§ 116b SGB V
Die neue gesetzliche Regelung zum §116b SGB V umfasst insbesondere folgende Leistungen:
• Hochspezialisierte Leistungen (z.B. CT/MRT-gestützte schmerztherapeutische Leistungen),
• Schwere Verlaufsformen von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen (z.B. onkologische Erkrankungen)
• Seltene Erkrankungen und Erkrankungszustände mit entsprechend geringen Fallzahlen (z.B. Mukoviszidose)
Mit der Anwendung des sogenannten Verbotsvorbehaltsprinzips, welches den raschen Zugang und damit auch die Erstattung neuer und innovativer Diagnostik- und Therapieverfahren ermöglicht, wird der bisher nur dem stationären Bereich vorbehaltene Grundsatz auf den neuen Versorgungssektor angewandt. Folglich können innovative Verfahren in der spezialfachärztlichen Versorgung grundsätzlich eingesetzt werden, sofern der G-BA diese Leistungen nicht ausdrücklich aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse ausgeschlossen hat.
Die Vergütung der ASV erfolgt auf Basis eines eigenen leistungs- und diagnosebezogenen Vergütungssystems (ambulantes Fallpauschalensystem), das durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sowie den GKV-Spitzenverband (GKV-SV) zu entwickeln ist. In der Übergangsphase sind die Leistungen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach dem EBM als Einzelleistungen ohne Mengenbegrenzung abzurechnen, wobei Krankenhäuser aus Gründen der Investitionsförderung im Rahmen der dualen Finanzierung einen fünfprozentigen Abschlag auf die EBM-Vergütung hinnehmen müssen. Die Abrechnung der Leistungen erfolgt direkt mit den Krankenkassen, die auch zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität verantwortlich sind. Eine Bedarfsplanung und Mengensteuerung innerhalb dieses neuen Versorgungssektors sind explizit nicht vorgesehen.
Vor- und Nachteile aus der Perspektive der Leistungserbringer
Ausgehend von einer Stärken-Schwächen-Analyse können für die beiden unterschiedlichen Leistungsbereiche jeweils spezifische Merkmale ermittelt werden, die zu Vor- aber auch Nachteilen der in diesem neuen Versorgungssektor spezialfachärztlich tätigen Leistungserbringer führen können (siehe Abb. 2). So bestehen beispielsweise für die Vertragsärzte Probleme darin, im Gegensatz zu den Krankenhäusern eine „rund um die Uhr Versorgung“ anbieten zu können. Ein Vorteil hingegen liegt in der persönlichen Leistungserbringung und dem daraus resultierenden festen Patientenstamm. Für die Krankenhäuser bedeutet eine ambulante Leistungserbringung oftmals eine organisatorische, aber auch infrastrukturelle Herausforderung, da der Klinikalltag überwiegend durch stationäre Behandlungsabläufe geprägt ist. Andererseits verfügen Krankenhäuser, die den Status eines §116b-Vertrages in der Vergangenheit schon erworben haben, bereits über einen längeren Erfahrungshorizont im Umgang mit diesem neuen Leistungssektor.
Kompromiss bei umstrittenen Kritikpunkten
Obwohl eine Novellierung des §116b-Paragraphen von fast allen Akteuren grundsätzlich positiv gesehen wurde, gab es nach der ersten Lesung im Bundestag sowie dem ersten Durchgang im Bundesrat weiterhin gravierende Kritikpunkte und divergierende Zielinteressen zwischen Bund und Ländern bei der Ausgestaltung dieses Versorgungssektors; bis hin zur Forderung des Bundesrates, die spezialfachärztliche Versorgung ganz aus dem GKV-VStG herauszunehmen und in einem eigenen Gesetz zu regeln, da die Länder ganz offensichtlich einen Kompetenzverlust und Beschränkung der Einflussnahmemöglichkeiten insbesondere bei der Krankenhausplanung befürchteten. Im Wege der Kompromissfindung wurden daher im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses folgende wichtigen Regelungsdetails noch zusätzlich beschlossen:
Europapolitischer Stellenwert der ASV
Mit der Novellierung des §116b SGB V und der damit einhergehenden spezialfachärztlichen Versorgung folgt Deutschland schließlich einer europäischen Entwicklung, die in anderen EU-Mitgliedsstaaten bereits praktiziert wird. Gleichzeitig wurde im März dieses Jahres eine EU-Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung verabschiedet, um damit einen europaweit einheitlich geltenden Rechtsrahmen zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu schaffen. Laut der Richtlinie muss – im Gegensatz zu ambulanten Behandlungen ohne Übernachtung – bei „hochspezialisierten und kostenintensiven“ Leistungen, eine Vorabgenehmigung des Kostenträgers eingeholt werden. Welche Leistungen unter diese neue EU-Regelung fallen, obliegt dem nationalen Gesetzgeber.
