverfall und die Margenreduktion durch die Nutzenbewertung bzw. die neue Preisbildung, wenn einem Produkt kein Zusatznutzen zuerkannt wird.
Große Chancen bieten sich für Hersteller, die ein Produkt mit einem nachgewiesenen Mehrnutzen auf den Markt bringen: In diesem Fall sollte die positive Nutzenbewertung zu einer Bevorzugung dieser Therapieoption bei möglichst vielen Patienten führen. Denn es ist das erklärte Ziel des Gesetzes, die Versorgung der Patienten in Deutschland mit innovativen Arzneimitteln zu verbessern.
Die Preise von Präparaten, die keinen Mehrnutzen belegen können, werden stark reduziert werden, die Einsparungen, die so von den Kassen eingefahren werden, sollten also – im Geiste des Gesetzes – dahingehend in die Versorgung von Patienten fließen, dass Produkte mit belegtem Mehrnutzen angewendet werden.
Geht mit dem AMNOG auch die Möglichkeit einer neuen Form des Marketings einher? Und könnte das für die Pharmaunternehmen durch die Veränderung in der Gesamtstrategie der Unternehmenskommunikation - langfristig betrachtet - auch eine Imageveränderung implizieren und ermöglichen?
Die Nutzenbewertung wird die Grundlage jeder Kommunikation gen Verordner, Kassen und Patienten werden, als eine Art Gütesiegel „G-BA geprüft“. Es gilt dieses Gütesiegel zur Absatzförderung zu nutzen.
Wir wissen aus unseren IMS Launch Excellence Studien, dass sich in Deutschland neue Produkte langsamer im Markt durchsetzen als in Frankreich, Spanien oder Italien. Die Nutzenbewertung muss mit weiteren Maßnahmen einhergehen, wie einer Vereinfachung der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei niedergelassenen Ärzten oder der schnelleren Aufnahme der Produkte mit Mehrnutzen in Therapiehinweise. Nur so kann der Marktzugang für Produkte mit nachgewiesenem Mehrnutzen verbessert werden.
Wenn also die Nutzenbewertung die Versorgung der Bevölkerung mit positiv bewerteten Arzneimitteln wirklich verbessert, können wir von einem gelungenen Gesetz sprechen. Diese Vorgabe im politischen Diskurs einzufordern, ist eine Chance für die pharmazeutischen Hersteller, ihr Image in der Bevölkerung zu verbessern.
Sie sprechen bei IMS von „Collaborative Healthcare“ als einem zentralen Erfolgsfaktor für die Zukunft. Was heißt das konkret? Könnten Sie bitte genauer erläutern, was es für die Pharmaindustrie bedeutet?
Wenn alle weniger haben, rückt man näher zusammen, man integriert stärker, um Kosten zu sparen, so auch im Gesundheitsmarkt.
Höhere Apothekenrabatte und eine niedrigere Großhandelsmarge werden zu einer stärkeren Integration in der Distribution führen. Beispiele sind die Apothekenkooperationen, von denen die meisten durch Großhändler organisiert sind.
Pharmazeutische Unternehmen gehen auf Kassen und Leistungserbringer zu, um sich im Wettbewerb zu positionieren. Beispiele sind hier die etablierten Rabattverträge nach dem alten §130 SGB V im generikafähigen Markt oder direkte Zusammenarbeiten zwischen Herstellern und Krankenhäusern bzw. neuen Versorgungsformen wie Ärztenetzen. Einsparungen für die Kassen aus solchen Kollaborationen kommen der Allgemeinheit zu Gute, aber auch den Herstellern, die sich diese Wettbewerbsinstrumente zu Nutze machen können.
Durch den Kostendruck müssen Reibungsverluste reduziert werden, Reibungsverluste treten auf an Schnittstellen in der Versorgung, bei Vertragsschlüssen und zwischen Gliedern der Distributionskette. Hier gilt es durch Kollaboration mehr Nutzen für Patienten, weniger Kosten für Kassen und mehr Umsatz für Hersteller zu generieren. Eine kreative Aufgabe.
Mit welchen Instrumenten können Sie bei IMS Health die Pharmaindustrie bei dem Prozess und der Neuorientierung durch das AMNOG unterstützen? Welche Lösungen bieten Sie an?
Wir haben diese Gesetzesänderungen in ähnlicher Form seit Jahren vorhergesagt und konsequent unseren Kunden geraten, Teams für Market Access und Contracting aufzubauen. Aber auch wir haben unsere Dienstleistungen vorbereitet auf diese neuen Anforderungen.
IMS Health erhebt Patientendaten und unterstützt Hersteller bei deren gesundheitsökonomischen Analysen. Wir haben bereits AMNOG-Nutzendossiers in komplizierten Therapiegebieten wie der Onkologie verfasst. Unsere Teams für „Health Economics and Outcomes Research HEOR“ liefern darüber hinaus Budget-Impact-Analysen als Grundlage für Verhandlungen mit Krankenkassen. Auch beraten wir Firmen beim Aufsetzen von Patientenregistraturen, aus denen wir auch schon Compliance-Programme erstellen. Diese Analysen können dann zum Design von Mehrwertverträgen genutzt werden.
