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Verbände üben Kritik am „Pharma-Paket“

26.04.2023 17:44
Die Europäische Kommission hat am 26. April 2023 ihr sogenanntes „Pharma Package“ vorgelegt. Die Verbände der Pharmaindustrie sehen die darin enthaltenen Vorschläge überwiegend kritisch. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Dr. Hubertus Cranz, fasste seine Position mit „viel Schatten, wenig Licht“ zusammen, der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Dr. Hans-Georg Feldmeier, warnte vor einer Schwächung des Pharmastandorts, und Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) kommentierte die Inhalte mit „für eine Branche, die global aufgestellt ist, leider überhaupt nicht gut“.

Nach Ansicht des BAH-Hauptgeschäftsführers Dr. Hubertus Cranz werden „begrüßenswerte administrative Erleichterungen leider durch neue Auflagen zunichte gemacht“. Besonders problematisch sei die Möglichkeit, bei einer nicht als ausreichend angesehenen Umweltverträglichkeitsprüfung die Zulassung eines Arzneimittels zu widerrufen oder abzulehnen. „Innovative Arzneimittel können dadurch nicht zur Verfügung stehen; etablierte Medikamente vom Markt verschwinden oder nur schwer zugänglich sein“, so Cranz.

Die strengeren Verpflichtungen hinsichtlich der Lieferfähigkeit von Arzneimitteln und der Meldungen von Engpässen würden die Versorgungssicherheit nicht erhöhen, denn dafür seien umfassende Lösungsansätze und eine Änderung der Vergütungsstrukturen notwendig. Problematisch sind für Cranz auch die Vorschläge zur Änderung der Schutzfristen für geistiges Eigentum.

Erfreulich sei dagegen der Einstieg in die elektronische Packungsbeilage. Eine gedruckte Form sollte nach Auffassung des BAH baldmöglichst in allen EU-Mitgliedsstaaten nicht mehr verpflichtend sein. Wichtig sei weiterhin, dass zukünftig kleinere Produktanpassungen unbürokratisch vorgenommen werden können.

Der BPI warnt vor den Auswirkungen der von der EU-Kommission vorgelegten Legislativvorschläge: „Die EU-Pläne zur Überarbeitung der Arzneimittelgesetzgebung schwächen den Pharmastandort in seiner Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit“, so der Vorstandsvorsitzende Dr. Hans-Georg Feldmeier. „Grundsätzlich begrüßen wir das Vorhaben der EU-Kommission, nach gut zwanzig Jahren die europäische Arzneimittelgesetzgebung zu überarbeiten und an den heutigen Stand der Wissenschaft anzupassen. Besonders in Krisenzeiten von Lieferengpässen, Rohstoffknappheit, Inflation und geopolitischen Kriegen zeigt sich, wie wichtig es ist, dass Arzneimittel verfügbar und erschwinglich sind. Die Logik ist einfach: Will man die Arzneimittelversorgung in allen EU-Mitgliedstaaten verlässlich sicherstellen, müssen Forschung, Entwicklung und Produktion in Europa auf industrie- und standortfreundliche Rahmenbedingungen treffen. Doch die neuen Legislativvorschläge der EU-Kommission könnten künftige Investitionen und Innovationen in Europa verhindern“, betont Feldmeier.

Pharmazeutische Unternehmen benötigten für Investitionsentscheidungen Planungs- und Rechtssicherheit. Eine Aufweichung des Unterlagenschutzes und damit eine Reduzierung des Status-Quo werde bei den Unternehmen jedoch nicht dazu führen, Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln in der EU voranzutreiben. Auch wenn es ein „Balanceakt“ sei, müsse die EU-Kommission einen Rechtsrahmen schaffen, der für die mehr als 90 Prozent der klein- und mittelständisch geprägten Unternehmen in Deutschland, Forschung, Entwicklung und Produktion am Standort wirtschaftlich leistbar mache. Es reiche dabei nicht aus, wenn der politische Wille zwar vorhanden sei, doch Anreizsysteme im Markt fehlten. „Um die noch hierzulande ansässigen Produktionsstätten zu halten und gleichzeitig Unternehmen auch in Zukunft stärker in der EU anzusiedeln, bedarf es langfristiger Anreize. Schnellere Genehmigungsverfahren oder gezielte staatliche Fördermaßnahmen und -mittel sind bei der Standortfrage im globalen Wettbewerb entscheidend. Überbordende Bevorratungs-, Melde- oder Transparenzpflichten schrecken die Unternehmen hingegen ab“, so der BPI-Vorsitzende.

Der BPI weist zudem darauf hin, dass administrative Anforderungen und finanzielle Belastungen im Interesse der Versorgungssicherheit vermieden werden sollten. Andernfalls wären vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie mittelständische Unternehmen (Mid Caps) schnell vom bürokratischen und finanziellen Mehraufwand überlastet und überdächten womöglich ihre Zulassungsprojekte und Portfolios. „Die europäischen Gesetzgeber müssen jetzt dafür Sorge tragen, ein regulatorisches System zu schaffen, das die besondere Branchenstruktur berücksichtigt und den Pharmastandort wettbewerbsfähig und zukunftssicher macht“, betont Feldmeier.

Von einer „vertanen Chance“ Chance sprechen der vfa und die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Es umfasse eine Vielzahl von Maßnahmen, die darauf zielen, die Entwicklung neuer Arzneimittel zu stimulieren. Dabei solle der Unterlagenschutz als Anreizinstrument für eine gleichmäßige medizinische Versorgung in Europa genutzt werden und variieren: Im Ergebnis könne der Unterlagenschutz dann kürzer sein als bisher. Damit werde der Schutz des geistigen Eigentums bei innovativen Medikamenten in Europa geschwächt.

„In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Biowissenschaften abgenommen, während andere Teile der Welt aufgestockt haben: Die Investitionen in die pharmazeutische Forschung und Entwicklung sind im weltweiten Vergleich um 25 Prozent zurückgegangen. Die Gesamtwirkung der heute vorgelegten Vorschläge schwächt die Rechte am geistigen Eigentum und kann nur zu einem weiteren Rückgang der Forschungsinvestitionen führen, die sich zunehmend in die USA und nach China verlagern. Das Gleiche gilt übrigens für klinische Studien und Produktion,“ sagt EFPIA Generaldirektorin Nathalie Moll.

Die Gesetzgebung wäre eine nach Molls Auffassung eine einmalige Chance, den europäischen Rechtsrahmen zukunftssicher zu machen, die Patienten zu schützen und eine Branche zu unterstützen, die für die europäische Handelsbilanz mehr wert sei als jede andere. Stattdessen sei ein kompliziertes System zu sehen, das Hindernisse für die Entwicklung von Arzneimitteln schaffe, die es nirgendwo sonst auf der Welt gebe und die sich als Stolperstein für den medizinischen Fortschritt erweisen würden.

„In Kontinentaleuropa etabliert sich ein Regulierungsmuster, das sich vor allem durch eines auszeichnet: Durch Kompliziertheit! Das haben wir im letzten Jahr bei der deutschen Gesetzgebung im Gesundheitswesen (GKV-FinStG) gesehen und jetzt sehen wir es bei dem Pharma-Maßnahmenpaket der EU wieder. Europa koppelt sich damit zunehmend von internationalen Entwicklungen ab und leistet sich obendrein noch den Luxus, keine Signale für einen innovationsfreundlichen Standort zu setzen. Das ist für eine Branche, die global aufgestellt ist, leider überhaupt nicht gut,“ kommentiert vfa-Präsident Han Steutel die Nachrichten aus Brüssel.