Aus deutscher Sicht wäre damit künftig die Frage zu beantworten, ob der gesamte §116b-Leistungskatalog diesem Genehmigungsvorbehalt ausgesetzt oder ob beispielsweise eine vorab definierte Jahrestherapiekostengrenze als mögliche Entscheidungsregel herangezogen wird.
Industriepolitische Bewertung und Ausblick
Zur Behandlung komplexer Krankheitsbilder und als Reaktion auf eine Dynamisierung der Leistungsentwicklung stellt die Novellierung des §116b SGB V und die Schaffung eines neuen spezialfachärztlichen Versorgungssektors einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar, die Schnittstellenproblematik zwischen ambulanter und stationärer Versorgung nachhaltig zu überwinden. Als positives Hauptaugenmerk lässt sich aus Industrieperspektive der direkte und rasche Zugang zu innovativen Diagnostik- und Therapieverfahren aufgrund des angewandten Verbotsvorbehalts hervorheben. Das wiederum unterstützt die Generierung von validen Daten unmittelbar aus der ambulanten Versorgung und ermöglicht im Rahmen der Versorgungsforschung neue Erkenntnisgewinne. Dazu lassen sich aus der gesetzlichen Regelung weitere Punkte unterstreichen, die positiv auf das Gesamtsystem wirken:
Trotz einer positiven Grundhaltung zu der vorgesehenen gesetzlichen Regelung dürfen folgende kritische Punkte nicht aus dem Blickfeld geraten:
Mit der Etablierung der spezialfachärztlichen Versorgung im Rahmen des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes wird eine neue strukturpolitische Maßnahme verfolgt, die sich wohltuend von vielen anderen Regelungen abhebt. So sehr der Grundgedanke breite Unterstützung erfahren sollte, gibt es bei der konkreten Umsetzung in die Versorgungspraxis noch eine Fülle wichtiger Detailfragen zu klären, die im Rahmen dieses Gesetzgebungsprozesses schon aus zeitlichen Gründen überhaupt nicht auf der Agenda standen. Umso mehr kommt es folglich darauf an, dass die weiteren Implementierungsprozesse zügig ausgestaltet werden.
Dem Gemeinsamen Bundesausschuss kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, ob und mit welcher Qualität dieser neue Versorgungssektor sich etablieren wird. Der erforderliche Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen ist unabdingbar, wenn man den Anschluss an den medizinischen Fortschritt nicht verlieren möchte. Aber auch im europäischen Kontext wird der Aspekt der grenz-überschreitenden Gesundheitsversorgung sich zunehmend auf die Angebotsqualität des deutschen Gesundheitswesens auswirken. Der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung ist daher aus vielerlei Gründen eine große, aber auch positive Aufmerksamkeit zu schenken. <<
Zur Entstehungsgeschichte der ASV
Der enorme medizinische Fortschritt hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass traditionell stationär durchgeführte Behandlungsmaßnahmen zunehmend im Rahmen ambulanter Leistungsstrukturen durchgeführt werden können. Von Seiten des Gesetzgebers gibt es daher schon langjährige Reformbestrebungen, diese historisch gewachsenen sektoralen Grenzen zwischen ambulant und stationär weiter zu entwickeln und den „Einstieg in eine ärztliche Versorgung ohne Sektorengrenzen“ als erklärtes politisches Ziel zu verfolgen. Bisherige und auch parteiübergreifende Bemühungen der Legislative zur Überwindung der Sektorengrenzen haben zwar ein differenziertes, aber strukturpolitisch dennoch einseitiges Leistungsangebot zu Gunsten einer Öffnung der Krankenhäuser hervorgebracht:
• Ambulantes Operieren (§115b SGB V) und
• Ambulante Versorgung am Krankenhaus (§116b SGB V).