Wichtig ist auch die genaue Identifikation von Versorgungsstrukturen, mit denen sich eine Kollaboration lohnt. Mit der Studie IMS Contract Monitor können wir den Erfolg von Rabattverträgen bewerten. Durch unsere Organisation in über 100 Ländern bieten wir mit IMS Pricing Insights internationale Preisvergleiche an, die im Prozess der Marktzulassung nach dem AMNOG wichtige Informationen über Wettbewerber liefern. Kurz, IMS Health ist der Partner für Hersteller, um sich auf die neuen Realitäten einzustellen, um diese für sich zu nutzen.
„Durch den Kostendruck müssen Reibungsverluste reduziert werden, Reibungsverluste treten auf an Schnittstellen in der Versorgung, bei Vertragsschlüssen und zwischen Gliedern der Distributionskette.“
Thema Integrierte Verträge: Sehen Sie zum Beispiel in der Neuregelung des §140 b SGB V ebenfalls neue Möglichkeiten für die Pharmaindustrie? Weg vom reinen Präparate-Hersteller, hin zu einem aktiven Vertragspartner? Wie soll bzw. kann die Pharma diese neue Rolle sinnvoll mit Leben füllen, so dass sie zu einem ernstzunehmenden Gesprächs- und Vertragspartner für die verschiedenen neuen Stakeholder im Gesundheitsmarkt entwickelt?
Es gibt heute schon viele Beispiele, in denen Hersteller aktive Rollen in der Versorgungslandschaft aufgreifen, selbst Versorgungsgesellschaften mit Ärzten und Apothekern betreiben oder mit bestehenden Institutionen Kollaborationen eingehen.
Ein Beispiel ist die Firma Janssen-Cilag mit ihrer Tochtergesellschaft „I3G“ zur Versorgung von Schizophrenie-Kranken der AOK Niedersachsen. Ein anderes Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen AstraZeneca, der DAK und der TK zur Nachsorge von Brustkrebspatientinnen. Es gibt jedoch schon Dutzende Zusammenarbeiten zwischen Krankenkassen und Herstellern mit Ärztenetzwerken oder mit Krankenhäusern. Auch konnte vieles schon unter dem alten §130 SGB V geregelt werden.
Ziel dieser Projekte ist es, als spezialisierter Versorger mit integrierten Konzepten, d.h. über Versorgungskanäle hinweg, Schnittstellenverluste zu verringern, um so die Versorgung der Patienten zu verbessern und auch Kosten für die Kassen zu sparen.
Ein Ansatz besteht oft darin, die Patienten-Compliance zu verbessern. Hier bieten sich Indikationen an, die hohe Kosten als Folge einer mangelhaften, medikamentösen Therapie haben. Lange Krankenhausaufenthalte oder komplizierte Operationen gilt es zu vermeiden, indem ein Patient gut eingestellt im ambulanten Bereich versorgt wird. Beispiele sind etwa Indikationen wie Schizophrenie oder Hormontherapien zur Nachsorge bei Brustkrebs.
Nachweislich effektive, medikamentöse Therapien, die aber im Versorgungsalltag nicht immer (oder teilweise sogar nur selten) adäquat angewendet werden, bieten sich für solche Konzepte an; besonders wenn die Kosten, die aus der mangelnden Compliance entstehen, für die Kassen sofort auftreten, wie etwa Krankenhauskosten.
Die „neue Rolle“ der Pharmaindustrie impliziert aber auch ein Umdenken bei der Pharmaindustrie selbst. Das heißt: Weg vom reinen Produktehersteller, hin zu einem Lösungsanbieter für die unterschiedlichsten Fragen im Healthcaremarkt. Wie kann dieser Wandel Ihrer Einschätzung nach vollzogen werden? Welche Aspekte müssen dabei beachtet werden?
Richtig. Zusätzlich zu aktuellen Veränderungen der Gesetzeslage gibt es weitere langfristige Trends, die zu einem Umdenken im Gesundheitsmarkt anhalten. Hier ist die Alterung der Gesellschaft zu nennen, aber auch die drohende Knappheit an Ärzten und Apothekern, gerade in ländlichen Regionen. Vor diesem Hintergrund bieten sich Chancen für neue Versorgungskonzepte in Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Heilberufen.
Können Sie Beispiele anführen?
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Ausweitung der Geschäftstätigkeit entlang der Versorgungskette ist der Fresenius-Konzern: Fresenius bietet Medizintechnik an, ist aber auch Leistungserbringer und pharmazeutischer Hersteller, bündelt so erfolgreich sich ergänzende Leistungen. Neuere Konzepte sind die genannten integrierten Versorgungsformen, wie die von Janssen-Cilag. Hier liegen mir allerdings noch keine Evaluationen vor.
Also auf in eine neue schöne Vertragswelt, die es sicher noch genauer zu definieren gilt.
Für solche integrierten Versorgungskonzepte gilt es, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären, um die Komplementarität der Angebote der Hersteller und der Leistungserbringer gewinnbringend zusammenzufügen. Für die Zusammenarbeit von Institutionen - die nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch ethischen Ansprüchen gerecht werden müssen - spielen dann nicht nur die Ressourcen und Ziele der Partner eine Rolle, sondern auch deren Glaubwürdigkeit.
Ich denke, dass wir jedoch in den nächsten Jahren mehr Kollaborationen zwischen Kassen, Herstellern und Leistungserbringern sehen werden. Es ist nicht nur der Wille des Gesetzgebers, auch der demographische Wandel und der innovative Fortschritt führen zur weiteren Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Versorgung bei gleichzeitig steigendem Kostendruck. Dies befördert die neuen Versorgungskonzepte.
