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Rückgang bei Antibiotikaverordnungen

04.11.2020 12:11
Eine bessere Kommunikation zwischen Arzt und Patient, unterstützt durch gezielte Fortbildungen der Ärzte sowie Patienteninformationen wie Flyer, Praxisposter oder einem Infozept (statt Rezept) mit Tipps zum Umgang mit Erkältungskrankheiten, können entscheidend dazu beitragen, die Verordnungsrate von Antibiotika bei Atemwegserkrankungen zu senken. Dies zeigt eine aktuelle Studie zum Innovationsfondsprojekt „RESISTenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegsinfektionen“.

Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) hat gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und acht Kassenärztlichen Vereinigungen (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein, Saarland und Westfalen-Lippe) das Projekt vom 1.7.2017 bis 30.6.2019 bei 2.460 Haus-, Kinder- und HNO-Ärzten sowie bei Fachärzten für Innere Medizin durchgeführt. Versorgt wurden mehr als 1 Million Ersatzkassenversicherte der TK, BARMER, DAK-Gesundheit, KKH, hkk und HEK. Das Projekt wurde vom Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Rostock sowie dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) wissenschaftlich begleitet.

Während in der Wintersaison 2016/2017 noch 29 Prozent der Patienten von Haus-, Kinder- und HNO-Ärzten mit akuten Atemwegsinfekten ein Antibiotikum erhielten, waren es in der Wintersaison 2018/2019 nur noch 24 Prozent. Dieser ausgesprochen positive Trend machte sich bei den RESIST-Teilnehmern sogar noch stärker bemerkbar. Sie konnten ihre Verordnungsrate im gleichen Zeitraum um 22 Prozent, d. h. von 26 Prozent in der Wintersaison 2016/2017 auf 20 Prozent in der Saison 2018/2019 senken. Bezogen auf die gesamte Region (Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer) war unter den „RESIST-KVen“ der stärkste Rückgang in Westfalen-Lippe (relativer Rückgang: 21 Prozent) und Saarland (relativer Rückgang: 18 Prozent) festzustellen.

Der rationale Einsatz von Antibiotika bezieht sich jedoch nicht nur auf die Quantität des Einsatzes, sondern auch auf die Qualität der Wirkstoffauswahl, wobei für RESIST der Ansatz „so schmal wie möglich, so breit wie nötig“ verfolgt wurde. Ziel ist also nicht die komplette Abkehr von einem Einsatz von Breitspektrumantibiotika, sondern die kritische Abwägung der Indikationsgerechtigkeit. Dies ist im Rahmen von RESIST offensichtlich, da sich bei den Teilnehmern insgesamt eine Verschiebung zu Wirkstoffen mit einem schmaleren Wirkspektrum beobachten lässt.

Resistenzbildung ist Herausforderung für globale Gesundheit

Nach Einschätzung von Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek,  „ist die Resistenzbildung bei Antibiotika die große Herausforderung für die globale Gesundheit. Mit rund 39 Millionen Verordnungen pro Jahr fallen gut 85 Prozent der Verschreibungen in Deutschland auf den ambulanten Sektor, überwiegend verordnet durch Haus-, Kinder-, HNO-Ärztinnen und Ärzte bei akuten Atemwegserkrankungen.“ RESIST habe eindrucksvoll bestätigt, dass durch gute Kommunikation und Information die Verordnungszahlen zurückgehen. „Wir werden uns daher dafür einsetzen, dass das Konzept zukünftig dauerhaft in allen KV-Regionen und für alle GKV-Versicherten angeboten werden kann.“ Nun stelle sich aber auch die Frage, wie dieser erfolgreich evaluierte Versorgungsansatz in die Regelversorgung überführt werden könne. Erste Schritte seien laut Elsner bereits erfolgt: Seit Herbst letzten Jahres stehen die Materialien, die im Projekt entwickelt und eingesetzt wurden, allen interessierten Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung. Auch die Online-Fortbildung zum Arzt-Patienten-Gespräch sowie zur rationalen Antibiotikatherapie stehe als akkreditierte Fortbildungsmaßnahme ebenfalls allen zur Verfügung. „Wir hoffen sehr, dass auch die insgesamt 9 CME-Punkte, die bei erfolgreicher Absolvierung der ärztlichen Fortbildung vergeben werden, eine zusätzliche Motivation zur Durchführung sind.“

Als nächste Schritte nannte Elsner die Weiterleitung der Evaluationsergebnisse und dem Abschlussbericht an den Innovationsausschuss, der dann drei Monate Zeit habe, eine Empfehlung zur Überführung des Konzeptes in die Regelversorgung abzugeben. „Wir hoffen auf eine positive Empfehlung und wünschen uns, dass wir das Konzept dauerhaft in allen KV-Regionen und für alle GKV-Versicherten anbieten können“, so Elsner.
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, hob die hohe Akzeptanz der beteiligten Ärzte an dem Projekt hervor. Bei RESIST handle es sich um das bisher größte, unter realen Versorgungsbedingungen umgesetzte Projekt. Es sei sowohl bei den beteiligten Ärztinnen und Ärzten als auch den Medizinischen Fachangestellten auf große Akzeptanz gestoßen. „Das freut mich sehr, noch mehr aber freuen mich die Ergebnisse: So konnte RESIST in einem im internationalen Vergleich klaren Niedrigverordnungsland wie Deutschland mit generell sinkenden Verordnungszahlen eine weitere Senkung der Verordnungszahlen erzielen: ein Minus von 3,1 Prozent bei Atemwegsinfekten.“

Prof. Attila Altiner, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Rostock, hob bei den Evaluationsergebnissen besonders hervor, dass eine gute Arzt-Patient-Kommunikation zu messbar besserer Medizin führe. „Das ergebnisoffene Ansprechen der Erwartungen seitens der Patienten ist nicht trivial. RESIST zeigt, dass dies in der normalen Routineversorgung möglich ist, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Die aktuelle Corona-Pandemie mache deutlich, wie wichtig gerade jetzt der Ansatz des Projektes ist. In vielen Ländern, in denen ärztliches Handeln traditionell wenig reflektiert werde, sei es gerade zu Beginn der virusbedingten Covid-19-Pandemie zu einem irrationalen Anstieg von Antibiotikaverordnungen gekommen. „Wenn die Sorgen der Menschen angemessen, transparent und realistisch im Arzt-Patienten-Gespräch berücksichtigt werden, passiert so etwas nicht.“

Nach Aussage von Maike Schulz vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland habe die Evaluation gezeigt, „dass Vertragsärzte in Deutschland insgesamt bereits ein rationales Anti-
biotikaverordnungsregime verfolgen.“ Die Unterstützung durch die im RESIST-Projekt etablierten Maßnahmen und Materialien konnte aber zu einer weiteren Optimierung der Antibiotikaverordnungen beitragen. Insbesondere bei Infektionen der unteren Atemwege reduzierten die teilnehmenden Ärzte den Antibiotikagebrauch stark. „Für Patienten mit Krankheiten, zu deren Behandlung die Gabe eines Antibiotikums notwendig ist, wurden die Antibiotikaverordnungen hingegen nicht reduziert. Insgesamt konnte so der indikationsgerechte, rationale Antibiotikaeinsatz durch RESIST gestärkt werden“, resümierte Schulz.

Ausgabe 06 / 2020