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Zero Nachhaltigkeit, viel Bürokratie

10.09.2012 15:10
Was sieht aus wie ein unförmiger Muffin und erhitzt ununterbrochen die gesundheitspolitischen Gemüter? Es ist die prognostizierte Alterspyramide von 2050. Die demografischen Vorhersagen legen nahe, dass das derzeitige Gesundheitssystem der künftigen Herausforderung nicht gewachsen ist. Dafür haben nun das Institut für Mikrodaten-Analyse (IfMDA) und die PremiumCircle Deutschland GmbH einen Beleg. Seit einem knappen Jahr arbeiten sie an einem gemeinsamen Forschungsprojekt zur „GKV/PKV-Systemgrenze‘‘. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind ernüchternd, sehen die Autoren doch das GKV-System in einer Sackgasse angelangt.

>> Das Projekt der Kooperationspartner zu Grenzen des PKV/GKV-Systems gliedert sich in zwei Teile. Den ersten Teil bildet die „Bestandsaufnahme“, die mit einer jüngst veröffentlichten Studie dokumentiert wird. Im Anschluss daran soll der zweite Teil - die „Reformagenda“ - folgen. In der „Bestandsaufnahme“ gehen die Forscher auf fundamentale Fragestellungen der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung ein, und zwar im Rückblick von 1950 bis heute. Sie beleuchten die Fragen der Finanzierung, der Nachhaltigkeit sowie des Leistungskatalogs und analysieren diese aus empirischer, ordnungs- und gesundheitspolitischer Perspektive.
Vor allem sei zu beobachten, stellt einer der Studienautoren einleitend fest, „dass es der PKV immer schwerer fällt, ihr Geschäftsmodell als vorteilhaft zu präsentieren“. Im Gegensatz dazu genieße jedoch die GKV eine positive öffentliche Wahrnehmung. Grund seien nicht zuletzt die generierten Überschüsse, die sich als Rückstellungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Bilanzen der Krankenkassen wiederfinden würden. Doch seien diese, betont Dr. Thomas Drabinski, Institutsleiter des IfMDA, ordnungspolitisch mit Steuersubventionen (Bundeszuschüssen) erkauft. Ohne diese Subventionen stünde die GKV 2012 mit acht Milliarden Euro im Defizit. Darüber hinaus finde seit Einführung des Gesundheitsfonds ein Konzentrationsprozess hin zur Einheitskasse statt, der „versorgungsseitig die Staatsmedizin nach sich ziehen wird“, folgert Drabinski. Der Experte führt aus, dass die GKV auch 2012 durch den Morbi-RSA des Bundesversicherungsamts rechnerische Überschüsse in Höhe von rund 6,46 Milliarden anhäufen wird. Rückblickend stellt er fest, dass sich der Generationenkonflikt zwischen Rentnern und Erwerbstätigen seit Mitte der 60er Jahre trotz rund 150 wichtiger Gesetzes- und Verordnungsgebungen signifikant verschärft hat. Alleine im Jahr 2012 müssten seiner Rechnung nach Erwerbstätige 24,145 Milliarden Euro zuviel in die GKV einzahlen.
Eine der ernüchternden Feststellungen des Institutsleiters lautet: „Die GKV ist in ihrer bestehenden Struktur ein System ohne Nachhaltigkeitsperspektive und ohne Selbstheilungskräfte, da in den letzten 50 Jahren vor allem Gesundheitsbürokratie-Mechanismen ausgebaut wurden.“ Drabinsikis Ansicht nach werden Versicherte in der GKV „unmündig gehalten“, das GKV-Finanzierungskonzept stamme aus dem vorletzten Jahrhundert. Seine Kritik geht noch weiter: Das SGB V sei zu einem Sammelsurium ordnungs- und parteipolitischer Ideen, Kompromisse und Gesundheitsmythen geworden. In der GKV herrsche Staatsversagen, Wettbewerb finde nur auf dem Papier statt. Drabinski ruft daher zur Reform auf: „Der Gesetzgeber hat seit Jahrzehnten das Rentnerproblem in der GKV verdrängt und die immer weiter steigenden Lasten unter dem Deckmantel des Generationenvertrags den Erwerbstätigen aufgebürdet. Eine grundlegende Reform der GKV ist unabdingbar, damit aus dem GKV-Solidarprinzip kein strukturzerstörendes Element wird.“
Die Kritik richtet sich gleichermaßen gegen die PKV: Versicherte und vor allem nicht-versicherte Leistungen seien für den PKV-Versicherten im Wettbewerbsvergleich zwischen den PKV-Unternehmen nicht nachvollziehbar. „Für 32 relevante PKV-Unternehmen können im Neukundengeschäft 208 Tarifsysteme mit insgesamt 1.567 Kombinationen in Bezug auf den abgesicherten Leistungskatalog abgeleitet werden: Die Kombinatorik (z.B. Alter und Geschlecht) führt zu einem Versicherungsmarkt mit mindestens 250.000 Preisen“, heißt es in der Pressemitteilung anlässlich der Veröffentlichung der Studienergebnisse.
Darüber hinaus würden selbstständige Makler, Pools, Direktvertriebe und sonstige unternehmenseigene Vertriebe die PKV-Policen im Vertriebsmarkt in der Regel ohne Qualifikationsnachweis und -anforderungen absetzen. Da der Vertriebsmarkt häufiger provisionsorientiert und seltener kundenorientiert arbeite, würden im Ergebnis PKV-Billigtarife und andere PKV-Tarife mit teilweise existenziellen Leistungsausschlüssen im Krankheitsfall verkauft, heißt es dort weiter. Auch hier rufen die Studienautoren zum Umdenken auf: Eine grundlegende Neuordnung des Vertriebsmarktes und auch der Provisionen sei unumgänglich; Die Abschlussprovisionen sollten ihrer Ansicht nach auf vier Monatsbeiträge gesenkt werden, Dienstleistungsvergütungen streng reguliert und überwacht, und Bestandsbetreuungsprovisionen von bis zu sechs Prozent umgesetzt werden. Der zweite Studienautor, Claus-Dieter Gorr, Geschäftsführender Gesellschafter PremiumCircle Deutschland GmbH, resümiert: „Staatsversagen hat in der PKV zu Marktversagensbereichen geführt. Denn die Ausgestaltung der Leistungskataloge und der Vertriebsmarkt haben sich in den letzten 20 Jahren wegen fehlender politischer Leitplanken verselbstständigt.“ Zur Korrektur seien transparente Pflichtangaben über den jeweils versicherten Leistungskatalog sowie Mindestkriterien als Richtschnur für Versicherungsbedingungen umzusetzen sowie Provisionsexzesse zu beenden, fordert der Experte.
„Die GKV hat ein grundlegendes Nachhaltigkeitsproblem, die PKV ein Transparenz- und Leistungskatalogproblem“, so lautet das Schlussurteil der Experten zum Status quo. „Soll das duale System aus GKV und PKV aufrecht und für die Versicherten auf dem heutigen Leistungsniveau gehalten werden, sind umfassende Reformmaßnahmen umzusetzen“, fordern sie. In der GKV könne das Staatsversagen nur durch große Systemänderungen wie etwa eine grundlegende Finanzierungsreform, und durch eine „Mündigmachung“ der Versicherten beseitigt werden, sind sie darüber hinaus überzeugt. In der PKV könnten hingegen, so die Experten weiter, Staats- und Marktversagensbereiche durch Mindestkriterien und eine Sequenz weiterer Reformschritte abgebaut werden. <<

Ausgabe 05 / 2012