Herr Dr. Wartenberg, vielen Dank für das Gespräch. <<
]]>Vier grundsätzliche Fragen zu klären
Vor der Erstellung des Dossiers müssten zunächst vier grundsätzliche Fragen geklärt werden. Frage Nummer eins lautet: „Welcher Hersteller wird als erstes aufgefordert?“ Daran anknüpfend folgt die Frage, ob ein Beratungsgespräch mit dem G-BA geplant sei. Drittens welches Bewertungsergebnis beziehungsweise welcher Zusatznutzen erwartet werde. Und zuletzt: „Ist eine Stellungnahme zur eigenen Bewertung geplant? Und wie werden die Wettbewerber Stellung beziehen?“ Diese Fragen sollten vor der Erstellung geklärt werden, „um einen roten Faden in die Argumentationskette zu bekommen“.
Vor der endgültigen Einreichung sollte das Dossier unbedingt nochmals auf die Qualität bestimmter Aspekte hin überprüft werden, wie zum Beispiel die Vollständigkeit der Studien, Abgleich mit rechtlichen Vorgaben, inhaltliche Konsistenzkontrolle, Prüfung der Orthografie und last but not least: „Spiegeln sich die Corporate-Identity-Vorgaben des Unternehmens auch im Dossier wider?“
Ein entscheidendes Problem bei der Erstellung der Dossiers liegt nach Einschätzung von Thomas Ecker im vorgegebenen zeitlichen Rahmen: „Ohne Qualitätsverlust ist die Erstellung des Dossiers kaum schneller als in 20 Wochen zu bewerkstelligen.“ Die 12-Wochen-Frist halte er für eher unrealistisch. Die Erstellung eines Dossiers gliedere sich in vier Phasen: Scoping Workshop, Erstellung des Argumentationsgerüstes, First Draft und dann schließlich die Finalisierung und Kontrolle. „Im Scoping Workshop werden zentrale Fragen im Projektteam abgestimmt“, so Ecker. Fragen wie „Was sind die relevanten Eckpunkte?“, „Wie viele Patienten sind zu erwarten?“ und „Was ist die zweckmäßige Vergleichstherapie?“ müssten in dieser Phase geklärt werden. „Das Argumentationsgerüst fasst im Anschluss die wesentlichen Fakten für den Nachweis des angestrebten Zusatznutzens konsistent zusammen.“ In der dritten Phase werde die Evidenz für den Nutzennachweis als Textdokument aufbereitet und schließlich erfolge dann die Qualitätskontrolle. Ecker mahnte die Zuhörer, insbesondere auch auf die Vollständigkeit der Daten im Dossier zu achten. „Denn alles was fehlt, kann im Zweifel gegen Sie verwendet werden.“
18 Kostendämpfungsgesetze in 20 Jahren
In seinem Vortrag „Innovative Direktverträge - Positionen der Pharmaunternehmen“ warf Dr. Bernd Wegener, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie (BPI), einen Blick zurück auf die unternehmerischen Herausforderungen der letzten zwei Jahrzehnte aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmen. „Wenn wir bis ins Jahr 1990 zurückgehen, so hatten wir in der Zeit insgesamt 18 Kostendämpfungsgesetze.“ Weitere Regulierungen kamen durch Festbeträge, Erstattungsausschlüsse bei der Selbstmedikation, Einführung der Rabattverträge oder Steuerung des Verschreibungsverhaltens durch Budgetierung.
Bei den Selektivverträgen stellten die Rabattverträge einen „dominaten Vertragstyp“ dar. Den Zahlen nach sind die Rabattverträge ein Erfolgsmodell“, sagte Wegener. „Mit Stand April 2010 gab es 12.211 Rabattverträge, an denen 116 Krankenkassen und 141 pharmazeutische Unternehmer beteiligt waren.“ Das Gros der Rabatte betraf dabei Generika, die mit einem Festbetrag belegt waren. Die Einschätzung, dass mit dem AMNOG selektivvertragliche Möglichkeiten nach den §§ 130 b, 130 c sowie 140 b gestärkt würden, kann Wegener nicht teilen. Im Gegenteil: „Meiner Ansicht nach haben wir eher verminderte Verhandlungsspielräume.“ Die Anhebung der gesetzlichen Herstellerabschläge von 6 auf 16 Prozent für verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Festbetrag sowie das Preismoratorium, das bis zum 31.12.2013 gilt, nannte der BPI-Vorsitzende als Gründe. Darüber hinaus erwarte er eine zusätzliche Einschränkung durch die vorgeschalteten zentralen Verhandlungen über den Erstattungsbetrag nach § 130 b SGB V. Zwar sei die Weiterentwicklung noch schwer vorhersehbar. „Aber der Impuls für selektive Vertragsoptionen ist eher fraglich“, so Wegeners Resümee. <<
Autorin: Jutta Mutschler
Autor
Hanspeter Quodt ist Vorsitzender der Geschäftsführung von MSD Deutschland.
Kontakt: hanspeter.quodt@msd.de
Web: www.msd.de
Allein schon die aktive Zusammenarbeit in den Schiedsstellen sowie in den Vorgesprächen bei IQWiG und G-BA birgt Hoffnung.
Das sehe ich genau so. Wir stehen in regem Austausch mit dem G-BA und hatten auch schon mehrfach Gelegenheit, mit dessen Repräsentanten zu sprechen. In diesen Gesprächen ist durchaus eine Bereitschaft für einen konstruktiven Umgang mit der Pharmaindustrie wahrzunehmen.