Auch die Bemühungen zur Verbesserung von Behandlungsabläufen im Sinne der integrierten Versorgung haben im Ergebnis nicht zu einer nachhaltigen Überwindung der starren Sektorengrenzen geführt. Ganz im Gegenteil: Komplexität und Intransparenz des Systems wurden verstärkt. Dem Trend zur Dynamisierung der Leistungsentwicklung steht nach wie vor eine gelebte Sektorentrennung gegenüber, die weder ökonomisch noch versorgungspolitisch zu rechtfertigen ist. Dazu ist eine Über-, Unter- und Fehlversorgung im deutschen Gesundheitswesen trotz vorhandener Bedarfsplanung im ambulanten und stationären Bereich seit Jahren nachweislich existent. Quo vadis Reformpolitik?
Autor:
Roger Jaeckel ist Leiter Gesundheitspolitik bei GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG
Dipl. Verw.wiss., European Master in Social Security, Lehrbeauftragter der Hochschule Neu-Ulm.
Kontakt: roger.r.jaeckel@gsk.com.
Das Gespräch führte Jutta Mutschler, leitende Redakteurin „MA&HP“.
]]>Retroaktive Wirkung
Ob es viele von diesen Verträgen geben wird, stellt Sträter mal dahin; auf jeden Fall wird es den Raum dafür geben, den es bisher so nicht gab. Und dann auch noch den Freiraum, endlich über einen einzigen Sektor und insbesondere über die recht monokausale Betrachtung der Arzneimittelkosten hinaus argumentieren zu können. Denn im Zuge der zur frühen Nutzenbewertung einzureichenden Dossiers findet die noch nicht statt, wie Sträter weiter ausführte: „Wenn im Dossier gefordert wird, Angaben zu Ausgaben in der GKV zu machen, ist hier nicht die sektorübergreifende Dimension gemeint.“
Der Schiedsspruch wird wohl nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel werden. „Wir werden mehr Verfahren bekommen als wir bislang alle annehmen“, sagt Sträter. Denn, dass sich alle nach sechs Monaten einigen, „weil sie auf einmal zu höheren Einsichten gelangt sind“, sei ja nicht unbedingt zu erwarten.
Wichtig sei aber zu wissen, dass dieser Schiedsspruch retroaktiv funktioniert, da dieser auf den Beginn des 13. Monats nach dem ersten Inverkehrbringen des betreffenen Produkts zurückwirkt. Das sei auch wichtig für all die Produkte, die von der 6-Monats-Frist profitiert haben, indem sie das Dossier nicht gleich, sondern erst Mitte des Jahres einreichen mussten. „Die Unternehmen werden realisieren müssen“, so Sträter, „dass diese Jahresfrist berechnet wird auf den Zeitpunkt des ersten Inverkehrbringens. Sträter: „Wenn also Ende 2012 der Schiedsspruch kommt, wirkt der auf Januar 2011 zurück.“ Das sei auch wichtig für Rückstellungen.
