Fehlende Harmonisierung
Nicht die operativen Fragestellungen, wie das AMNOG umgesetzt oder weiterentwickelt werden könnte, standen bei Monika Fenzau, zuletzt tätig bei Bristol-Myers-Squibb, im Mittelpunkt ihres Vortrages. Sie wollte einen Blick - „um in Fußballersprache zu sprechen“ in die nächste oder übernächste Saison werfen. Gleich zu Beginn des Referates machte sie deutlich, dass sie der Nutzenbewertung sehr positiv gegenüberstehe. „Denn auch als Bürgerin und Konsumentin ist für mich eine Nutzenbewertung eigentlich völlig selbstverständlich.“ Beim Kauf eines neuen Kühlschrankes wolle sie schließlich auch wissen, was der Neue besser könne als der Alte und worin sie sich unterscheiden. „Deshalb von meiner Seite aus und ich bin da gar nicht so alleine in der Industrie - ein eindeutiges Ja zur Nutzenbewertung von Innovationen per se“, so Fenzau. Um danach gleich festzustellen: „Aber bitte nicht so.“
Heutzutage gäbe es ein zweistufiges Evaluationsverfahren, nämlich zunächst einmal die europäische Zulassung von neuen Wirkstoffen. „Das heißt die Sicherheit und Wirksamkeit von Wirkstoffen wurde entsprechend geprüft.“ Dazu kämen in den vielen Nationalstaaten nachgelagerte Nutzenbewertungen, zum Teil auch explizite Kosten-Nutzen-Bewertungen. Aufgrund fehlender Harmonisierung im Hinblick auf Datenquelle, Studiendesign oder Methodik ergeben sich teils „kuriose“ und völlig unterschiedliche Ergebnisse.
Das wiederum führe zu erheblicher Verunsicherung nicht nur bei den Herstellern, sondern auch bei den Patienten und nicht zuletzt den politischen Verantwortlichen in den einzelnen Ländern. „Diese Form von Ergebnissen kann nicht die Zukunft sein“, erklärte Monika Fenzau. Ihre Lösung: Harmonisierung. „Meine Botschaft lautet hier, dass wir Nutzenbewertungen zeitlich parallel laufen lassen müssen zur Zulassung.“ Harmonisierung müsse hinsichtlich Datenquellen, Studiendesign und Methodik im Hinblick auf die Nutzenbewertung erfolgen. So könne schließlich auch gewährleistet werden, dass Arzneimittel nicht „nur“ gegen Placebo getestet würden, sondern tatsächlich auch gegen eine angemessene, nachvollziehbare Therapiealternative. Mit anderen Worten: „Würde man es parallel laufen lassen, dann kommt ein neuer Wirkstoff nicht nur mit einer europäischen Zulassung auf den europäischen Markt, sondern auch gleich im Hinblick auf den Zusatznutzen zur Vergleichstherapie.“
Doch nicht nur bei der zeitlichen Herangehensweise, sondern auch beim Verfahren selbst sieht Fenzau Verbesserungspotenzial. Ihrer Ansicht nach sollten sich die einzelnen nationalen HTA-Agenturen auf Wirkstoffe bewerben, die sie überprüfen. „Die dort gefundenen Ergebnisse gelten dann für den gesamten europäischen Raum.“
Konsequente Delegation
Kritik übte Monika Fenzau auch beim Thema Preisfindung innerhalb des AMNOG-Verfahrens. „Warum muss der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen einen Preis verhandeln?“ Sie habe in letzter Zeit Gespräche mit dem ein oder anderen einflussreichen Repräsentanten der GKV geführt und nachgefragt, wie sie es fänden, dass der GKV-Spitzenverband helfe, die Preise mit der Industrie zu verhandeln. Die Reaktionen seien durch die Bank gleich gewesen: Alle befragten Repräsentanten forderten das Verhandlungsmandat für sich.