Was kann die Pharma tun?
Jedes Unternehmen muss sich selbst darauf ausrichten, wie es kurz- und längerfristig mit den Auswirkungen des AMNOG umgeht. Doch schon jetzt ist klar, dass es weitreichende und durchaus signifikante Änderungen sein werden. Das betrifft zum einen den Umgang mit der Nutzenbewertung als solcher. Das betrifft aber auch die Struktur des Unternehmens und natürlich die Rolle, die sie als Unternehmen insgesamt einnehmen können und wollen.
Die Frage wird sein, ob die Pharmaindustrie es schafft, die Chance wahrzunehmen und Market Access als neue Geisteshaltung zu implementieren. Dies bedingt, dass man eben künftig nicht mehr alles macht, was kurzfristig Umsatz bringt, aber mittelfristig auf Kosten des Images des jeweiligen Unternehmens und manchmal leider auch auf das der ganzen Branche geht.
Diese Haltung findet man schon heute in vielen Unternehmen, aber sie wird sich nach Art eines Schneeballeffektes durch die ganze Branche ziehen. Doch nicht so sehr das Image eines Unternehmens oder der Branche wird künftig die größere Rolle spielen, sondern die Art und Weise, wie mit dem Valuedossier umgegangen wird.
Market Access wird also über das Arzneimitteldossier Auswirkungen auf das klassische Marketing haben.
Als auch auf die Verzahnung im ganzen Unternehmen. Es wird ja nicht so sein, dass irgendwo Leute im Market Access sitzen, die dann das Geschäft für alle Business Units bestimmen wollen.
Das werden sie auch nie können.
Eben. Die Chance liegt in einer neuen Verzahnung in alle Bereiche des Unternehmens hinein - von Forschung & Entwicklung über die Medizin bis Marketing und Vertrieb. Allen wird klar werden, dass mit dem ANMOG das Valuedossier zur Grundlage jedweden Marketings wird. Wir werden keine Produktkommunikation mehr betreiben können, die nicht exakt auf die Evidenz fußt, die in dem Dossier beschrieben wird. Doch auch das ist eine große Chance für ein Mehr an Nachhaltigkeit und einen fairen Umgang mit unseren Partnern auf Leistungserstattungs- wie Leistungserbringerseite.
Wie weit ist MSD?
Als weltweit führendes Unternehmen haben wir den Anspruch, nicht einfach nur ein Pharmahersteller klassischer Provenienz zu sein, sondern wollen eine viel aktivere Rolle im Gesundheitswesen wahrnehmen.
Wozu der Paragraph 140 SGB V ja auch die Möglichkeit schafft.
Dem Thema der integrierten Verträge werden wir uns ab dem nächsten Jahr sehr intensiv widmen. Es ist vielleicht ganz gut, dass wir uns damit - auch bedingt durch die eben abgeschlossene Fusion - eher zurückgehalten haben, denn solche Konzepte besitzen schon größere Dimensionen.
Was erwarten Sie von Ihrem Verband?
Die Pharmaindustrie muss die breite Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit - Fachöffentlichkeit wie breite Öffentlichkeit - erreichen, was aber auch möglich ist. Denn das AMNOG hat Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitswesen in Deutschland. Das muss jeden interessieren - ob Patient oder nicht. Wir erwarten daher, dass der vfa sehr aktiv, konstruktiv und lösungsorientiert mit dem Thema umgeht.
Herr Meinhardt, vielen Dank für das Gespräch. <<
Keine „Eminenzposition“ mehr
Dabei kommt es allerdings immer darauf an, wie man das macht. Und gerade hier kam seitens der Pharmaindustrie als auch der deutschen Gesundheitsökonomen harsche Kritik. Doch hier kann Windeler beruhigen, wenn er sagt, dass das IQWiG zwar nach wie vor auf den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin bestehe, aber deswegen noch lange keine „Eminenzposition“ einnehme. Vielmehr würden Arzneimittel in einer frühen Phase des Markteintritts nach Gesetz und Verordnung nach international anerkannten Maßstäben und Standards bewertet. Nicht zugelassen werde daher eine „deutsche Lehrmeinung“, die außer eines guten Willens für bestimmte Situationen leider keine Studien vorzuweisen habe. Um klar zu machen, was jenen dräuen könnte, die nach entsprechenden Auflagen seitens des G-BA nach einem festgelegten Zeitraum keine ausreichende Studienlage vorweisen können, verweist er auf den dann möglichen Ausschluss aus der Verordnung.
Das AMNOG ist der Einstieg in die systematische Nutzenbewertung von neu in den Markt kommenden Arzneimitteln und solchen mit Zulassungsänderungen. Damit kann (siehe Gespräch mit Erik Meinhardt, dem Direktor Market Access von MSD) die Industrie durchaus leben. Weniger wohl mit dem, was das Gesetz als „Kollateralnutzen“ auslöst: „Das Ziel dieses Einstiegs ist die Preisfestsetzung als ein Verhandlungsergebnis zur Reduzierung eines ursprünglich geforderten Marktpreises.“ Wichtig sei vor allem, dass mit der Veröffentlichung der Ergebnisse und der Berichte des IQWiG inklusive aller relevanter Unterlagen sowie der Veröffentlichung der Beschlüsse des G-BA völlig unabhängig von einer nachfolgenden Preisverhandlung eine ganz neue Informationsmöglichkeit für Ärzte und Patienten geschaffen werde, die es in dieser Form und in dieser Systematik für neue Arzneimittel so frühzeitig nicht einmal im Ansatz gegeben habe. Windeler: „Ich gehöre zu denen, die der Auffassung sind, dass dieses völlig unabhängig von der ganz am Ende stattfindenden Preisfestsetzung zwischendurch schon Einflüsse auf die Verordnung haben wird.“ Und ebenso auf die internationalen Referenzpreise. Denn weil die verhandelten Preise nicht nur für das GKV- sondern auch für das PKV-System gelten sollen, wird jeder Verhandlungspreis gleichzeitig Referenzpreis. <<
Ab in den Festbetrag?
