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Industrie als Partner erwünscht

10.01.2012 12:07
Der Groschen ist gefallen - offensichtlich auch auf der Seite der GKV. Schien die Industrie schon in der prä-AMNOG-Ära die Notwendigkeit von Kooperationen erkannt zu haben, hat es der Partner in spe nun auch begriffen. Das bestätigt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts IMIG (Institut für Marktforschung im Gesundheitswesen) im Auftrag von Janssen-Cilag. Laut Aussagen von insgesamt 40 GKV-Vertretern arbeiten viele gesetzliche Krankenkassen bereits eng mit Pharmaunternehmen zusammen. Die Aussichten auf weitere Partnerschaften sind gut. Immerhin sprach die Mehrheit der Befragten den Pharmafirmen die Kompetenz zu, sich an der Gestaltung der Patientenversorgung zu beteiligen. Nur bei der gesetzlichen Rahmengestaltung - da wünschen sich die GKV-Vertreter eher Zurückhaltung von der Pharmaindustrie.

>> Wie wichtig ist der GKV die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie? Welche Ziele verfolgen die Kassen dabei und wie könnte die künftige Partnerschaft konkret aussehen? Diese Fragen standen im Fokus der Umfrage von Janssen-Cilag. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Kassen bereits bei konkreten medizinischen Themen mit der Industrie zusammenarbeiten. Die Mehrheit der Befragten (32 von 40) bestätigte laufende Kooperationen dieser Art bei verschiedenen Indikationen, nämlich: Diabetes, Demenz, Multiple Sklerose, Psychiatrie, COPD, Kardiologie, Schmerztherapie, ADHS, HIV, Onkologie und Parkinson.
26 Umfrage-Teilnehmer bestätigten außerdem die Zusammenarbeit mit Arzneimittelunternehmen beim Versorgungsmanagement und Neuen Versorgungsformen (im Einzelnen bei den Vertragsgestaltungen zu neuen Versorgungs- und Therapieformen, bei der Bewertung neuer Versorgungsformen, bei IV-Verträgen zwischen Praxisnetzen und der Pharmaindustrie, bei Mehrwertverträgen mit Originalanbietern sowie Risk-Share-Verträgen und Kapitations-Modellen). Als weitere, wichtige Themen für die Kooperation, nannten 20 von 40 GKV-Mitarbeitern „übliche Rabattverträge mit Generika-Unternehmen“ und „Rabattverträge im patentgeschützten Bereich“ (14 von 40). Das AMNOG (Evaluation medizinischer Leistungen und die Nutzenbewertung von Medikamenten) befindet sich hingegen auf der Liste der Kooperationsthemen eher unten: Nur vier GKV-Vertreter nannten bestehende Kooperationen zu diesem Thema. Ähnlich verhält es sich mit der Versorgungsforschung und den Arzneimittelinnovationen (jeweils von drei Befragten erwähnt).
Den aktuellen Kontakt zur forschenden Pharmaindustrie bewertete etwa die Hälfte der Befragten als „konstruktiv“ und „eher intensiv“. Ein Viertel beschrieb die aktuelle Kontaktqualität zur Industrie hingegen als „eher zurückhaltend“  bzw. „eher schlecht“ und ein weiteres Viertel der GKV-Befragten stufte den Kontakt als „wechselhaft/punktuell“ ein.

Die Vertragssituation

Etwa die Hälfte der Befragten gab an, neben den Standardrabattverträgen mit ihren Kassen bei Risk-Share- und bei Integrierten Versorgungsverträgen mit Beteiligung der Pharmaindustrie engagiert zu sein. Ein Viertel der GKV-Mitarbeiter räumte ein, mit Kapitations-Modellen zu arbeiten.
Den Stellenwert von Standardrabattverträgen schätzten knapp drei Viertel der Studienteilnehmer als gleichbleibend (wichtig) ein. Ambivalent wurde jedoch die neue dezentrale Vertragssituation unter AMNOG bewertet. Dennoch, über ein Drittel brachte mit dem AMNOG durchaus Möglichkeiten und Vorteile für die Krankenkassen in Verbindung.
Die Bereitschaft zum Abschluss dezentraler Verträge nach §130 c SGB V war laut Umfrage bei drei Viertel der Befragten vorhanden. Die Hälfte der 40 GKV-Befragten ging davon aus, dass künftig auch Reimporteure und Generikaunternehmen versuchen werden, Kooperationsverträge mit Krankenkassen einzugehen, um ihre Marktposition zu stärken.

