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Abschlag auf Kombitherapien: "20 Prozent rückwärtsgewandt"

31.08.2022 14:30
Das Spargesetz des Bundesgesundheitsministers sieht einen pauschalen 20-prozentigen Abschlag auf Kombinationstherapien vor; also auf Arzneimittel, die ihre volle Wirksamkeit in der Verbindung mit einem weiteren oder mehreren Wirkstoffen entfalten. Das sei medizinisch nicht begründbar, regulatorisch bedenklich und innovationsfeindlich, meint man bei Pharma Fakten e.V., einer Initiative von 16 Arzneimittelherstellern in Deutschland.

Im Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) heißt es: „Für alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die in einer […] Kombination eingesetzt und […] zu Lasten der Krankenkassen abgegeben werden, erhalten die Krankenkassen vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent des nach § 130b vereinbarten oder festgesetzten Erstattungsbetrags ohne Mehrwertsteuer.“ Das bedeute: Auf den seit 2011 geltenden AMNOG-Prozess, an dessen Ende eine Verhandlungslösung zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer über den Erstattungspreis einer Arzneimittelinnovation steht, werde vom Gesetzgeber ein weiterer 20-prozentiger Abschlag draufgesattelt.
"Einführung einer Arzneimittelinnovation: Wie im Sommerschlussverkauf", so die Bewertung von Pharma Fakten.

Ein Pharmaunternehmen führt also ein neues Arzneimittel ein und legt für die erste Zeit den Preis fest – so weit, so üblich. Gleichzeitig startet der AMNOG-Prozess. Wie aus den „AMNOG-Daten“ des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hervorgeht, führt dieser bei Arzneimitteln, denen ein beträchtlicher oder erheblicher Zusatznutzen zugesprochen wurde, im Mittel und über alle Therapiegebiete hinweg zu einem Preisabschlag von 20 Prozent. Noch höher ist er für Arzneimittel in Kategorien mit niedrigerem Zusatznutzen.

Nun kämmen mit der neuesten Sparerfindung noch einmal 20 Prozent obendrauf. Nicht zu vergessen: Zusätzlich solle der Herstellerrabatt nach dem vorliegenden Gesetzentwurf zeitlich befristet auf 12 Prozent angehoben werden.

Der Unterschied zum Sommerschlussverkauf, so Pharma Fakten:"Im SSV beschließt das Unternehmen den Rabatt selbst – es will seine Lager leer bekommen. In diesem Fall ist das anders: Der Staat braucht Geld und nimmt es sich einfach. Hinzu kommt: Der pauschale Sparbetrag bestraft direkt Innovationen" Das zeige ein Blick auf einen medizinischen Bereich, der seit Jahren durch eine regelrechte Boomphase geprägt sei– die Onkologie:

Schaue man in die S3-Leitlinie zu Brustkrebs, so bildeten Kombitherapien mittlerweile den Standard – sowohl bei örtlich begrenzten wie auch bei gestreuten Tumoren.
Checkpoint-Inhibitoren hätten in den vergangenen Jahren die Therapie für Menschen mit Nierenzellkarzinom deutlich verbessert. Standard sei heute eine immunbasierte Kombinationstherapie; die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patient:innen habe sich mehr als verdoppelt.
Auch beim Multiplen Myelom profitierten die Erkrankten von der kombinierten Wirksamkeit mehrerer Wirkstoffe. Das sei der vereinten Gabe von Immunmodulatoren, Proteasom-Inhibitoren oder monoklonalen Antikörpern zuzuschreiben. Durch die Kombinationen „können bisher unerreichte Ansprechraten bei guter Lebensqualität erzielt werden“, schreibt Prof. Dr. med. Christoph Renner vom Onkozentrum Zürich.

Aber auch aus anderen Indikationen wisse man, dass ein Therapieerfolg ohne die kombinierte Wirkung mehrerer Substanzen nur schwer möglich ist: Ein hoher Blutdruck? Die Antwort sei ein Kombinationspräparat. Hepatitis C oder HIV erfolgreich bekämpfen? Ohne die Kraft mehrerer Wirkstoffe auf Dauer wenig erfolgversprechend.

Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) kommentiert in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Gesundheitsministers die Idee des Kombinationsabschlags mit den Worten: „Kombinationstherapien haben einen wichtigen Anteil am therapeutischen Fortschritt. In vielen Indikationsgebieten ist die kombinierte Gabe von Medikamenten essenziell für das Erreichen der Therapieziele und spiegelt den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wider. Ein zusätzlicher Pflichtrabatt für Kombinationen on top zur AMNOG-Preisregulierung bremst diesen wichtigen, innovativen Forschungs- und Therapieansatz aus.“ Rein aus medizinisch-wissenschaftlicher Brille betrachtet, ist davon auszugehen, dass Kombinationstherapien auch in den kommenden Jahren wesentliche Innovationstreiber sein werden. Aber der Gesetzgeber hat offenbar andere Ideen: Gegenüber Monotherapien werden sie jetzt sogar benachteiligt.

Aus Sicht des vfa ist ein solcher im Übrigen recht willkürlich gesetzter Abschlag gar nicht notwendig: „Der kombinierte Einsatz von Arzneimitteln wird bei den Preisverhandlungen im AMNOG bereits angemessen berücksichtigt. Selbst wenn es sich um neue Arzneimittel unterschiedlicher Hersteller handelt, ist die kombinierte Gabe Gegenstand der jeweiligen Erstattungsbetragsverhandlungen und führt regelmäßig zu einem geringeren Erstattungsbetrag. Es besteht hier keine Regelungslücke.“

Tatsache sei, das vorgelegte Spargesetz kollidiere mit dem im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel, Deutschland zu einem international führenden Biotechnologie-Standort zu entwickeln. Noch einmal der vfa: „Statt die forschende Pharmaindustrie als Schlüsselbranche für die deutsche Wirtschaft und das Gesundheitssystem zu begreifen und ihren Investitionsbeitrag zu erhöhen, soll sie erneut nach bekanntem Muster zum Schließen aktueller Finanzlöcher in der GKV herangezogen werden.“ Die Bundesregierung drehe Innovationen den Hahn zu – so der Verband. Und das, obwohl sich Festbeträge, AMNOG-Rabatte, Zwangsabschläge und Individualrabatte schon heute zu Milliardensummen addieren, die die Pharma-Branche leistet: 2021 waren es insgesamt 21 Milliarden Euro.