Dem wird wohl nicht so sein, denn aufgrund der so vorgelegten Erkenntnisse wird es wohl kein Arzneimittel schaffen, in die höchsten Kategorien der Quantifizierung des Zusatznutzens nach § 5 Abs. 7 der kürzlich veröffentlichten Rechtsverordnung aufzusteigen, die den Beweis eines „erheblichen“ oder „bedeutsamen“ Zusatznutzens verlangen. Die meisten werden wohl eher in die Kategorie „geringer“ oder gar „nicht quantifizierbarer“ Zusatznutzen fallen, alleine deswegen, weil die – wie es schon in der Rechtsverordnung steht - „wissenschaftliche Datengrundlage es nicht zulässt“. Was mit den anderen passiert, ist klar: Ab in den Festbetrag, weil kein Zusatznutzen belegbar oder sogar ein geringerer Nutzen als der der zweckmäßigen Vergleichstherapie festzustellen ist. So klar wird das allerdings nicht sein, denn schon jetzt ist abzusehen, das die pharmazeutische Industrie jede dieser Entscheidungen mit einer Gerichts-
lawine überziehen wird. Alleine schon deshalb, weil diese Kategorisierung zu einem solch frühen Bewertungszeitpunkt auf mehr als wackeliger Basis steht, weil eine fNB eben nie eine abschließende Nutzenbewertung, sondern immer nur eine Nutzenprognose sein kann.
Yzer spricht sich darum dafür aus, dass dem frühen Bewertungszeitraum methodisch auch dadurch Rechnung getragen wird, dass es möglich sein müsse, mit Surrogatparametern und Modellierungen zu arbeiten. „Womit denn sonst?“, fragt sie und antwortet gleich selbst, indem sie sagt: „Wir haben zu diesem Zeitpunkt keine Daten aus dem Versorgungsalltag.“ Weil dem so sei und eben die zum Zulassungszeitpunkt vorliegende beste verfügbare Evidenz anzuwenden sei, fordert sie „eine Bindungswirkung“ der Zulassung; also im Grunde nichts anders, als dass der G-BA schon der Zulassung vertrauen und keine neuen Daten anfordern dürfe.
Ob das ausreichen wird, darf bezweifelt werden. Denn schon nach dem Gesetzeswortlaut des AMNOG (§ 35a Absatz 1) muss das Nutzen-Dossier neben einigen Punkten (s. Kasten) auch Auskunft darüber geben, wie der „medizinische Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie“ aussieht.
Doch die wird bisher in Phase-III-Studien bislang wohl eher selten abgetestet. <<
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG
§ 35a Absatz 1
„Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen“ wird wie folgt gefasst:
Der Gemeinsame Bundesausschuss bewertet den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Hierzu gehört insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der Vergleichstherapie, des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen Bedeutung. Die Nutzenbewertung erfolgt auf Grund von Nachweisen des pharmazeutischen Unternehmers, die er einschließlich aller von ihm durchgeführten oder in Auftrag gegebenen klinischen Prüfungen spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens als auch der Zulassung neuer Anwendungsgebiete des Arzneimittels an den Gemeinsamen Bundesausschuss zu übermitteln hat, und die insbesondere folgende Angaben enthalten müssen:
1. zugelassene Anwendungsgebiete,
2. medizinischer Nutzen,
3. medizinischer Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie,
4. Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht,
5. Kosten der Therapie für die gesetzliche Krankenversicherung,
6. Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung.
Der Kern der Verfahrensordnung liegt vor
Die Beamten waren emsig, weit emsiger als viele hofften oder auch befürchteten. Seit wenigen Tagen liegt bereits die entsprechende Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V – kurz: Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung oder noch kürzer AM-NutzenV – vor. Auf diese Rechtsverordnung, die wie das AMNOG erst zum 1. Januar 2011 in Kraft treten wird, muss der G-BA seine ergänzenden Bestimmungen aufsetzen, die er – wie der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Dr. Rainer Hess, bei der Thieme-Veranstaltung „Market Access & Health Economics““ verkündete – bereits in seiner Schublade liegen hat und nur noch entsprechend anpassen muss.
Dafür räumt ihm die AM-NutzenV den Zeitraum eines Monats nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung ein – also bis Ende Januar. Diese Zeit werden die pharmazeutischen Unternehmen und deren Verbände nutzen, um mit Hess und seinem Team in Kontakt zu treten, wozu der G-BA laut seinen Aussagen auf dem Thieme-Kongress übrigens gern bereit ist.
Doch auch die Mitarbeiter des Gemeinsamen Bundesausschusses waren schon fleißig und sind schon seit Monaten dabei, die Leitplanken des AMNOG in eine detailliertere Verfahrensordnung zu bringen; ein Vorhaben, das nicht ganz einfach war und ist, weil die entsprechende Rechtsverordnung des BMG erst seit kurzem vorliegt und bis zur öffentlichen Anhörung, die am 25. November stattfand, auch noch einige Änderungen durchmachte.