Die kann das Unternehmen am besten gleich weltweit zurücklegen, denn am Ende des Verfahrens wird bekanntlich der so genannte „Erstattungsbetrag“ festgelegt. Dieser Begriff ist nach Sträter irreführend, weil damit suggeriert wird, dass der Unternehmer damit - ähnlich wie bei einem Rabattvertrag - eine Erstattung an die Kassen gewährt. Doch weil der Gesetzgeber das System auch auf die PKV erstrecken wollte, wurde eingeführt, dass die Erstattung bei Abgabe zu gewähren ist. Mit dem Effekt, dass künftig nach Sträters Wissen in der Lauer-Taxe zwei Preise genannt werden: ein Listenpreis und ein Abrechnungspreis. Sträter: „Wenn das so ist: Dann machen wir uns doch nichts vor, welcher Preis wohl für die Referenzpreiswirkung des gelisteten Arzneimittels herangezogen wird?“
Da Deutschland auf 30, wohl aber sogar auf 82 Länder referenziere, sei das „Deutschlands Beitrag zur weltweiten Kostensenkung im Gesundheitswesen“. <<
Das Gespräch führte Jutta Mutschler, leitende Redakteurin „MA&HP“.
]]><< Im Wesentlichen sind das zwei Dinge, die wir kritisieren: die mangelnde Transparenz im Prozess und die Festlegung der Vergleichstherapie. >>
Was hätten Sie für praxisnahe Verbesserungsvorschläge an die Adresse des G-BA?
Als vorbildlich stufe ich beispielsweise den Registrierungsprozess bei der EMA oder FDA ein. Im Laufe des Zulassungsprozesses entstehen häufig Nachfragen, wie man das und jenes interpretieren könne. Was ich an diesem Prozess sehr schätze, ist die Möglichkeit, einen richtigen Dialog zwischen den Experten der EMA oder FDA mit unseren Experten im Haus. Offene Fragestellungen und Themen werden auf einer guten wissenschaftlichen und fachlichen Basis diskutiert, um damit letztlich zu einem besseren und professionelleren Verständnis zu gelangen. Genau diesen Prozess würden wir uns auch in der Interaktion mit dem G-BA wünschen.
Sie sind mit Ihrer Entscheidung bewusst auch offensiv in die Öffentlichkeit gegangen. Erwarten Sie Verständnis von Seiten der Bevölkerung bzw. von Seiten der Patienten? Befürchten Sie nicht eher einen Imageschaden für Ihr Unternehmen so nach dem Motto „Der Pharmaindustrie geht es doch vor allem wieder nur um Profit und Geld“?
Ich denke, es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit versteht, was hier passiert. Und dass die Öffentlichkeit auch nachvollziehen kann, warum wir diesen Weg gewählt haben. Das war für uns als Unternehmen Boehringer Ingelheim und Lilly mit Sicherheit keine leichte Entscheidung. Zum einen gibt es mit Sicherheit viele Patienten, die mit Unverständnis auf unsere Entscheidung reagieren, wenn sie die Hintergründe nicht verstehen. Deshalb machen wir unseren Schritt auch öffentlich. Zum anderen haben wir als Unternehmen nicht nur eine bedeutende Sorgfaltspflicht gegenüber unseren Patienten, sondern natürlich auch gegenüber unseren Mitarbeitern. Wir brauchen als Boehringer Ingelheim eine langfristige Perspektive, damit wir in Deutschland auch weiterhin 10.000 Mitarbeiter beschäftigt halten und hier Forschung/Entwicklung und Produktion betreiben können. Für uns war deshalb der derzeitige, völlig unkalkulierbare Ausgang Anlass zu sagen: Solange für uns nicht klar ist, in welche Richtung das geht, bleiben wir bei unserer Entscheidung und nehmen auch ökonomische Nachteile in Kauf.
Wie erklären Sie einem Diabetes-Patienten, warum sie das Medikament in Deutschland vorerst nicht auf den Markt bringen?
