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Entstehung von Lifecare-Systemen erfordert fundamentale Transformation des Gesundheitswesens und der Pharmaindustrie

16.12.2021 11:43
Zunehmende Zertifizierungen digitaler Gesundheitslösungen, neue Wege der Kostenerstattung und die Entwicklung innovativer digitaler und therapeutischer Technologien: Die Gesundheitsbranche befindet sich inmitten einer fundamentalen Transformation, die nicht zuletzt durch die Auswirkungen der weltweiten Covid-19-Pandemie weiter Geschwindigkeit aufnimmt. Personalisierte, digitalisierte und präventive Gesundheitsangebote entlang sich wandelnder Kundenbedürfnisse rücken dabei in den Mittelpunkt. Ausgehend von diesen Entwicklungen erwarten mehr als 75% der Führungskräfte im globalen Gesundheitswesen die Entstehung neuer, kundenzentrierter „Lifecare-Systeme“. Das geht aus den Ergebnissen der aktuellen „Future of Health“ Studie von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, hervor.

Lifecare-Systeme zeichnen sich durch die Konvergenz klassischer, auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichteter und patientenzentrierter „Disease Care“ (also der Behandlung von Krankheiten) und kundenzentrierter „Wellcare“ (die Pflege der Gesundheit) mit einem Fokus auf Prävention und Wohlbefinden aus. Diese Lifecare-Systeme werden in den kommenden Jahren insbesondere in den Bereichen Herz-Kreislauf- und Stoffwechselkrankheiten (94% der Führungskräfte), Onkologie (69%) und Neurologie (34%) entstehen.

Die größten Wachstumspotenziale liegen dabei klar im Wellcare-Bereich. Im Jahr 2030 werden voraussichtlich rund 20% der privaten und öffentlichen Gesundheitsausgaben auf diesen Bereich entfallen, gegenüber 11% im Jahr 2021. Das führt im Bereich der Gesundheitspflegesysteme zu einem durchschnittlich jährlichen Marktwachstum (CAGR) von 10 bis 12%, was bis 2030 einer Gesamtwertschöpfung von 2,8 bis 3,5 Bio. US-Dollar entspricht. Die Wachstumsrate im Sektor der Krankheitspflege liegt bei nur etwa 3%. Die größten Wachstumsbereiche stellen dabei noch die Diagnostik (19% CAGR) und digitale Gesundheit (12% CAGR) dar, während die Ausgaben für Medikamente voraussichtlich lediglich um 3% steigen.

„Die Studienergebnisse zeigen, welchem Transformationsdruck Pharmaunternehmen ausgesetzt sind. Um diesem zu begegnen, sind signifikante Investitionen und eine Weiterentwicklung der Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle erfolgskritisch. Denn die großen Wachstumspotenziale liegen außerhalb des traditionellen Kerngeschäfts der Pharmaunternehmen“, erläutert Dr. Thomas Solbach, Partner bei Strategy&. „Um die Chancen dieses Wandels zu nutzen und attraktive, renditestarke Wertschöpfungsbereiche zu erschließen, brauchen die entsprechenden Akteure unter anderem ein tiefes Verständnis für die individuellen Lebensstile ihrer Zielgruppen sowie Zugriff auf aussagekräftige Datenpools aus verschiedenen Lebensbereichen. Hier befindet sich die Pharmaindustrie klar im Wettbewerb mit großen Technologieunternehmen als auch agilen Start-ups.“

Die größte Herausforderung bei der Umstellung auf Lifecare-Systeme sehen 80% der Befragten bei der effizienten Datengenerierung und -verwertung. 68% sehen aktuell noch Lücken bei der Vereinbarung strategischer Partnerschaften. Fast genauso viele Manager (67%) betrachten den Ausbau und das Innovationstempo im Bereich Forschung und Entwicklung als kritische Punkte. Die Unternehmenskultur sowie den Aufbau neuer Kompetenzen sehen hingegen lediglich 32% der Pharmamanager durch den Wandel der Branche gefährdet.

Diese disruptiven Veränderungen der Gesundheitsindustrie haben eine erhebliche Umverteilung der Budgets zur Folge. Ausgehend von den Gewinn- und Verlustrechnungen der 20 größten Pharmaunternehmen für das Jahr 2020 werden die Unternehmen im Durchschnitt ihre Vertriebsausgaben (SG&A) um etwa 3 Mrd. US-Dollar senken müssen, was einem Rückgang der Aufwendungen für Marketing und Vertrieb um 20% entsprechen würde. Diese Budgets müssen zukünftig in Forschung und Entwicklung, Kompetenzaufbau sowie strategische Fusionen umgeschichtet werden, um mit dem dynamischen Innovationsumfeld im gesamten Lifecare-System Schritt zu halten. Für die traditionell weniger forschungsintensiven deutschen Pharmafirmen bedeutet dies eine mögliche weitere Herausforderung im internationalen Wettbewerb, da sie mit ca. 15% des Umsatzes weniger in F&E investieren als die weltweit 20 größten Pharmaunternehmen (18% des Umsatzes).

„Diese Prognosen sind ein Weckruf für Pharmaunternehmen, die ihre Strategien neu ausrichten müssen, um in den zukünftigen Lifecare-Systemen erfolgreich zu sein,“ so Patrick Grünewald, Director bei Strategy&. „Die Entscheider in Pharmaunternehmen sind gefragt, Angebotslücken zu identifizieren und auf Basis neuer Markt- und Kundenanforderungen zukunftsgerichtete und resiliente Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei müssen sie sich entscheiden, ob sie als Lösungsanbieter individuelle Lösungen entwickeln und anbieten, als Orchestratoren auf Basis von Datenanalysen der Kundenbedürfnisse Lösungen vermitteln, oder als Infrastrukturanbieter die dafür notwendigen technologischen Plattformen bereitstellen. Einige Pharmaunternehmen streben bereits eine Doppelrolle als Lösungsanbieter und Orchestratoren an – ob sie dafür tatsächlich die relevanten Fähigkeiten besitzen, und wie die regulatorische Bewertung einer solchen übergreifenden Position im Gesundheitssystem ausfällt, bleibt allerdings abzuwarten.“