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Drug-Future-Report: TK fordert neue Bewertungsverfahren für Gentherapien

01.03.2019 11:23
Die Techniker Krankenkasse (TK) hat neue Bewertungsverfahren für Gentherapien gefordert. "Die bisherigen Verfahren für Arzneimittel sind für diese Therapien nicht konzipiert und ungeeignet", erklärt TK-Vorstandsvorsitzender Dr. Jens Baas bei der Vorstellung des "Drug-Future-Reports" über neue zukunftsweisende Arzneimitteltherapien in Berlin. "Wir brauchen einen schnelleren Marktzugang für diese vielversprechenden Therapien und eine regelmäßige Überprüfung ihrer Erfolge und Kosten." Hierzu hat die TK unter dem Namen "Dynamischer Evidenzpreis" ein neues Konzept entwickelt.

Die Produktpipelines der Anbieter seien in einigen Bereichen "rappelvoll". "In den kommenden Jahren werden wir einen Innovationsschub auf dem Arzneimittelmarkt erleben. Wenn wir unser Gesundheitssystem nicht jetzt darauf vorbereiten, dann stehen wir in ein paar Jahren vor dem Problem, dass wir reihenweise neue Therapien haben, die durch das System von Zulassung und Erstattung fallen und daher in Deutschland den Patienten nicht zur Verfügung stehen", so Baas.

Drohende Kostenexplosion

Wohin die Reise gehe und ob die Therapien die in sie gesteckten Erwartungen auch erfüllten, lasse sich derzeit zwar noch nicht zuverlässig vorhersagen. Der TK-Chef sagt: "Aber es besteht durchaus die Chance, dass wir in den kommenden Jahren einige wirklich bahnbrechende Therapien erhalten." Gleichzeitig drohe eine massive Kostenexplosion. Derzeit gebe es in Deutschland beispielsweise rund 4000 Bluter-Patienten mit einer Dauermedikation. Für die aktuelle Standardtherapie mit Faktor-Präparaten wende die gesetzliche Krankenversicherung derzeit insgesamt etwa 480 Millionen Euro auf. Bei der Einführung der 2023 erwarteten Gentherapie für diese Krankheit könnten die GKV-Ausgaben auf vier Milliarden Euro steigen, so Baas. Das wären rund zehn Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben. Dabei sei die Bluterkrankheit nur eine von zahlreichen Krankheiten, bei der mit Fortschritten gerechnet werde. Baas: "Das zeigt die Dynamik und den finanziellen Sprengstoff der aktuellen Entwicklung."

Datenlage häufig sehr dünn

Ein Problem sei die häufig sehr dünne Datenlage beim Markteintritt von neuen Therapien. Die untersuchte Patientenzahl vor Marktzulassung sei in vielen Fällen zu klein, um Sicherheit und Langzeitwirksamkeit nachzuweisen. "Es werden immer mehr Arzneimittel beschleunigt oder basierend auf einer geringen Datenbasis zugelassen", erklärte der Kassenchef. Besonders bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen - sogenannten Orphan Arzneimittel - werde der Wirksamkeitsnachweis häufig auch Jahre nach der Zulassung noch nicht erbracht. Baas: "Das müssen wir mit einem neuen System ändern."

TK-Konzept: "Dynamischer Evidenzpreis"

Das Konzept des Dynamischen Evidenzpreises sieht eine von Herstellern und Kassen unabhängige Datenerhebung über die Therapieerfolge in einem zentralen Register vor. "Dadurch können wir beim Markteintritt noch bestehende Evidenzlücken so schnell wie möglich schließen, was zu einer höheren Patientensicherheit führt", erklärt der Leiter der TK-Arzneimittelversorgung Tim Steimle. In den ersten beiden Jahren nach der Markteinführung könnten die Pharmahersteller ihre Preise bis zu einer Obergrenze, die sich an den europäischen Durchschnittspreisen orientiert, frei wählen. Danach sollen Hersteller und Kassen anhand der ermittelten Daten erstmals über die Erstattungspreise verhandeln. Diese Preisverhandlungen sollen danach in 12-Monats-Abständen auf Basis des jeweils aktuellen Datenstandes wiederholt werden.

Steimle: "Dabei profitiert nicht nur die Versichertengemeinschaft von fairen Preisen, sondern auch die pharmazeutische Industrie. Für Präparate mit guten Behandlungserfolgen werden nach dem Konzept höhere Preise bezahlt und für weniger wirksame Präparate niedrigere." Zusätzlich sollen Unternehmen, die in Deutschland und Europa forschen und entwickeln, in den ersten 24 Monaten einen Aufschlag auf ihren Preis nehmen dürfen.

Ergänzendes Verfahren zum AMNOG-Prozess

Der dynamische Evidenzpreis sei dabei keinesfalls ein Ersatz für den seit 2011 üblichen Weg der Preisermittlung für neue Arzneimittel, den sogenannten AMNOG-Prozess. Steimle: "Unser Konzept sieht vielmehr vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss sechs Monate vor der Zulassung darüber entscheidet, ob der Preis für ein Arzneimittel nach dem bisherigen AMNOG-Verfahren ermittelt wird oder nach dem Dynamischen Evidenzpreis. Unser Modell ergänzt also nur das bestehende System und hat vor allem bei neuartigen Verfahren mit niedrigen Fallzahlen große Vorteile."