Um das erklären zu können, muss ich etwas weiter ausholen. Das Unternehmensziel von Boehringer Ingelheim lautet, innovative Arzneimittel zu entwickeln und den Patienten zur Verfügung zu stellen. Und das wollen wir auch langfristig machen. Doch um langfristig neue Arzneimittel mit innovativem Charakter entwickeln zu können, braucht man Planungssicherheit und auch angemessene Preise. Was oft vergessen wird: Einer marktreifen Entwicklung liegen zwölf bis vierzehn Jahre intensiver Forschung und Entwicklung zugrunde. Dann muss ich als Unternehmen auch die Gewissheit haben, dass ich mein Produkt zu einem adäquaten Preis vermarkten kann. Wie bereits gesagt, stellen wir uns mit „Trajenta“ ganz bewusst dem Prozess der frühen Nutzenbewertung, um damit auch Klarheit zu bekommen. Die Verschiebung der Markteinführung in Deutschland, die uns sowieso schon beträchtlichen ökonomischen Schaden bringt, ist für uns und auch im Sinne der Patienten „das kleinere Übel“, wenn Sie so wollen. Wir warten ein paar Monate, immer in der Hoffnung, dass wir gemeinsam mit dem G-BA zu einer vernünftigen Lösung kommen. Ich bin sicher, dass die Patienten verstehen, dass wir hier auf einer grundsätzlichen und angemessenen Lösung beharren. Die zentrale Frage ist doch, wie wir zukünftig mit innovativen Arzneimitteln verfahren wollen. Ich sehe uns jetzt ganz klar an einer entscheidenden Wegkreuzung. Wir wollen wenigstens, dass unser neues Medikament in seinem Kontext verstanden und beurteilt wird. Und so lange das nicht gegeben ist, müssen wir hier eine Grundsatzdiskussion führen.
Ihre Entscheidung soll eine allgemeine Grundsatzdiskussion auslösen?
Genau. Wir wollen zunächst für uns die beiden bereits genannten Punkte geklärt haben: Nämlich die Frage nach den Bewertungskriterien und was die angemessene Vergleichstherapie ist. Diese beiden sehr grundsätzlichen Themen im AMNOG müssen jetzt ausdiskutiert werden.
Es wird von Ihrer Seite die Vermutung laut, dass es politisch gewollt sei, die Preise in Deutschland unter den europäischen Durchschnittspreis fallen zu lassen. Sollte diese von Ihnen befürchtete Entwicklung tatsächlich eintreten, welche Folgen befürchten Sie für das Preisreferenzland Deutschland?
<< Die zentrale Frage ist doch, wie wir zukünftig mit innovativen Arzneimitteln verfahren wollen. Ich sehe uns jetzt ganz klar an einer entscheidenden Wegkreuzung. >>
In der politischen Diskussion geht es ja nun schon seit längerem um eine deutliche Absenkung der Arzneimittelkosten. Das geht nur – und darüber sind wir uns natürlich auch im Klaren - über eine Absenkung der Preise. Die demografische Entwicklung und die Zunahme chronischer Erkrankungen in Deutschland tragen natürlich ihren Teil zu diesen Erwägungen bei. In diesem Zusammenhang muss man meines Erachtens Lösungen im Sinne einer ganzheitlichen Versorgungssituation diskutieren und nicht immer nur die Arzneimittelpreise isoliert betrachten.
Vor gut einem Jahr wurden die Zwangsrabatte eingeführt, und die Preise wurden für 3,5 Jahre eingefroren – allein diese politischen Entscheidungen wirken sich schon sehr massiv aus und drücken auf die Preise eingeführter Substanzen. Durch das AMNOG werden nun alle Neueinführungen der beschriebenen frühen Nutzenbewertung unterworfen und später sollen auch noch Produkte aus dem Bestandsmarkt folgen. Das nimmt uns die Luft zum Atmen und dem Standort Deutschland den Anreiz zur medizinischen Forschung.
Im § 130 b des AMNOG steht ja auch, dass der Rabatt auf den Abgabepreis hinterher offen gelegt wird. Diese Entscheidung gibt Deutschland als europäisches Preisreferenzland ein zusätzliches kritisches Gewicht. Die Firmen müssen sich auf diese neue Sachlage einstellen. Was uns Sorge macht, ist, dass der tatsächliche Wert eines innovativen Arzneimittels in Deutschland deutlich in Frage gestellt wird. Unser Produkt „Trajenta“, das dem Diabetespatienten deutlich belegte Therapieverbesserungen bringt, ist komplett in Deutschland entwickelt worden und wird hier hergestellt. Da ist es meines Erachtens schon sehr traurig, dass wir dann ausgerechnet in Deutschland nicht auf den Markt gehen können. Insofern löst das natürlich auch eine wichtige Grundsatzdiskussion aus: Wollen wir als innovatives und forschungsorientiertes Land moderne Arzneimittel weiterhin fördern oder wollen wir es nicht?