Viele Aufgaben zugetraut

Nahezu alle Umfrageteilnehmer - 35 von 40 - sahen in der Konzeption und partnerschaftlichen Umsetzung von Projekten eine verantwortungsvolle Aufgabe, die Pharmaunternehmen wahrnehmen können. Drei Viertel der GKV-Mitarbeiter waren außerdem der Ansicht, dass die Pharmabranche mit eigenen Impulsen zu einer qualitativ besseren Gesundheitsversorgung beitragen könnte. Der forschenden Pharmaindustrie werden vor allem folgende Aufgaben zugetraut:

  • Versorgungsmanagement/Neue Versorgungsformen
    Innovative Versorgungsansätze/-konzepte; Gesundheitsmanagement; Versorgungsmanagement; Neue Versorgungsformen; Auf Basis geltender Leitlinien gemäß IQWiG-Vorgabe neue Versorgungsformen erproben, genannt von 24 GKV-Mitarbeitern.
  • Versorgungsforschung
    Angewandte Versorgungsforschung; Nutzen-Outcome-Daten von Medikamenten in der angewandten Medizin erfassen; Evaluation, in welchen Bezügen das Pharmakon eingesetzt wird und welche Effekte daraus maßgeblich für die GKV sind; Prävalenzprognosen für gewisse Regionen für für bestimmte Krankheiten, genannt von 9 GKV-Mitarbeitern.
  • Kontaktvermittlung Ärzte/Krankenkassen
    Vermittlung zwischen Krankenkassen und Ärzten, da die Pharmaindustrie über den Außendienst gute Kontakte zu den Ärzten hat; Pharmareferent spielt eine „Gate-Funktion“ in den Arztpraxen, genannt von 7 GKV-Mitarbeitern.
  • Vermittlung von Kompetenz und Know-how
    Vermittlung von indikationsspezifischer Kompetenz; Personalisierte Medizin, d.h. verstärkte Diagnostik, um Arzneimittel gezielter einzusetzen; Aufklärung über die Medizinprodukte; Information der Ärzte über weiterführende Versorgungsmöglichkeiten, genannt von 6 GKV-Mitarbeitern.
  • Adherence-/Compliance-Programme
    Patienten-Coaching, Patienten-Beratung, Patienten-Schulung in bestimmten Krankheitsroutinen im Umgang mit Arzneimitteln und Therapiekonzepten, genannt von 6 GKV-Mitarbeitern.


Die Teilnehmer machten zudem Aussagen darüber, für welche Gebiete sie den forschenden Arzneimittelunternehmen die Verantwortung zusprechen. Das Ergebnis: Vor allem Forschung und Entwicklung, aber auch arzneimittel-ökonomische Verantwortung und Versorgungsmanagement/Neue Versorgungsformen zählen dazu. Etwa ein Viertel der Befragten sah die Industrie auch bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln (AMNOG) gefordert.

Ziele und Wünsche

Für die Zukunft sprachen die Umfrageteilnehmer den Kooperationen mit der forschenden Pharmaindustrie einen zunehmend wichtigen Stellenwert zu. Anders verhielt es sich im Rückblick; Als Begründung für den relativ geringen Stellenwert von Kooperationen in der Vergangenheit wurden vor allem der geringe Kontakt zwischen Kassen und Industrie, das mangelnde Vertrauensverhältnis und das eher von Gegnerschaft geprägte schlechte Verhältnis zwischen beiden Seiten genannt. Die zunehmende Wichtigkeit von Kooperationen zwischen Krankenkasse und Pharmaindustrie in der Zukunft wurden unter anderem in dem zunehmenden Bedarf von Pharmafirmen an Kooperationen mit Krankenkassen, aber auch durch die Veränderungen der Marktgegebenheiten gesehen. Auch die Ausschöpfung der Ressourcen im Gesundheitswesen und der ständig ansteigende Kostendruck machen Kooperationen in der Zukunft für beide Seiten immer wichtiger. Das Interesse der Industrie an versorgungspolitischen Fragestellungen wird nach Einschätzung der Befragten ebenfalls zunehmen.
Durch die Kooperation mit der Pharmaindustrie beabsichtigen die Krankenkassen vor allem zwei Dinge, so die Umfrage. Erstens: Die Kosten der Versorgung senken und zweitens, die Qualität der Versorgung verbessern. Darüber hinaus  wurden in diesem Zusammenhang Versorgungsmanagement/Neue Versorgungsformen von allen Befragten genannt. Ein Viertel der Umfrageteilnehmer sah die Schaffung von Attraktivität für die eigenen Kassenmitglieder sowie die kostengünstige Arzneimittelversorgung als weitere Ziele einer Zusammenarbeit mit der Industrie an. Nicht zuletzt stellte sich auch die Nutzung von pharmaspezifischem Know-how für mehr als die Hälfte der Befragten als ein wichtiges Bestreben heraus.
Etwa zwei Drittel der Befragten zeigten sich an regionalen Kooperationen mit der Pharmaindustrie interessiert. Das größte Interesse (für fast zwei Drittel der Befragten) gilt dabei einer Kooperation mit Pharmaunternehmen bei Adherence-Programmen, um so die Lebensqualität der Versicherten letztendlich verbessern zu können.
Aus den Antworten der Befragten ergab sich im Hinblick auf die wichtigsten Herausforderungen, denen die Krankenkassen derzeit gegenüber stehen, folgendes Ranking:

 

  1. Ökonomische Aufstellung/Sicherstellung der Krankenkasse
  2. Versorgungsmanagement und neue Versorgungsstrukturen
  3. Gesundheitspolitik
  4. Vertragsentwicklung/-gestaltung
  5. Unternehmensstrategie
  6. Vergaberecht/Ausschreibungen
  7. AMNOG


Aus Sicht der Befragten haben die forschenden Pharmaunternehmen bisher den Gedanken der partnerschaftlichen Ausrichtung beim Kontakt mit den Krankenkassen nicht ausreichend zufriedenstellend erfüllt. Es fehle an gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamem Vorgehen, sagten die Befragten. Kritisiert wurde außerdem der mangelnde Innovationscharakter bei der Entwicklung von neuen Arzneimitteln. Nachholbedarf wurde bei innovativen Ansätzen für neue Versorgungskonzepte gesehen.
Die von den Befragten am häufigsten genannten Wünsche bezüglich der zukünftigen Zusammenarbeit mit der forschenden Pharmaindustrie beziehen sich auf die Partnerschaftlichkeit und respektvollen Umgang miteinander; aber auch auf das Versorgungsmanagement und Neue Versorgungsformen. In dieser Hinsicht erwarten die Befragten mehr Eigeninitiative und Engagement von Pharmaunternehmen. Die Angebote der Industrie sollten neutral, objektiv, nachvollziehbar und transparent strukturiert sein, so der weitere Wunsch der GKV-Repräsentanten.

Nicht geeignete Gebiete

Die Frage, ob die Pharmafirmen die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen mitgestalten können sollen, spaltete die Befragten in 20 Befürworter und ebenso viele Gegner. Offenbar besteht die Befürchtung, der Einfluss der Industrie könnte zu stark werden, hieß es in der Pressemitteilung von Janssen-Cilag.
Als weitere, für die Pharmaindustrie „ungeeignete“ Gebiete nannten die Befragten:

  • Markteingriffe
    Wenn bei einer Vielzahl von pharmakologischen Therapien durch eine gezielte Zusammenarbeit ein starker Markteingriff erfolgen würde; Beim Versuch, über exorbitante Preise für Medikamente eine Marktpositionierung zu erreichen.
  • Unethische Handlungsweisen
    In ethisch problematischen Fällen, die zu Problemen in der öffentlichen Wahrnehmung führen können.
  • Verordnungsbeschränkungen
    Off Label-Use von Medikamenten/Verordnungsbeschränkungen; Neuro-Enhancement, d.h. Zurverfügungstellung von Medikamenten wie Ritalin als Aufputschmittel für Erwachsene.
  • OTC-Sparte
    Kooperationen bei Produkten, die nicht erstattungsfähig sind; Produkte in Richtung Life-Style)
  • Mehrkosten/Zusatzkosten
    Medikamente, die nur Zusatzkosten generieren und keinen wirklichen Nutzen für die Versorgungsqualität oder die Versorgungsrealität haben; Skepsis gegenüber hochpreisigen Biologicals, deren Nutzen noch nicht bewiesen ist.


Bei der Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie sollte aus Sicht der GKV-Befragten das Streben nach Gewinnmaximierung, die zu sehr herausgestellte Produktbezogenheit wie auch Unehrlichkeit und unethische Handlungsweisen vermieden werden.
Und für den persönlichen Kontakt empfahlen die Umfrageteilnehmer ein inkompetentes und aufdringliches Vorgehen zu vermeiden. <<

Ausgabe 01 / 2012