Deshalb laute ihre Botschaft auch: Konsequente Delegation von Verhandlungsautonomie nach unten. Laut Fenzau berge die Delegation folgende Vorteile: Erstens könne sich der Arzt auf seine Kernkompetenz konzentrieren und wäre aus der ökonomischen Verantwortung komplett entlassen. „Denn die ökonomische Verantwortung von innovativen Arzneimitteln ist dann in die Hände derer delegiert, in die sie gehört - nämlich Hersteller und Zahler.“
Die Delegation der Verhandlungskompetenz an Hersteller und Krankenkasse hätte darüber hinaus auch Auswirkungen auf das internationale Reference-Pricing, das sich am deutschen Markt orientiere. „Dadurch, dass das AMNOG diesen Effekt des Reference-Pricings völlig ignoriert, in dem es einen Verhandlungspreis in die Lauer-Taxe schreibt, kann es eben zu einem Kellertreppeneffekt führen“, so Fenzau. Würde die Verhandlungskompetenz aber an Krankenkassen delegiert werden, wären das Verträge zwischen gleichberechtigten Partnern, deren Inhalte in der Regel nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden. „Somit wird das Thema internationales Reference-Pricing gar nicht erst zum Problem“, erklärte Monika Fenzau abschließend.
Einen Blick in die berühmte Kristallkugel wagte Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers (Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner) mit seinem Vortrag „Health Care Fraud in Deutschland - Drohen der pharmazeutischen Industrie amerikanische Verhältnisse?“ Um die Brisanz des Themas zu verdeutlichen, berichtete Ehlers zunächst über die Entwicklungen in den USA.
Es sei dahingestellt, ob das Gesundheitssystem in den USA das teuerste sei oder nicht. Tatsache sei jedoch, dass die strukturelle Korruption in den USA längst zur Nummer eins der Wirtschaftskriminalität geworden sei. „Mindestens 3 bis 10 Prozent des gesamten Gesundheitsbudgets gehen durch Straftaten, sogenannte Health Care Frauds, verloren“, so Ehlers. Dies sind schätzungsweise ca. 80 Milliarden Euro - eine Summe, die im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung vergeblich investiert werde. Die kriminogenen Faktoren, die in den USA eine Rolle spielten, seien durchaus auch in Deutschland zu finden: „Das sind fehlende Transparenz, falsche Systeme zum Anreiz und letztendlich wird es dem Straftäter leicht gemacht, das System zum eigenen Vorteil auszunutzen.“
In den USA werden laut Ehlers von den Arzneimittelherstellern regelmäßig bis zu dreistellige Millionenbeträge gezahlt, um zivil- und strafrechtliche Verfahren zu beenden. Das Problem seien falsche Informationen. Beispielsweise „aufgeblähte durchschnittliche Großhandelspreise“. Bei einem Hersteller, der falsche Großhandelspreise angibt und damit letztendlich einen Dritten dadurch schädigt, spreche man nicht von zivilrechtlich auszugleichenden Schadenersatzforderungen, sondern von kriminellem Verhalten.
Problem sind falsche Informationen
Auch die „Manipulation des nominellen Preises“ könne in den USA Strafverfahren nach sich ziehen. Ebenso müssten nach der Bestimmung des Best Price auch Kosten bzw. Kostenvergünstigungen für privates Etikettieren, Umverpacken und Umetikettieren eingerechnet werden.
Zwar existierten keine genauen Zahlen zu den tatsächlichen Schäden durch Betrug und Manipulation für das deutsche Gesundheitssystem. „Nach Expertenansicht entsteht dem Gesundheitssystem in Deutschland ein jährlicher Gesamtschaden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro“, führte Ehlers aus. Das enstpreche knapp 6 Prozent der Gesamtausgaben. Wie tragfähig die Zahlen letztendlich seien, könne er nicht beurteilen. „Doch egal wieviele Euros verschwendet werden, es sind Gelder, die bei knappen Ressourcen einfach bei der Versorgung fehlen.“
Die Frage müsse nun lauten: Könnten diese amerikanischen Verhältnisse auch auf Deutschland übertragen werden? „Wenn ich eine Prognose wage und den Blick in die Glaskugel werfe, dann sage ich Ja“, erläuterte Ehlers. Zwar gebe es keine direkte Übertragbarkeit, da die Rechtssysteme sehr verschieden seien. „Aber man beachte den Paradigmendwechsel“, mahnte der Rechtsexperte. Haben die Hersteller früher die Arzneimittelpreise für Innovationen selbst festgelegt, erfahre die Preisbildung durch das AMNOG eine gravierende Änderung, „denn erstmals wurden Mitteilungspflichten eingeführt“. Verletzung der Mitteilungspflicht wäre beispielsweise gegeben, wenn Angaben des Herstellers gegenüber dem G-BA bei der frühen Nutzenbewertung, insbesondere in Verhandlungen mit dem Spitzenverband Bund oder dem anschließenden Schiedsamtsverfahren, falsch sind.