Sehen Sie langfristig also auch Folgen für den Pharmastandort Deutschland?
Langfristig ja. Das sind mit Sicherheit keine Entscheidungen, die über Nacht getroffen werden, sondern das ist ein schleichender und langwieriger Prozess. Die Entwicklungszyklen in unserer Branche sind sehr lang, aber wenn dort Grundsatzentscheidungen getroffen werden, dann sind sie meist auch unumkehrbar. Deutschland möchte sich als Forschungsstandort und als Land der Innovationen positionieren. Aber einige politische Entscheidungen widersprechen ganz klar dieser gewünschten Positionierung.
Herr Dr. Günster, vielen Dank für das Gespräch. <<
Das Gespräch führte Jutta Mutschler, Leitende Redakteurin „MA&HP“.
Glücklicherweise sind wir - bezogen auf die Neueinführung von Wirkstoffen - in 2011 nicht betroffen; allerdings kann aktuell noch niemand beurteilen, inwiefern Produkte aus dem sogenannten „Bestandsmarkt“, die noch dem Unterlagenschutz unterliegen müssen, seitens des G-BA zu einer Nutzenbewertung nach dem AMNOG aufgerufen werden.
Welche Anforderungen der frühen Nutzenbewertung - so sie denn aus Gesetz und Rechtsverordnung erkennbar sind - kann Ihr Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt erfüllen?
Voraussichtlich alle.
Und was muss Ihr Unternehmen z.B. bezüglich der Neugestaltung oder auch Änderung von Phase-III-Studien tun, um den Anforderungen gerecht zu werden?
Eine wichtige Fragestellung für globale Konzerne ist grundsätzlich, ob man in den Phase III-Studien bereit ist, von der gegenwärtigen Forschungssituation, eher Placebo-Studienvergleiche oder maximal non-inferiority-Studienvergleiche zu einer Vergleichssubstanz zu initiieren, auf superiority-Vergleiche überzugehen! Schwierig ist es natürlich für global tätige Pharmafirmen, die in Deutschland vom G-BA zu benennende Vergleichssubstanz in einer Indikation nicht schon Jahre vor Produkteinführung zu kennen und auch zu entscheiden, welche Vergleichssubstanz in ein Studienprogramm Einzug halten wird, weil unterschiedliche Länder in der Welt unterschiedliche Ansprüche in puncto Vergleichssubstanz stellen können! Daher wäre es aus Sicht der Pharmaindustrie wünschenswert, dass von den Zulassungsbehörden hier künftig international einheitliche und verbindliche Regelungen getroffen werden.
Stellt Ihr Unternehmen das, was über die frühe Nutzenbewertung in der Rechtsverordnung steht, wirklich vor große Herausforderungen? Oder ist es nicht so, dass Ihr Unternehmen auch heute schon – dort wo das geht – in den entsprechenden Studien die Fortschritte der Innovationen hinsichtlich von Symptomlinderungen, längerer Lebenszeit und der Reduktion wichtiger Nebenwirkungen aufzeigt, anstatt gegen Placebo zu testen?
Wie oben bereits erwähnt, ist die Prüfung gegenüber Placebo immer noch sehr weit verbreitet; die Parameter „Symptomlinderungen“, „Lebensqualität“, „Interaktions- und Nebenwirkungs-Output“ sowie „Lebensverlängerung“ sind in der Regel Bestandteil aktueller Studienprogramme der Pharmaindustrie; ausbaufähig erscheinen die Bereiche „Überlegenheit gegenüber einer definierten Vergleichstherapie“ sowie eine noch spezifischere Graduierung von Patienten-Subgruppen!