Darum ist das, was Hess kürzlich anlässlich des Rechtssymposiums seiner Institution an Einblicken in die neue Verfahrensordnung des G-BA bekanntgab, zwar nur als aktueller Diskussionsstand zu verstehen; indes einer, der schon ziemlich detailliert aufzeigt, wohin die Reise ab Januar geht.
Und zwar vor allem in eine Zeit, in der der Nutzenbegriff als solcher wesentlich härter definiert wird als bisher. Bislang steht in der gültigen Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (in der Fassung vom 18. Dezember 2008, veröffentlicht in der Bundesanzeiger-Beilage 2009, S. 2.050, in Kraft getreten am 1. April 2009 und geändert am 17. Dezember 2009, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2010, S. 968, in Kraft getreten am 12.02.2010) im Kaptitel 4 § 6 zur „Bewertung des Nutzens und der medizinischen Notwendigkeit“ folgendes:
(1) Der Nutzen und die medizinische Notwendigkeit gilt für zur Prüfung stehende Leistungen oder Behandlungen als hinreichend belegt, wenn
a) eine Bewertung nach §§ 135, 138 oder 137c SGB V das Ergebnis erbracht hat, dass der Nutzen und die medizinische Notwendigkeit einer der Leistung zugrunde liegenden Methode hinreichend belegt ist, oder wenn
b) die Leistung oder die Behandlung Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung ist. Der Unterausschuss soll im Zweifelsfall die Stellungnahme eines anderen Unterausschusses oder des Bewertungsausschusses nach § 87 SGB V einholen.
(2) Wenn eine Bewertung des Nutzens und der medizinischen Notwendigkeit nicht vorliegt oder begründete Zweifel bestehen, dass diese noch dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, kann das Plenum eine sektorenübergreifende Bewertung nach dem 2. Kapitel auslösen.
Im neuen Kapitel 4 § 6 soll jedoch – zumindest nach jetzigem Diskussionsstand – stehen:
(1) Die Bewertung des therapeutischen Nutzens eines Arzneimittels erfolgt auf der Grundlage von Unterlagen entweder zum Ausmaß des therapeutischen Nutzens des Arzneimittels bei einer bestimmten Indikation oder durch Vergleich mit anderen Arzneimitteln oder Behandlungsformen unter Berücksichtigung des therapeutischen Zusatznutzens für die Patientinnen oder Patienten.
(2) Maßgeblich für die Beurteilung des therapeutischen Nutzens ist das Ausmaß der Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte, insbesondere Morbidität, Mortalität und Lebensqualität.
Der Nutzen wird viel genauer definiert
Damit wird nichts anderes versucht, als den bisher eher schwammigen Nutzenbegriff genauer zu fassen, wie es bereits auch in der BMG-Rechtverordnung angegangen wurde. Dort steht unter § 2 Begriffsbestimmungen im dritten Absatz, dass „der Nutzen eines Arzneimittels im Sinne dieser Verordnung der patientenrelevante therapeutische Effekt“ ist – insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität. Dort steht aber auch, was als Zusatznutzen eines Arzneimittels im Sinne dieser Verordnung zu verstehen ist: „ein quantitativ oder qualitativ höherer Nutzen für Patienten gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie“.
Wie der künftige Nutzen- und natürlich demzufolge auch der Zusatznutzen-Begriff im SGB V künftig aussehen könnte, verdeutlichte Dr. Dominik Roters, Leiter der G-BA-Rechtsabteilung. Bislang nennt der § 27 des ersten Sozialgesetzbuchs im ersten Absatz in Zusammenhang mit der Behandlung von Krankheiten lediglich Verben wie „erkennen“, „heilen“, „verhüten“ und „lindern“. Diese Verben können als Basis der Nutzenbewertung nicht dienen, denn die verlangt einen analytischeren Ansatz, der die Dimensionen Wirkung, Hauptziel(e), Wahrscheinlichkeit und Zuverlässigkeit der Aussagen, aber auch Compliance, unerwünschte Nebenwirkungen und mögliche Therapie-Schäden umfassen muss. Doch stößt man schon hier an die Grenzen einer künftig von der Politik gewollten Nutzenanalyse. Denn mit so richtig validen Studien kann die Pharmaindustrie zum Zeitpunkt der Marktzulassung selten bis nie aufwarten, zudem untersuchen die meisten Studien Surrogatparameter, was der Pharmaindustrie aber nicht vorzuwerfen ist: Denn meist kann sie andere gar nicht untersuchen, weil es ihr entweder ethisch oder einfach aus Zeitgünden gar nicht möglich ist. Was ihr indes vorzuhalten ist, dass sie – so nicht nur Roters Kritik – falsche oder keine Therapien zum Vergleich untersucht – demnach im Prinzip gegen Placebo testet. Sein Zwischenfazit lautet deshalb, dass – wenn Nutzen als Gesamtbegriff verstanden wird – „Nutzenbewertung einer Abschichtung der Unsicherheiten und eines rationalen Umgangs mit Erkenntnislücken“ bedarf.
