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Patienten sollen über Nutzung ihrer Daten selbst entscheiden

06.07.2016 12:21
„Die Patienten sollten selbst über die Nutzung ihrer persönlichen Gesundheitsdaten entscheiden dürfen. Immerhin wünschen sich laut einer aktuellen Bitkom Studie 87 Prozent der Bundesbürger Zugriff auf ihre Befunde, Verordnungen und andere Gesundheitsdaten. Dazu benötigen sie den Zugang zu ihren vollständigen Gesundheitsdaten auch in elektronischem Format“, forderte Professor Dr. Volker Ulrich, Präsident der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen e.V. (GRPG) im Rahmen eines Pressegesprächs zum Auftakt einer gemeinsamen Tagung mit Elsevier Health Analytics in Berlin.

Patienten hätten im Übrigen ein Anrecht darauf und könnten damit in die Lage versetzt werden, endlich zum Gesundheitsmanager in eigner Sache zu werden.

„Deutschland ist führend bei der Industrie 4.0. Bei der Revolution der Gesundheitsversorgung durch neue Methoden der Datennutzung wie „Precision Medicine“ verlieren wir allerdings den Anschluss und lassen damit ein ungeheures Potenzial an Präventions- und Therapiemöglichkeiten ungenutzt“, ergänzte Olaf Lodbrok, Managing Direktor von Elsevier Health Analytics. Wichtig für die Weiterentwicklung der Digitalisierung des Gesundheitswesens sei eine einheitliche Patientenakte, auf der die klassischen medizinischen Daten wie Medikamente oder Diagnosen enthalten seien. „Es sollten darüber hinaus aber auch Daten einfließen können, die über einen Fitness-Tracker erhoben werden“, so Lodbrok.

"Menschen nutzen den technischen Fortschritt, wenn sie sich davon einen Nutzen versprechen oder auch nur Spaß daran haben. Das gilt natürlich auch für den Gesundheitsbereich. Aufhalten lässt sich das nicht. Aber da es sich um besonders sensible Daten handelt, ist es umso wichtiger, dass sich dies im Wirkungskreis des deutschen Datenschutzrechtes abspielt", postulierte Dr. Andreas Meusch, Direktor des Wissenschaftlichen Instituts der Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG).

Technisch sei man bereits heute in der Lage, durch die Analyse genau dieser Gesundheitsdaten mittelfristige Krankheitsrisiken mit großer Zielgenauigkeit zu prognostizieren. Ebenso könnten bei bestehenden Diagnosen kurzfristig schwere Ereignisse wie Krankenhauseinweisungen, aber auch Amputationen oder Transplantationsbedarf patientenindividuell vorausgesagt werden, führte Lodbrok weiter aus. Damit böten sich ganz neue Möglichkeiten, um die Gesundheitsversorgung von einem Reparaturbetrieb zu einem proaktiven Gesundheitsmanagement weiter zu entwickeln. Würden zu den Routinedaten der Krankenversicherung weitergehende private Gesundheitsdaten vom Fitnessstudio über Wearables bis zu Genomanalysen genutzt, dann könne der Bürger mit Unterstützung seines Arztes seine Behandlung proaktiv und souverän mitgestalten und anhand seines persönlichen Risikoprofils auch seinen Lebensstil neu ausrichten.

„Die Entscheidung über eine personenbezogene Datennutzung sollte durch den erfolgen, der auch den Nutzen einer Datenverwendung hat – der Versicherte und Patient“, forderte auch Hannelore Loskill, stellvertretende Vorsitzende der BAG Selbsthilfe, Vereinigung der Selbsthilfeverbände behinderter und chronisch kranker Menschen und ihrer Angehörigen in Deutschland. Solange die Politik und die Selbstverwaltung als Sachwalter der Versicherten fungiere, könne diese nur den kleinsten gemeinsamen Nenner verfolgen. Dies sei aktuell in der Regel ein weitgehender Ausschluss der Datennutzung.

Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen die Patienten und die Akteure im Gesundheitswesen mehr Rechtssicherheit: Das aktuell geltende „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ als Grundprinzip des Datenschutz werde dem hochdynamischen Regelungskreis nicht gerecht. Daher müsse die elektronische Patientenakte als Schlüsseltechnologie schnellstmöglich als Standard umgesetzt werden forderten die Podiumsteilnehmer. Hier sei der Gesetzgeber gefordert.

Auch die Versorgungsforschung könne davon erheblichen profitieren. So sollten anonymisierte Gesundheitsdaten unter Wahrung hoher Datenschutzstandards und unter Prüfung des berechtigten Interesses öffentlich zugänglich gemacht werden. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Datensparsamkeit könne dies im Zuge einer kontinuierlich gezogenen Stichprobe der Versicherten erfolgen, regte Ulrich an.
"Für die Versorgungsforschung brauchen wir keine personalisierten Daten. Da dies vielen nicht bewusst ist, werden häufig Äpfel und Birnen in einen Topf geworfen. Dadurch laufen Diskussionen nicht selten in die falsche Richtung", so WINEG-Chef Meusch.

Für den Versicherten müssten konkrete Nutzungsoptionen geschaffen werden, wobei es Aufgabe der Selbstverwaltung sei, dies rechtlich und technisch umzusetzen. Technisch gäbe es bereits Lösungen, welche differenzierte Freigaben und Genehmigungen der Patienten ermöglichen, so Lodbrok. „Warum sollen Versicherte ihre Gesundheit und Zukunft nicht selbst in die Hand nehmen und ihre Gesundheit steuern, durch Apps, die auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen, einschließlich aktueller Labordaten oder Gentests?“
Mit dem kürzlich verabschiedeten E-Health-Gesetz könnten nun weitere Anwendungen eingeführt werden, die eine bessere Versorgung der Patienten gewährleisten, etwa die Einführung eines digitalen Patientenfachs, eines elektronischen Medikationsplans sowie telemedizinischer Anwendungen.

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