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Verständigungs- und Verständnisschwierigkeiten

01.03.2021 14:56
Lange Sätze, Schachtelsätze, Wortungetüme und nicht erklärte Fachbegriffe erschweren den Bürgerinnen und Bürgern die Aufnahme von Informationen zur Corona-Pandemie. Das ist das Ergebnis einer Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim in Stuttgart. Sie haben alle 1.362 Pressemitteilungen der Bundesregierung analysiert, die im Zeitraum März 2020 bis Januar 2021 mit Corona-Bezug erschienen sind.

„In Krisenzeiten suchen Menschen Informationen und Orientierung. Regierungen sollten beides liefern. Und zwar in einer auch für Laien verständlichen Form. Informationen zur Corona-Pandemie und zu den staatlichen Schutzmaßnahmen sollten besonders verständlich sein. Sie sind es aber nicht“, meint der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim.
Mit Hilfe einer Analyse-Software sucht der Wissenschaftler mit seinem Team unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen und zusammengesetzten Wörtern. Anhand solcher Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ (HIX). Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich). Die Pressemitteilungen der Bundesregierung sind im Schnitt relativ unverständlich (HIX= 7,4). „Die Verständlichkeit sollte deutlich größer sein. Anzustreben ist ein Wert von 14“, sagt der Kommunikationsexperte. Thematisch sind die Pressemitteilungen zum Themenbereich „Soziales und Alltag“ am unverständlichsten (HIX= 7,0). Formal am verständlichsten sind die Pressemitteilungen des Bundes zum Themenbereich „Kitas, Schule und Uni“ (HIX= 8,4).

Die Verständlichkeit der Pressemitteilungen ist laut Studie seit März 2020 nicht besser geworden. Sie schwankte auf Monatsbasis zwischen 6,9 und 8,4. Die häufigsten Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln sind dabei Fremdwörter und Fachwörter, die nicht erklärt würden, zusammengesetzte Wörter sowie lange „Monster- und Bandwurmsätze“. Auch seien Schachtelsätze mit 40 bis 50 Wörtern nach Aussage von Kerstin Keller von der Uni Hohenheim keine Seltenheit. „Dabei gilt: Ein Gedanke, ein Satz“. Oft fänden sich aber vier oder fünf Gedanken in einem Satz, was die Aufnahme der Informationen erschwere.

Neben den langen Sätzen stellten zahlreiche Fremd- und Fachwörter vor allem für Leser ohne Vorwissen eine große Verständlichkeitshürde dar: „Corona Matching Fazilität“, „Corona-Hackathon“, „Point-of-Care-Antigentest“, „Coronavirus Digital Content Hub“ – um nur einige Beispiele zu nennen. Einen ähnlichen Effekt haben nach Einschätzung der Experten Wortzusammensetzungen. Einfache Begriffe würden so zu Wortungetümen: „WissZeitVG-Befristungsdauer-Verlängerungs-Verordnung“, „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“, „COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz“. Und auch nicht alle Corona-Wortschöpfungen seien selbsterklärend wie beispielsweise: „Corona-Care“, „Covid-19 Evidenz-Ökosystem“, „Corona-Toolbox“.

„Unverständlichkeit hat viele Gründe“, erklärt Brettschneider. „Zeitdruck, Gewöhnung an abstraktes Verwaltungsdeutsch, vor allem aber das eigene Fachwissen von Experten.“ Diesen sei meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ihren Fachjargon nicht verstehe. „Wir nennen das den ‚Fluch des Wissens’“, so der Kommunikationswissenschaftler. Es gebe aber auch Pressemitteilungen, in denen Fachbegriffe beim ersten Auftreten erläutert werden.

Ausgabe 02 / 2021