Als „Kollateralnutzen“ oder je nach Sichtweise auch „Kollateralschaden“ des AMNOG kann es bezeichnet werden, dass dieses Gesetz der Einstieg in die Preisfestsetzung als ein Verhandlungsergebnis ist, natürlich mit dem Ziel, eine Reduzierung eines ursprünglich geforderten Marktpreises herbeizuführen. Welche Auswirkungen erwarten Sie auf Unternehmensgewinn als auch auf internationale Preisfestsetzungen, da der deutsche Preis immer noch als Referenzpreis gilt?
„So, wie der Zusatznutzen in der Rechtsverordnung beschrieben wird, stehen wir vor echten Herausforderungen“
Grundsätzlich kann man natürlich festhalten, dass es im Vergleich zu dem ursprünglich definierten Markteinführungspreis durch die Verhandlung oder die Festsetzung eines Erstattungspreises eine Abweichung nach unten geben wird; wie hoch diese Abweichung nach unten ausfallen wird, ist vom Beleg des Zusatznutzens des neuen Wirkstoffes im Vergleich zu der definierten Vergleichssubstanz abhängig; damit ist dann auch die Auswirkung auf den Unternehmensgewinn verbunden, zumal davon auszugehen ist, dass gegenbenenfalls aktuell zu entrichtende Abschläge wie gesetzlicher Hersteller-Rabatt oder individuell vereinbarte Krankenkassen- oder Krankenhaus-Rabatte durch die Festlegung eines Erstattungspreises ganz oder teilweise entfallen werden!
Mittelfristig wird sich ein niedriger deutscher Erstattungspreis auch auf die internationalen Preisfestsetzungen auswirken, aber dies ist zum Teil auch schon seit August 2010 der Fall, weil einzelne europäische Länder bereits jetzt den deutschen Netto-Preis (d.h. nach Abzug der aktuellen gesetzlichen Hersteller-Rabatte) zur Anrechnung in ihre jeweilige Preisberechnung bringen.
Welche Impulse erwarten Sie von den Verhandlungen mit dem Spi-Bu nachgeschalteten Gesprächen mit den einzelnen Kassen? Kommen hier auch qualitative Themen zur Sprache oder wird das nur eine Art zweiter Rabattrunde?
Aus meiner persönlichen Perspektive sind diese Gespräche eher Gespräche mit „wirtschaftlichem Hintergrund“, die eher die Höhe des Erstattungspreises zur Folge haben werden; qualitative Aspekte werden eher im Hintergrund stehen!
Erwarten Sie, ähnlich wie es Erik Meinhardt, Direktor Market Access von MSD, in der ersten Ausgabe 2011 von „Market Access & Health Policy“ formuliert hat, dass die Business Units „F&E“, „Market Access“ und „Marketing“ schon kurz- bis mittelfristig zusammenwachsen oder zumindest viel besser verzahnt werden als bisher?
Ich würde dies unbedingt bejahen, würde aber neben den in der Fragestellung aufgeführten Bereichen unbedingt noch den Bereich „Medical Affairs“ ergänzen wollen! Im engen Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Bereiche werden sich über kurz oder lang Synergien entwickeln, die heute leider vielerorts noch brach liegen. Hier ist noch viel Potenzial vorhanden, das es zu nutzen gilt.
Wird damit nicht auch das laut AMNOG vorzulegende Value- bzw. Nutzendossier zur Grundlage jedweden Marketings? Ist das nur Problem oder vielleicht auch eine Chance für eine neue Art der Marketingkommunikation?
Ist einmal ein „Erstattungspreis“ festgesetzt worden und damit die Höhe des Zusatznutzens ableitbar, wird das auf jeden Fall Bestandteil der Produkt-Kommunikation werden. Es ist wie immer im Leben: Je besser der Beleg eines Zusatznutzens darzustellen ist, umso eher wird man darüber auch reden. Von dieser Möglichkeit sollte die Pharmaindustrie dann aber auch tatkräftig Gebrauch machen.
Herr Milz, vielen Dank für das Gespräch. <<
]]>Autor
Hanspeter Quodt ist Vorsitzender der Geschäftsführung von MSD Deutschland.
Kontakt: hanspeter.quodt@msd.de
Web: www.msd.de