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Das Thema Arzneimittelpreise ganzheitlich angehen

03.07.2023 10:05
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für neue und damit patentgeschützte Arzneimittel haben sich innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Das ist ein Ergebnis des neuen Reports „Arzneimittel-Fokus – Pillen, Preise und Patente“, den die Techniker Krankenkasse (TK) gemeinsam mit dem aQua – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH (aQua-Institut) erstellt und veröffentlicht hat. Lagen die Bruttoausgaben für patentgeschützte Arzneimittel im Jahr 2018 noch bei rund 14,6 Milliarden Euro, gab die GKV 2022 rund 28 Milliarden Euro aus – das entspricht fast der Hälfte der Arzneimittelausgaben insgesamt. Dabei machen diese Medikamente den Berechnungen nach nur etwa sechs Prozent des Gesamtverbrauchs aus.

„Die Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel steigen nahezu ungebremst. Dabei ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage diese extrem hohen Preise für neue Medikamente zustande kommen, da die Hersteller die Preise zunächst völlig frei festsetzen können, die Forschungs- und Entwicklungskosten jedoch überhaupt nicht transparent sind“, kommentiert
Dr. Jens Baas, Vorsitzender des TK-Vorstands die Ergebnisse. Der Report zeige, „dass die Versichertengemeinschaft viel Geld für angebliche Arzneimittelinnovationen zahlt, die jedoch gar keine echten Innovationen sind – und dieses Geld wird künftig fehlen, um tatsächliche Innovationen zu bezahlen“.

Im aktuellen TK-Report werden die Marktstrategien der Pharmaindustrie genauer beleuchtet. So zum Beispiel wie der Patentschutz möglichst lange aufrechterhalten werde, um von der damit verbundenen Marktexklusivität und den hohen Preisen zu profitieren. „Diese Strategien sind zweifelsfrei legal, doch in einem solidarisch finanzierten System sollten sie unserer Ansicht nach nicht möglich sein“, führt Baas weiter aus.

Exemplarisch wird diese Strategie dargestellt bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS): Als sich in ersten Studien zeigte, dass der Wirkstoff Rituximab, der bereits lange in der Krebsbehandlung zugelassen war, auch gegen MS wirkt, gab der Hersteller laut den Autoren keine weiteren Studien für eine Zulassung in der Indikation MS in Auftrag, sondern brachte etwas später einen leicht abgewandelten Wirkstoff (Ocrelizumab) neu auf den Markt, der dann im Gegensatz zu Rituximab dem Patentschutz unterlag. Prof. Achim Berthele, leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der TU München, behandelt unter anderem MS-Patienten und sagt dazu: „Man könnte sagen: Die jetzt verfügbaren Wirkstoffe sind sogenannte Me-Too-Präparate von Rituximab, alles basiert auf diesem Wirkstoff, mit dem wir eigentlich gute Erfahrungen gemacht haben. Dieser Neustart wäre inhaltlich nicht notwendig gewesen. In der Leitlinie zur MS-Behandlung wird dem Rechnung getragen, sie macht zwischen den Wirkstoffen Rituximab und Ocrelizumab keinen Unterschied.“ 

Als weitere Strategie benennt der Report das sogenannte Evergreening, bei dem durch geringfügige Änderungen die Patentdauer eines Arzneimittels verlängert werde.

Dringender Handlungsbedarf
Besonders hohe Preissteigerungen zeigen sich laut TK-Report bei der Strategie, ein Medikament, das für die Behandlung einer Krankheit zugelassen ist, vom Markt zu nehmen, um es dann für eine andere Indikation erneut auf den Markt zu bringen – und das zum Vielfachen des ursprünglichen Preises. So stieg der Preis für den Wirkstoff Alemtuzumab um das 42-Fache, der des Wirkstoffs Ofatumumab um das 23-Fache – beide Wirkstoffe waren zunächst zur Behandlung von Krebs zugelassen und kamen dann als Arzneimittel zur Behandlung von MS auf den Markt. 

Die Ergebnisse des Reports machen nach Einschätzung von Dr. Jens Baas deutlich, dass von Seiten der Politik gehandelt werden müsse: „Die Politik muss das Thema Arzneimittelpreise ganzheitlich angehen, mit dem Ziel, zu fairen Preisen und fairen Gewinnen zu kommen.“


Ausgabe 04 / 2023