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Studie: Mindestens 20 Prozent aller Behandlungsfälle in Kliniken potenziell ambulant erbringbar

19.12.2023 09:07
Die Krankenhausversorgung in Deutschland ist geprägt durch eine im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Bettenkapazität sowie eine hohe Anzahl akutstationärer Krankenhausbehandlungen. Während andere europäische Länder 2019 im Mittel vier Krankenhausbetten und 146 stationäre Behandlungsfälle pro 1.000 Einwohner verzeichneten, lag Deutschland mit sechs akutstationären Krankenhausbetten und 252 Behandlungsfällen deutlich darüber.

Vor allem wegen des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels und stark steigender Kosten für Klinikbehandlungen wird immer eindringlicher gefordert, bisher stationär erbrachte Leistungen in die ambulante Versorgung zu verlagern. Gleichzeitig wird die Frage kontrovers diskutiert, wie hoch das Ambulantisierungspotenzial von stationären Behandlungsfällen wirklich ist.

2021 hätten mehr als 2,5 Millionen der stationär erbrachten Behandlungen ambulant vorgenommen werden können. Das sind knapp ein Fünftel aller Behandlungsfälle in Krankenhäusern. Unter den Fachabteilungen haben neben der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, die Strahlenheilkunde und die Augenheilkunde das größte Potenzial bei der Ambulantisierung stationärer Behandlungsleistungen. Das sind die zentralen Ergebnisse des vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) geförderten Forschungsprojekts „Ambulantisierungspotenzial in deutschen Akutkrankenhäusern“. Federführend bei der Studie war das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. Der Abschlussbericht ist am 18. Dezember 2023 veröffentlicht worden.

Im Rahmen der Studie wurde das Ambulantisierungspotenzial anhand zwei unterschiedlicher Methoden untersucht. Dies war zum einen das vom IGES-Institut im Gutachten zu § 115b SGB V vorgeschlagene Kontextfaktorenmodell. Zum anderen eine Berechnung, in dem die Einschlüsse und Kontextfaktoren des Katalogs „Ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe“ (AOP-Katalog) aus dem Jahr 2023 zugrunde gelegt worden sind. Demnach hätten nach dem IGES-Modell 2021 rund 2,6 oder nach dem AOP-Katalog rund 2,7 Millionen stationär erbrachte Behandlungen ambulant vorgenommen werden können. Dies entspricht knapp 18 bzw. 19 Prozent aller stationären Behandlungsfälle.

„Auffällig ist die geringe Schnittmenge zwischen den beiden Ansätzen. Dies zeigt, dass über die beiden Modelle mehrheitlich unterschiedliche Behandlungsfälle als potenziell ambulant erbringbar identifiziert werden. Das Ziel des IGES-Modells, die Praxis der Fehlbelegungsprüfungen in Krankenhäusern zu vereinfachen und die Trennung von notwendigerweise stationären gegenüber ambulant erbringbaren Leistungen zu verbessern, ist mit der Neugestaltung des AOP-Katalogs 2023 offenbar nicht vollständig erreicht worden“, sagte Studienmitautor Prof. Dr. Thomas Mansky.

Um das offensichtlich hohe ambulante Potenzial bisher stationär erbrachter Leistungen zu erschließen, erscheine eine weitere Überarbeitung des AOP-Katalogs hinsichtlich der einbezogenen Leistungen sowie der Kontextprüfung erforderlich, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. „Der AOP-Katalog 2023 fällt hinsichtlich der einbezogenen Leistungen deutlich hinter das im IGES-Gutachten aufgezeigte Potenzial zurück. Auch eine Überarbeitung der Kontextfaktoren erscheint notwendig, weil der AOP-Katalog die wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung der sektorengleichen Vergütung ist, mit der die Ambulantisierung in Deutschland künftig vorangetrieben werden soll. Mit einem Potenzial von rechnerisch bis zu vier Millionen Fällen erscheint eine zunehmende Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen angesichts der finanziellen und personellen Herausforderungen in der stationären Krankenhausversorgung, vor allem auch vor dem Hintergrund internationaler Vergleiche, aber dringend geboten.“

Der Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Ambulantisierungspotenzial in deutschen Akutkrankenhäusern“ steht hier zum Download bereit.