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Dauerbaustelle schmerzmedizinische Versorgung in Deutschland

20.03.2023 17:57
Beim gesundheitspolitischen Symposium zur Versorgung in der Schmerzmedizin im Rahmen des Deutschen Schmerz- und Palliativtags diskutierten Dr. Johannes Horlemann, Kevelaer, Kongresspräsident und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS), und DGS-Vizepräsidentin Dr. Silvia Maurer, Bad Bergzabern, mit Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Vertreten waren die diesjährige Schirmherrin des Kongresses Martina Stamm-Fibich (Patientenbeauftragte der SPD-Fraktion), Kathrin Vogler (Die Linke), Prof. Dr. Armin Grau (Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Georg Kippels (CDU). Kristine Lütke (FDP) war über eine Videobotschaft vertreten. Zentrale Themen waren die Bedarfsplanung in der Schmerzmedizin sowie die Verordnung von medizinischen Cannabinoiden.

"Anspruch der Versorgergesellschaft Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin ist es, die Versorgung konkret zu verbessern“, sagte Horlemann. Er sei deshalb froh, die im vergangenen Jahr begonnene Diskussion mit Vertretern des Gesundheitsausschusses fortsetzen zu können. In Deutschland leben 3,9 Mio. Menschen mit schwersten chronifizierten Schmerzen. Rein rechnerisch könnten die 1.400 Schmerzmediziner maximal 420.000 von ihnen pro Quartal behandeln. Die Übrigen fielen durch das Raster. „Das darf nicht passieren“, so Horlemanns Forderung. Für eine flächendeckende Versorgung sei in Deutschland ebenfalls nicht gesorgt – und eine Änderung der Bedarfsplanung bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kein Thema.

Wenn die Selbstverwaltung nicht die notwendigen Rahmenbedingungen schaffe, müsse die Politik handeln. Äußerst bedenklich sei auch die Altersstruktur in der Schmerzmedizin: In den nächsten fünf Jahren werde die Hälfte der aktuell tätigen Schmerzmediziner in den Ruhestand gehen.

Der Über- und Fehlversorgung entgegenwirken

Bei der Ausbildungsförderung sei die Schmerzmedizin ebenfalls außen vor, kritisierte Silvia Maurer. Der Grund: Bei der Schmerzmedizin handle es sich um eine Zusatzbezeichnung und nicht um eine Facharztausbildung. Lediglich die KV Westfalen-Lippe stelle Gelder bereit, um die schmerzmedizinische Weiterbildung zu fördern. Vogler merkte an, dass über die Vernachlässigung des ländlichen Bereichs in der medizinischen Versorgung viel diskutiert werde, die mangelnde Versorgung in der Schmerzmedizin betreffe aber auch Städte. So gebe es in Deutschland 188 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern ohne schmerzmedizinische Versorgung. Daher sei es wichtig, auf die Unterversorgung aufmerksam zu machen. Für ohnehin schwer kranke Menschen seien lange Wege zur Arztpraxis eine zusätzliche Hürde.

Stamm-Fibich sieht in der schmerzmedizinischen Versorgung ebenfalls in Deutschland eine Dauerbaustelle. Es müsse gemeinsam daran gearbeitet werden, in der Gesellschaft zu verankern, dass Patientinnen und Patienten Zugang zu wirksamen Therapieansätzen benötigen. In einigen Regionen Deutschlands sei dies nicht gegeben.

Auf Fehlanreize im Gesundheitswesen verwies Prof. Grau: In der Behandlung von Rückenschmerzen gebe es mit zu viel Bildgebung in der Diagnostik und zu vielen Operationen eine erhebliche Über- und Fehlversorgung. Dem müsse unter anderem durch strukturierte Behandlungsprogramme entgegengewirkt werden. Ein besonderer Ansatz seien die Gesundheitsregionen mit einer stärkeren auch sektorenübergreifenden Vernetzung aller Gesundheitsberufe.

Wo bleibt der Mehrwert? Kostendiskussion oft im Mittelpunkt

Im Hinblick auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung werde sehr häufig eine Kostendiskussion geführt, aber nicht der Mehrwert für die Patientinnen und Patienten gesehen, so Kippels. Die Rückkehr in ein schmerzfreies oder schmerzarmes Leben erhöhe aber nicht nur die Lebensqualität, sondern möglicherweise auch die Arbeitsfähigkeit – eine Win-Win-Situation für Patient und Gesellschaft. Er sehe aber große Probleme darin, den ärztlichen Nachwuchs für die Schmerzmedizin zu begeistern. Ohne die Perspektive einer Facharztausbildung mit entsprechender Vergütung fehle Ärztinnen und Ärzten der Anreiz, sich für die Schmerzmedizin zu entscheiden.

G-BA-Beschluss als erster Schritt zur erleichterten Verordnung von Cannabinoiden

Die Teilnehmer des gesundheitspolitischen Symposiums begrüßten den Beschluss des G-BA vom 16. März 2023, der die Verordnungsfähigkeit von medizinischen Cannabinoiden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten erleichtert.1 Nach wie vor gelte für Erstverordnungen aber, dass die zuständige Krankenkasse die Verordnung genehmigen muss. Auch dieser Genehmigungsvorbehalt müsse noch aufgehoben werden, so Horlemann. Es sei inhuman, wenn Patientinnen und Patienten mit starken Schmerzen und vielen erfolglosen Therapieversuchen erst ein administratives Verfahren durchlaufen müssen, bevor sie Zugang zu einer wirksamen Therapie bekämen. Stamm-Fibich bestätigte, der G-BA-Beschluss sei eine gute Grundlage, um weitere Fortschritte in der schmerzmedizinischen Versorgung machen zu können.

 

1 Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses „ G-BA regelt Verordnung von medizinischem
Cannabis bei schweren Erkrankungen: Keine zusätzlichen Anforderungen, die über die gesetzlich zwingenden
und für den G-BA verbindlichen Verordnungsvoraussetzungen hinausgehen“ verfügbar unter: https://www.g-
ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1098/