Darüber hinaus könne er Monika Fenzau bei ihrer Forderung nach Harmonisierung bei der europäischen Nutzenbewertung nur zustimmen. „Ich glaube, dass es bei der frühen Nutzenbewertung noch sehr viel Diskussionsbedarf gibt“, so Ehlers, „denn eine Vielzahl an Rechtsproblemen ist noch offen.“ <<
Retroaktive Wirkung
Ob es viele von diesen Verträgen geben wird, stellt Sträter mal dahin; auf jeden Fall wird es den Raum dafür geben, den es bisher so nicht gab. Und dann auch noch den Freiraum, endlich über einen einzigen Sektor und insbesondere über die recht monokausale Betrachtung der Arzneimittelkosten hinaus argumentieren zu können. Denn im Zuge der zur frühen Nutzenbewertung einzureichenden Dossiers findet die noch nicht statt, wie Sträter weiter ausführte: „Wenn im Dossier gefordert wird, Angaben zu Ausgaben in der GKV zu machen, ist hier nicht die sektorübergreifende Dimension gemeint.“
Der Schiedsspruch wird wohl nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel werden. „Wir werden mehr Verfahren bekommen als wir bislang alle annehmen“, sagt Sträter. Denn, dass sich alle nach sechs Monaten einigen, „weil sie auf einmal zu höheren Einsichten gelangt sind“, sei ja nicht unbedingt zu erwarten.
Wichtig sei aber zu wissen, dass dieser Schiedsspruch retroaktiv funktioniert, da dieser auf den Beginn des 13. Monats nach dem ersten Inverkehrbringen des betreffenen Produkts zurückwirkt. Das sei auch wichtig für all die Produkte, die von der 6-Monats-Frist profitiert haben, indem sie das Dossier nicht gleich, sondern erst Mitte des Jahres einreichen mussten. „Die Unternehmen werden realisieren müssen“, so Sträter, „dass diese Jahresfrist berechnet wird auf den Zeitpunkt des ersten Inverkehrbringens. Sträter: „Wenn also Ende 2012 der Schiedsspruch kommt, wirkt der auf Januar 2011 zurück.“ Das sei auch wichtig für Rückstellungen.
Die kann das Unternehmen am besten gleich weltweit zurücklegen, denn am Ende des Verfahrens wird bekanntlich der so genannte „Erstattungsbetrag“ festgelegt. Dieser Begriff ist nach Sträter irreführend, weil damit suggeriert wird, dass der Unternehmer damit - ähnlich wie bei einem Rabattvertrag - eine Erstattung an die Kassen gewährt. Doch weil der Gesetzgeber das System auch auf die PKV erstrecken wollte, wurde eingeführt, dass die Erstattung bei Abgabe zu gewähren ist. Mit dem Effekt, dass künftig nach Sträters Wissen in der Lauer-Taxe zwei Preise genannt werden: ein Listenpreis und ein Abrechnungspreis. Sträter: „Wenn das so ist: Dann machen wir uns doch nichts vor, welcher Preis wohl für die Referenzpreiswirkung des gelisteten Arzneimittels herangezogen wird?“
Da Deutschland auf 30, wohl aber sogar auf 82 Länder referenziere, sei das „Deutschlands Beitrag zur weltweiten Kostensenkung im Gesundheitswesen“. <<
Vier grundsätzliche Fragen zu klären
Vor der Erstellung des Dossiers müssten zunächst vier grundsätzliche Fragen geklärt werden. Frage Nummer eins lautet: „Welcher Hersteller wird als erstes aufgefordert?“ Daran anknüpfend folgt die Frage, ob ein Beratungsgespräch mit dem G-BA geplant sei. Drittens welches Bewertungsergebnis beziehungsweise welcher Zusatznutzen erwartet werde. Und zuletzt: „Ist eine Stellungnahme zur eigenen Bewertung geplant? Und wie werden die Wettbewerber Stellung beziehen?“ Diese Fragen sollten vor der Erstellung geklärt werden, „um einen roten Faden in die Argumentationskette zu bekommen“.