Dieser rationale Umgang tut dringend Not. Erforderlich ist vor allem die „Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen“, was Roter als heuristisches Verfahren bezeichnet. Aber auch das Wissen darüber, dass es immer eine Gratwanderung sein wird, weil der Nutzen immer zwischen einer objektiv auf das Therapieziel hinreichenden Wirksamkeit unterscheiden muss – zu denen auch rein patientenrelevante therapeutische Effekte zählen – und einer absoluten Wirksamkeit, die mit der Zielerreichung des angestrebten Behandlungserfolgs einher geht.
Wobei letzteres eben der gewünschte Zusatznutzen ist, bei dem immer die ethisch bedenkliche Zusatzfrage gestellt wird, ob der dadurch erreichte Effekt nun notwendig ist oder nicht. So ist im Zusammenhang mit dem Begriff der Notwendigkeit im § 6 Abs. 7 Nr. 3 des Entwurfs zur AM-NutzenV zu lesen: „Für Arzneimittel nach Absatz 3 sind das Ausmaß des Zusatznutzens und die therapeutische Bedeutung des Zusatznutzens unter Berücksichtigung des Schweregrades der Erkrankung gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie“ zu quantifizieren. Und zwar danach, ob (3):
» „ein geringer Zusatznutzen vorliegt, wenn eine gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie bisher nicht erreichte moderate und nicht nur geringfügige Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Verringerung von nicht schwerwiegenden Symptomen der Erkrankung.“
Dies ist für Roter nichts anderes als die Einführung einer „Erheblichkeitsschwelle“, die natürlich in erster Linie dem hinter allem stehenden Wirtschaftlichkeitsgebot oder auch der ökonomischen Fokussierung der Politik geschuldet ist. Deshalb sollte seine Warnung durchaus ernst genommen werden, wenn schon er als Jurist des G-BA sagt: „Zeit und Aufwand der Bewertung können der Versorgung höheren Schaden zufügen, als verbleibende Entscheidungsrisiken.“ <<
„Wer gleich mit moderatem bis niedrigem Ansatz in die entsprechenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband einsteigt, wird kaum für sein rationales Verhalten belohnt werden.“
Absolut richtig. Doch damit einhergehen muss auch eine Aufwertung der Market-Access-Bereiche. Denn bislang hatten die Market-Access-Verantwortlichen auf die klinische Forschung nur geringen Einfluss. Beide Bereiche verfolgten eine divergente Logik. Die klinische Forschung sah das Gralsziel in der schnellen Erlangung der Zulassung. Der Market Access hingegen verfolgte die Sicherung einer angemessenen Erstattung in den relevanten Teilmärkten. Wenn es hier nicht zu einer Harmonisierung der Zielsetzungen kommt, sieht die Zukunft nicht wirklich rosig aus.
Gerade aus diesem Grund werden Pharmaunternehmen ihre Market-Access-Bereiche sicherlich auch noch weiter ausbauen und inhaltlich schärfen müssen.
Dies wird in zwei Richtungen geschehen: Intern werden die Anforderungen an die klinische Forschung steigen, extern werden Kompetenzen aufgebaut, um den Vertragsbereich zu professionalisieren und mittelfristig nachhaltige Versorgungsstudien durchzuführen. Beides wird ein Schlüssel zum Erfolg am Markt sein.
Ein wichtiges Kapitel wird sein, wie die Marktpreise im 1. Jahr formuliert werden. Was raten Sie?
„Runter kommen sie immer“, heißt ein bekannter Spruch in der Fliegerei. So wird es auch mit den Preisen sein. Wer gleich mit moderatem bis niedrigem Ansatz in die entsprechenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband einsteigt, wird kaum für sein rationales Verhalten belohnt werden, da auch der Kassenverband bereits ein Preispremium erwartet. Allerdings ist derzeit eher die Bewertung der Preise ohne Zusatznutzen geregelt, wohingegen bislang für die Arzneimittel, die einen echten Zusatznutzen aufweisen, konkrete Kriterien zur Preisfindung fehlen.
Das einzige Argument im AMNOG besteht ja in der Orientierung an den europäischen Vergleichspreisen.
Die existieren doch bei einer frühen Markteinführung in Deutschland im Allgemeinen noch gar nicht. Mehrere Aspekte sind aber bereits jetzt absehbar: Einen Erstattungshöchstpreis basierend auf einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach der Methodik des IQWiG wird es nicht mehr geben. Eher ist wahrscheinlich, dass die Bewertungssystematik und die Preise aus Großbritannien, die häufig auf QALYs basieren, nach Deutschland importiert werden. Zudem werden die Unternehmen in Zukunft streng darauf achten, Reimporte zu vermeiden, um das deutsche Preisniveau nicht in eine Abwärtsspirale zu treiben. Der europäische Durchschnittspreis wird daher die Preisstrategie bestimmen.
Darüber hinaus werden die internationalen Konzernzentralen den deutschen Unternehmenslenkern kaum einen niedrigen Einstieg erlauben, denn der Impact auf das internationale Geschäft wäre dramatisch. Also, hier wird gelten, möglichst hoch einsteigen und kämpfen mit Klauen und Zähnen, dann runter …
Was müssen denn die Unternehmen bei dem Zusatznutzen-Dossier beachten?
Alles! Ungeachtet der Konkretisierung der Arzneimittel-Nutzen-Bewertungsverordnung (AM-NutzenV) wird sich das wirkliche Vorgehen erst nach einer Zeit und entsprechenden konkreten Beispielen klären. Hier gilt Vorsicht an der Bahnsteigkante. Insbesondere sollten die Unternehmen den Dialog mit G-BA und SpiBu suchen, damit sie mit dem Ohr am Puls der Entwicklung sind. Die gesamte Argumentation muss auf die glaubwürdige und belegbare Darstellung des Zusatznutzens abgestellt werden. Hierzu muss alles mobilisiert werden, was geeignet ist, einen Erfolg herbeizuführen.
