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Digitale Ignoranz richtet enormen Schaden an

04.05.2022 15:14
Das neue Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) wurde Anfang März an Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, überreicht. Das Gutachten offenbart unter anderem einen erheblichen Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. „Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Digitalisierung weit hinter anderen europäischen Ländern zurück. Gerade die aktuelle Coronakrise hat schonungslos aufgezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem massive Defizite bei der Digitalisierung aufweist“, so Prof. Dr. Irene Bertschek, Forschungsbereichsleiterin am ZEW in Mannheim und Mitglied der Expertenkommission.

Bertschek verweist auf die großen Innovations- und Wertschöpfungspotenziale, die mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verbunden seien: „Unsere Analyse zeigt, dass digitale Technologien die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern können. Zudem eröffnet die zunehmende Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten in Verbindung mit modernen digitalen Analyseverfahren neue und weitreichende Möglichkeiten für eine stärker personalisierte Diagnostik und Therapie.“ Diese hohen Potenziale würden in Deutschland bisher jedoch verschenkt. So stellt die Expertenkommission fest, dass die Struktur des Gesundheitssys-tems in Deutschland ein zentrales Hemmnis für die Digitalisierung darstelle. „Die Vielzahl von Akteuren mit verteilten Verantwortlichkeiten behindert die Digitalisierung im Gesundheitswesen ungemein“, so Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission. Zudem erschwere die bisher noch geringe Akzeptanz bei Leistungserbringern die flächendeckende Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen. „Bei Gesundheitsdaten besteht, mehr als in anderen Bereichen, ein Spannungsverhältnis zwischen IT-Sicherheit und Datenschutz auf der einen und den Potenzialen der Datennutzung auf der anderen Seite,“ so Cantner. „Innovationen im Bereich der personalisierten Medizin und weitreichende Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung werden so ausgebremst.“

Aufgrund der angeführten Hemmnisse empfiehlt die Expertenkommission der Bundesregierung, eine „Digitalisierungsstrategie rasch zu entwickeln und umzusetzen und dabei alle relevanten Akteursgruppen des Gesundheitswesens einzubeziehen“, hebt Irene Bertschek hervor. „Um die Interoperabilität zwischen IT-Systemen zu gewährleisten, muss folglich insbesondere der Etablierung interoperabler Standards im Rahmen der Strategie ausreichend Raum gegeben werden.“

Vor dem Hintergrund der bestehenden Hemmnisse bei der Weitergabe und Nutzung von Gesundheitsdaten „befürwortet die Expertenkommission ausdrücklich das im Koalitionsvertrag angekündigte Gesundheitsdatennutzungsgesetz zur besseren wissenschaftlichen Nutzung von Gesundheitsdaten“, so Bertschek. Dabei sei die DSGVO-konforme Nutzung von Gesundheitsdaten für Wissenschaftler:innen so zu gestalten, dass der administrative Aufwand für diese möglichst gering ist. „Um die mit den Daten aus der elektronischen Patientenakte verbundenen Potenziale – wie zum Beispiel passgenaue Diagnosen – ausschöpfen zu können, sollte die Möglichkeit der Freigabe der Daten, insbesondere für Forschungszwecke, möglichst niederschwellig ausgestaltet werden“, so Uwe Cantner.

Ausgabe 03 / 2022