Vor der endgültigen Einreichung sollte das Dossier unbedingt nochmals auf die Qualität bestimmter Aspekte hin überprüft werden, wie zum Beispiel die Vollständigkeit der Studien, Abgleich mit rechtlichen Vorgaben, inhaltliche Konsistenzkontrolle, Prüfung der Orthografie und last but not least: „Spiegeln sich die Corporate-Identity-Vorgaben des Unternehmens auch im Dossier wider?“
Ein entscheidendes Problem bei der Erstellung der Dossiers liegt nach Einschätzung von Thomas Ecker im vorgegebenen zeitlichen Rahmen: „Ohne Qualitätsverlust ist die Erstellung des Dossiers kaum schneller als in 20 Wochen zu bewerkstelligen.“ Die 12-Wochen-Frist halte er für eher unrealistisch. Die Erstellung eines Dossiers gliedere sich in vier Phasen: Scoping Workshop, Erstellung des Argumentationsgerüstes, First Draft und dann schließlich die Finalisierung und Kontrolle. „Im Scoping Workshop werden zentrale Fragen im Projektteam abgestimmt“, so Ecker. Fragen wie „Was sind die relevanten Eckpunkte?“, „Wie viele Patienten sind zu erwarten?“ und „Was ist die zweckmäßige Vergleichstherapie?“ müssten in dieser Phase geklärt werden. „Das Argumentationsgerüst fasst im Anschluss die wesentlichen Fakten für den Nachweis des angestrebten Zusatznutzens konsistent zusammen.“ In der dritten Phase werde die Evidenz für den Nutzennachweis als Textdokument aufbereitet und schließlich erfolge dann die Qualitätskontrolle. Ecker mahnte die Zuhörer, insbesondere auch auf die Vollständigkeit der Daten im Dossier zu achten. „Denn alles was fehlt, kann im Zweifel gegen Sie verwendet werden.“
18 Kostendämpfungsgesetze in 20 Jahren
In seinem Vortrag „Innovative Direktverträge - Positionen der Pharmaunternehmen“ warf Dr. Bernd Wegener, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie (BPI), einen Blick zurück auf die unternehmerischen Herausforderungen der letzten zwei Jahrzehnte aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmen. „Wenn wir bis ins Jahr 1990 zurückgehen, so hatten wir in der Zeit insgesamt 18 Kostendämpfungsgesetze.“ Weitere Regulierungen kamen durch Festbeträge, Erstattungsausschlüsse bei der Selbstmedikation, Einführung der Rabattverträge oder Steuerung des Verschreibungsverhaltens durch Budgetierung.
Bei den Selektivverträgen stellten die Rabattverträge einen „dominaten Vertragstyp“ dar. Den Zahlen nach sind die Rabattverträge ein Erfolgsmodell“, sagte Wegener. „Mit Stand April 2010 gab es 12.211 Rabattverträge, an denen 116 Krankenkassen und 141 pharmazeutische Unternehmer beteiligt waren.“ Das Gros der Rabatte betraf dabei Generika, die mit einem Festbetrag belegt waren. Die Einschätzung, dass mit dem AMNOG selektivvertragliche Möglichkeiten nach den §§ 130 b, 130 c sowie 140 b gestärkt würden, kann Wegener nicht teilen. Im Gegenteil: „Meiner Ansicht nach haben wir eher verminderte Verhandlungsspielräume.“ Die Anhebung der gesetzlichen Herstellerabschläge von 6 auf 16 Prozent für verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Festbetrag sowie das Preismoratorium, das bis zum 31.12.2013 gilt, nannte der BPI-Vorsitzende als Gründe. Darüber hinaus erwarte er eine zusätzliche Einschränkung durch die vorgeschalteten zentralen Verhandlungen über den Erstattungsbetrag nach § 130 b SGB V. Zwar sei die Weiterentwicklung noch schwer vorhersehbar. „Aber der Impuls für selektive Vertragsoptionen ist eher fraglich“, so Wegeners Resümee. <<
Autorin: Jutta Mutschler