Darüber hinaus sollten die Unternehmen aber auch die anderen grundsätzlichen Anforderungen des Gesetzes nicht aus den Augen verlieren. Anwendungsgebiete, Patientengruppen, Budget Impact und qualitätsgesicherte Anwendung bieten eine Vielzahl von Verhandlungsoptionen, die unbedingt im Dossier abgebildet werden müssen. Eine falsche Schätzung der Prävalenz beispielsweise könnte selbst bei einem guten Preis dazu führen, dass über die reine Zahl der Patienten Einschränkungen vereinbart werden, die einen nachhaltigen Markterfolg verhindern.
Parallel sollten die Unternehmen unbedingt an der Profilierung ihrer Vertragsstrategie arbeiten, denn wenn trotz eines vermeintlich guten Zusatznutzen-Dossiers ein wenig erbaulicher Erstattungshöchstbetrag verabschiedet wird, dann hängt alles zunächst von der smarten Vertragsstrategie ab, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu dem dann vielleicht bessere Daten vorliegen.
Wie funktioniert die neue Schiedsstelle? Oder was ist schon heute absehbar, wie sie funktionieren wird?
Schiedsstellen sind nie etwas wirklich Erbauliches. Das konnte man in den letzten zwei Jahren bei den zahlreichen Schiedsamtsverfahren für die Hausarztverträge nach § 73b SGB V oder auch bei der Vereinbarung des Abschlags zwischen Kassen und Apotheken deutlich beobachten. Zunächst einmal wird Vieles von der Besetzung der neuen Schiedsstelle abhängen. Dies gilt natürlich insbesondere für die unparteiischen Mitglieder. Hier wird es schon sehr spannend werden, ob es eine einvernehmliche Bestellung geben wird, oder ob das Los entscheiden muss.
In der Verhandlung vor dem Schiedsamt selbst wird es natürlich auf Argumente der jeweiligen Parteien ankommen.
Hier gilt es ähnlich wie beim Dossier, tragfähige Belege für den Nutzen und den Preis zu liefern, die sich möglichst an dem Kriterium des europäischen Vergleichspreises orientieren sollten. Das wird das einzige Argument sein, welches nicht durch einen Kompromiss des Schiedsamtes gefährdet ist. Anderenfalls kann man damit rechnen, dass auch ein Schiedsamt auf Ausgleich bemüht ist, vor allem, wenn die Unparteiischen Mitglieder im Konsens bestimmt worden sind.
Sind zukünftig Orphan Drugs das Licht am Ende des Tunnels?
Wenn man sich die Fokussierung der F&E-Aktivitäten der Pharmakonzerne in den letzten Jahren anschaut, könnte man meinen, es wäre so. Auch die Übernahmegelüste von Big Pharma zielen vorrangig auf OD-Companies - siehe Genzyme und andere Targets. Aber so einfach wird das nicht sein und schon gar nicht, wenn diese Strategie zur Einheitsstrategie der Arzneimittelanbieter wird. Der Trend zur individualisierten Therapie im Rahmen der Gentherapie, an der die Unternehmen forschen, bedeutet ja zwangsläufig kleinere Patientengruppen. Und auch die internationalen gesundheitspolitischen Anreize zur Förderung der Forschung in den Orphan Diseases unterstützt diese These. Es ist ohne Zweifel so, dass ein echter Medical Need weitaus leichter zu belegen ist, wenn noch keine therapeutischen Alternativen exisitieren. Auf der anderen Seite ist das jeweilige Marktvolumen aber gering und Hochpreistherapien geraten zunehmend unter Druck.
Andererseits forschen noch viele Pharmaunternehmen weiterhin sehr erfolgreich an den großen Volkskrankheiten.
Klar, weil die im Erfolgsfall immer noch das meiste Potenzial und den höchsten Bedarf aufweisen. Die durch erfolgreiches Lobbying in das AMNOG eingebrachte Schwelle von 50 Millionen Euro Jahresumsatz für Orphan Drugs, bevor die üblichen Folterinstrumente greifen, können leicht korrigiert oder ergänzt werden.
Den Regulierungs-Verantwortlichen ist ja auch nicht verborgen geblieben, was sich auf dem Orphan-Drug-Sektor tut.
Der Verzicht auf die Nutzenbewertung bedeutet ja nicht gleichzeitig den Verzicht auf Preisverhandlungen mit dem SpiBu, so dass sich auch die Hersteller von Orphan Drugs gut auf diese Situation vorbereiten müssen. Und das beste Argument für einen hohen Preis ist immer noch der Zusatznutzen. Orphan-Drug-Hersteller befinden sich aber im Unterschied zu den anderen Anbietern sicherlich in der komfortablen Situation, dass die Förderung von Orphan Drugs politisch erschwünscht ist. Bei anderen Innovationen kann man sich ja manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass hier nur die Kosten gesehen werden und aus diesem Grund von vornherein jeder Nutzen bestritten wird. Dennoch benötigen auch die Orphan-Drug-Unternehmen eine separate und smarte Verhandlungs-Strategie, um ihren Markterfolg nicht schon bei den Preisverhandlungen aufgeben zu müssen. <<